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Auf 2460 Kilometern werden Rohre für die Pipeline verlegt.

© Jens Büttner/ZB/dpa

Streit um Ostseepipeline: Was Amerikas Sanktionen für Nord Stream 2 bedeuten

Das amerikanische Repräsentantenhaus stimmt für Sanktionen gegen Nord Stream 2. Deutschland ist empört. Kann das Projekt noch gestoppt werden?

Die Bemühungen, die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 auf diplomatischem Weg doch noch aufzuhalten, liefen seit Monaten. Gebracht haben sie nichts, wie das US-Außenministerium in einer Anhörung vor dem Senat in der vergangenen Woche zugab.

Danach war es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Kongress ernst machte mit seinen Drohungen, gegen die Pipeline vorzugehen, die künftig russisches Erdgas direkt nach Deutschland liefern soll – unter Umgehung der Ukraine. Am Mittwochabend (Ortszeit) verabschiedete das Repräsentantenhaus Sanktionen gegen an dem Projekt beteiligte Firmen.

Was haben die Amerikaner genau beschlossen?

Die Abgeordneten stimmten mit einer großen überparteilichen Mehrheit von 377 zu 48 Stimmen für ein Gesetzespaket zum 738 Milliarden Dollar umfassenden Verteidigungshaushalt, in welches das Sanktionsgesetz eingefügt worden war. Noch in der kommenden Woche soll der Senat das Paket verabschieden. Eine Zustimmung in dieser Parlamentskammer gilt als sicher.

Genauso wird davon ausgegangen, dass US-Präsident Donald Trump das Gesetzespaket unterzeichnen wird. Denn dieses beinhaltet unter anderem auch bezahlte Elternzeit für alle 2,1 Millionen zivilen Bundesangestellten, ein Ende des US-Engagements im Jemen- Konflikt sowie die von Trump gewünschte Schaffung einer „Space Force“ als sechster Teilstreitkraft der USA.

Die Sanktionen im „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“ richten sich gezielt gegen die Betreiberfirmen der hoch spezialisierten Schiffe, mit denen die Rohre für die Pipeline durch die Ostsee verlegt werden. Auch Turk Stream, eine russische Pipeline, die durch das Schwarze Meer Gas in die Türkei bringen soll, ist betroffen. Ebenso gelten die Sanktionen für alle Folgeprojekte von Nord Stream 2 und Turk Stream.

US-Außenminister Mike Pompeo soll in Absprache mit Finanzminister Steven Mnuchin dem Kongress innerhalb von 60 Tagen berichten, welche Schiffe von welcher Firma eingesetzt werden. Gegen Manager der Firmen und deren Hauptaktionäre mit Kontrollmehrheit sollen Einreiseverbote in die USA verhängt, bestehende Visa sollen widerrufen werden. Transaktionen der Betroffenen, die sich auf ihren Besitz oder ihre geschäftlichen Interessen in den USA beziehen, sollen blockiert werden können.

Was ist das Ziel der Sanktionen?

Sie sollen das Projekt verhindern oder zumindest verzögern. Die Amerikaner argumentieren, dass sich Deutschland mit der Pipeline in Abhängigkeit von Russland begeben würde. Der republikanische Senator Ted Cruz, der sich seit Monaten vehement gegen Nord Stream 2 einsetzt und das Gesetz zusammen mit der Demokratin Jeanne Shaheen eingebracht hat, warnte, der russische Staatskonzern Gazprom könne die Milliarden, die er damit verdienen werde, für weitere russische Aggressionen einsetzen.

Shaheen erklärte, die Sanktionen würden eine unmissverständliche, überparteiliche Botschaft des Kongresses an den russischen Präsidenten Wladimir Putin senden, „dass die USA nicht zuschauen, wie der Kreml seinen bösartigen Einfluss weiter ausbreitet“. Kritiker halten dagegen, dass die Amerikaner auch ihr eigenes, teureres Flüssiggas (LNG) an Deutschland verkaufen wollen.

Was bedeuten die Strafmaßnahmen für das Projekt?

Zu den Auswirkungen der Sanktionen auf das Projekt wollte sich ein Sprecher des Unternehmens Nord Stream 2 am Donnerstag nicht äußern. Die Pipeline, die auf einer Länge von 1230 Kilometern durch die Ostsee führt, ist bereits kurz vor der Fertigstellung. Sie besteht aus zwei nebeneinander liegenden Strängen, so dass 2460 Kilometer Rohre gebraucht werden. Mehr als 2100 Kilometer des Doppelstrangs seien bereits verlegt, sagte ein Sprecher von Nord Stream 2.

Das Unternehmen, das seinen Sitz in der Schweiz hat, teilte allerdings nicht mit, wann der Bau der Pipeline nach bisherigem Stand voraussichtlich abgeschlossen sein soll. „Die Fertigstellung ist vom Wetter abhängig“, sagte der Sprecher. Ein Vertreter des russischen Energiekonzerns Gazprom, dem das Unternehmen Nord Stream 2 gehört, sagte dem „Wall Street Journal“, es würden noch fünf Wochen für die Arbeiten in der Ostsee benötigt.

Die jetzt beschlossenen Sanktionen kommen ja auch nicht unmittelbar. Nachdem Pompeo den Kongress informiert hat, haben die betroffenen Firmen 30 Tage Zeit, um ihre Operationen abzuwickeln. Es kann also gut sein, dass das Projekt nicht mehr zu stoppen ist.

Derzeit ist für die Verlegung die Schweizer Firma Allseas zuständig, die das weltweit größte Spezialschiff betreibt. Das Unternehmen wäre direkt von den Sanktionen betroffen. Falle dieses Schiff aus, werde Gazprom selbst die letzten Rohre verlegen, sagte der Gazprom-Vertreter. „Wir werden die Pipeline so oder so fertigstellen. Die Sanktionen, so sie denn kommen, werden das Projekt nur verzögern und verteuern. Sie werden es nicht stoppen.“

Für das Verlegen der Rohre werden hochspezialisierte Schiffe benötigt. Die US-Sanktionen richten sich gegen die Betreiberfirmen.
Für das Verlegen der Rohre werden hochspezialisierte Schiffe benötigt. Die US-Sanktionen richten sich gegen die Betreiberfirmen.

© Bernd Wüstneck/AFP

Warum kommen die Sanktionen erst jetzt?

Am Kongress liegt das zumindest nicht. Die Auswärtigen Ausschüsse im Repräsentantenhaus und im Senat hatten bereits vor Monaten mit überwältigenden Mehrheiten Gesetzesentwürfe mit Sanktionen zu Nord Stream 2 verabschiedet. Demokraten und Republikaner kritisieren das Projekt gleichermaßen, das in ihren Augen die Ukraine schwächt, die bisher an dem Gastransit verdient.

Warum die Sanktionen nicht eingeführt wurden, ist eine interessante Frage. Beobachter verweisen auf die unklare Haltung Trumps zu Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin. Im vergangenen Jahr hatte Trump noch behauptet, Deutschland werde zu einer „Geisel Russlands“ und mit Sanktionen wegen Nord Stream 2 gedroht. Sanktionen gegen die Schiffsbetreiberfirmen hätte er längst verhängen können – unter dem seit 2017 bestehenden „Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act“.

Auch sein eigener Nationaler Sicherheitsrat riet Trump zu diesem Schritt in der zweiten Novemberhälfte. Aber Finanzminister Mnuchin sprach sich dagegen aus. Die „Washington Post“ zitierte vor wenigen Tagen mehrere Kongressmitarbeiter damit, dass Mnuchin dabei Rücksicht auf amerikanische Öl- und Gasfirmen, deren Investoren an der Wall Street sowie die Regierungen von Deutschland und Dänemark nehme, die alle dagegen seien.

Andere vermuten, dass Trump selbst der Grund für die Verzögerung sei, der es immer wieder ablehnt Putin zu kritisieren – beispielsweise im Zusammenhang mit der von seinen eigenen Geheimdiensten nachgewiesenen russischen Einmischung in den Präsidentschaftswahlkampf 2016. Nicht zuletzt die demokratische Mehrheitsführerin Nancy Pelosi hatte vor ein paar Wochen mit Blick auf die Affäre um zurückgehaltene US-Militärhilfe an die Ukraine erklärt: „Alle Wege führen zu Putin.“

Wie reagiert die deutsche Politik?

Die Bundesregierung verurteilte die geplanten US-Sanktionen. „Die europäische Energiepolitik wird in Europa entschieden, nicht in den USA“, sagte Außenminister Heiko Maas. „Eingriffe von außen und Sanktionen mit extraterritorialer Wirkung lehnen wir grundsätzlich ab.“

Ähnlich äußerte sich eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums: „Wir nehmen die Abstimmung im US-Repräsentantenhaus mit Bedauern zur Kenntnis.“ Politiker von Koalition und Opposition rügten die US-Entscheidung in ungewöhnlich scharfen Worten: „Das ist nun nicht mehr nur ein unfreundlicher, sondern ein feindlicher Akt der USA gegen seine Verbündeten und ganz Europa“, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer (CDU).

Der Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) bezeichnete die Sanktionen als inakzeptabel. „Sollten diese Sanktionen tatsächlich verhängt werden, wäre das eine Verletzung der deutschen und europäischen Souveränität und eine schwere Belastung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen.“

Auch der stellvertretende FDP-Fraktionschef Alexander Graf Lambsdorff kritisierte die extraterritorialen Sanktionen. Darin werde ein „Machtanspruch“ erkennbar, hinter dem auch wirtschaftliche Interessen stünden. Zugleich kritisierte Lambsdorff die Bundesregierung: „Jetzt zeigt sich, dass die außenpolitische Einbettung des Projekts Nord Stream 2 vollkommen misslungen ist.“ Dies habe Deutschland „enormes politisches Kapital gekostet“.

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Wie verhält sich die Wirtschaft?

Massive Kritik an der Entscheidung aus den USA kam vom Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. Dessen neuer Vorsitzender Oliver Hermes, der in der vergangenen Woche mit einer Delegation des Ost-Ausschusses von Putin in Sotschi empfangen wurde, nannte die Verabschiedung der Sanktionen einen „Affront gegen die europäische Souveränität“ und einen „nicht akzeptablen Eingriff in die autonome Energiepolitik Europas“.

Zugleich warnte er, die Entscheidung in Washington könne höhere Gaspreise zur Folge haben. „Sollten die Sanktionen umgesetzt werden, drohen zudem steigende Energiepreise zum Nachteil der europäischen Industrie und Verbraucher.“ Der Ost-Ausschuss appellierte an die Bundesregierung, alle diplomatischen Kanäle zu nutzen, um das US-Gesetz doch noch zu verhindern.

Einen Schritt weiter ging die Deutsch-Russische Außenhandelskammer: „Es ist an der Zeit, dass Berlin und Brüssel eine klare politische Position beziehen und mit gezielten Gegenmaßnahmen antworten“, sagte Rainer Seele, Präsident der Außenhandelskammer. Er ist zugleich Chef des österreichischen Energiekonzerns OMV, welcher wiederum als Finanzinvestor bei Nord Stream 2 engagiert ist und damit vom Gelingen des Projekts profitiert.

Herrscht innerhalb der EU Einigkeit bei diesem Thema?

Aus anderen EU-Staaten, allen voran Polen, Litauen, Lettland und Estland, kommt seit Jahren massive Kritik an der geplanten Pipeline. Sie könne Russland in die Lage versetzen, die bisherige, durch die Ukraine führende Gaspipeline ganz stillzulegen, so das Argument der Gegner.

Außerdem sehen Deutschlands östliche Nachbarn anders als die Bundesregierung die Pipeline nicht als rein ökonomisches, sondern als politisches Projekt Russlands. Da es diesen Staaten nicht gelang, Nord Stream 2 innerhalb der EU zu stoppen, setzten sie sich in Washington für die US-Sanktionen ein. Für die Gegner des Projekts sind die amerikanischen Gegenmaßnahmen die letzte Hoffnung.

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