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Aus dem Saarland könnten Wählerstimmen für Annalena Baerbock fehlen.

© Fabian Sommer/dpa

Streit um nicht zugelassene Landesliste: Baerbock droht Ärger aus dem Saarland

Die saarländischen Grünen drohen an der Listenaufstellung für den Bundestag zu zerbrechen. Interne Mails belegen, wie sich die Bundespartei eingemischt hat.

Was derzeit beim saarländischen Landesverband der Grünen passiert, könnte man je nach Blickwinkel als Machtkampf, Krimi, Demontage oder Farce beschreiben. Sicher ist dabei nur eines: Der Schaden für alle Beteiligten ist schon jetzt immens - auch für Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und den Bundesvorstand.

Die Grünen im Saarland stehen kurz vor der Bundestagswahl als entkernte, zerrüttete Partei da. Einen echten Vorstand haben die Saar-Grünen nicht mehr, auf der Website des Landesverbands finden sich auf den entsprechenden Positionen bloß Lücken, ein Großteil des Personals ist entweder zurückgetreten oder politisch verbrannt. Ob es überhaupt eine Landesliste für die Bundestagswahl geben wird, ist ungewiss. Und auch auf Bundesebene könnten die Vorgänge im kleinsten Flächenland Deutschlands für die Grünen zum Problem werden.

Wer den Konflikt verstehen will, muss auf den 20. Juni zurückblicken. An diesem Tag wurde Hubert Ulrich auf Platz eins der Landesliste gewählt. Zuvor war die Landesvorsitzende Tina Schöpfer in drei Wahlgängen durchgefallen und die Partei hatte beschlossen, das eigentlich in der Parteisatzung festgezurrte Frauenstatut, nach dem alle ungeraden Listenplätze an Frauen zu vergeben sind, außer Kraft zu setzen. Schließlich hatte sich keine durchsetzen können, was bedeutet, dass nun auch ein Mann antreten durfte. Auch das steht in der Parteisatzung.

Also trat Ulrich in einer Kampfabstimmung gegen die 25-jährige Jeanne Dillschneider an und gewann deutlich – 95 zu 46 Stimmen. Das Frauenstatut, oder „Furienstatut“, wie es Ulrich-Vertraute nennen, wurde bereits bei den vergangenen drei Bundestagswahlen ignoriert. Auf Listenplatz eins, dem einzigen, der im kleinen Saarland für ein Mandat reicht, wurde mit dem Saarlouiser Markus Tressel immer ein Mann aufgestellt.

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Doch dieses Mal kam alles anders. Weil sich nicht nur innerhalb der Saar-Grünen Protest regte, sondern sich auch die Bundespartei teils energisch für eine Verhinderung des Kandidaten Ulrich einsetzte. Offiziell, weil man sich im Saarland über das Frauenstatut hinweggesetzt hatte. Aber aus internen Mails, die dem Tagesspiegel vorliegen, wird deutlich, dass in Berlin augenscheinlich alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um einen unbequemen Kandidaten zu verhindern.

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Zwei Tage nach der Wahl Ulrichs schreibt der politische Geschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, dem saarländischen Landesvorstand eine kritische Mail. Kellner spricht darin von einem „Debakel“, das ein „verheerendes“ Signal in der Öffentlichkeit gesendet habe. „Wie ihr mit dieser Vorgehensweise eine Rückkehr in den Landtag erreichen wollt, ist mir schleierhaft“, heißt es in der Mail, die dem Tagesspiegel vorliegt.

Jeanne Dillschneider verlor erst gegen Hubert Ulrich, dann wurde sie doch auf Platz eins gewählt.
Jeanne Dillschneider verlor erst gegen Hubert Ulrich, dann wurde sie doch auf Platz eins gewählt.

© Oliver Dietze/dpa

Kellner rät seinen Parteifreunden zudem, zu überprüfen, ob es formale Fehler bei der Listenaufstellung gegeben habe. Dann könne man ohne Schiedsgerichtsverfahren ein erneutes Aufstellungsverfahren abhalten, bei dem Ulrich dann verzichten könnte. Anscheinend bedauernd schreibt Kellner noch: „Als Bundesvorstand haben wir keine Möglichkeit in die Einreichung eurer Landesliste einzugreifen.“

Baerbock: "Wir haben uns das anders gewünscht"

Faktisch begann der Bundesvorstand der Grünen bereits kurz nach der umstrittenen Wahl, Druck auf den saarländischen Landesverband auszuüben. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock etwa kritisierte die Listenaufstellung öffentlich: „Wir haben uns das anders gewünscht“, sagte sie und kündigte "intensive" Gespräche sowohl mit ihrem Geschäftsführer Kellner als auch mit den saarländischen Parteifreunden an.

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Von diesen Gesprächen berichten die Beteiligten im Saarland teils fassunglos: Man sei unter Druck gesetzt worden. Von „Hetzjagden“, „Hass“ und „Deformation“ ist die Rede, wenn man sich in den Reihen der Ulrich-Vertrauten umhört.

Dabei wäre es jedoch falsch, Hubert Ulrich und seine Vertrauten pauschal als Opfer einer Intrige darzustellen. Ulrich, Spitzname „Panzer”, dominiert seit gut 30 Jahren die Grünen im Saarland. Der Ur-Grüne Daniel Cohn-Bendit hat ihn mal einen „Mafioso” genannt hat.

Der „Panzer“. Hubert Ulrich hat die Grünen im Saarland geführt – und sich dabei viele Feinde gemacht.
Der „Panzer“. Hubert Ulrich hat die Grünen im Saarland geführt – und sich dabei viele Feinde gemacht.

© Oliver Dietze/dpa

Im Saarland kennt jeder jeden. Zumindest über zwei Ecken. Das bedeutet auch, dass in dem kleinen Bundesland alles irgendwie mit allem zusammenhängt. Weshalb Politik in und um Saarbrücken in etwa so funktioniert wie in einer großen Familie – mit allen Problemen, die eine solche mit sich bringt.

Ulrichs Netzwerk wird auch "Huberts Armee" genannt

Ulrich, so erzählen es im Saarland Politiker aller Parteien, habe es über die Jahrzehnte wie kein Zweiter verstanden, diese zweifelhafte Nähe für sich zu nutzen. Mit persönlichen Abhängigkeiten, durch in Aussicht gestellte Posten erkaufte Loyalität und viele kleine Gefälligkeiten hat er es geschafft, seinen Einfluss über das gesamte Bundesland auszudehnen.

Zentral dabei: Der Ortsverband Saarlouis, dem Ulrich selbst angehört. Mit rund 700 Mitgliedern stellt er knapp ein Drittel aller Grünen im Saarland. Die meisten von ihnen habe Ulrich persönlich angeworben, sagen Insider. In Parteikreisen nennt man den Ortsverband mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Verachtung auch „Huberts Armee”.

Bundesvorstand drohte Landesvorstand mit Amtsenthebung

Diese führt Ulrich wie ein General. Am 16. Mai etwa, 14 Uhr, lädt er den Ortsverband zu einer Mitgliederversammlung auf die erste Ebene eines Parkhauses eines Saarlouiser Kaufhauses. Auf Plastikstühlen soll über die Delegierten für die Landesliste entschieden werden. Mitglieder, die nicht stimmberechtigt sind, wie etwa Angehörige des Kreisverbandes, erhalten wie die Presse keinen Zutritt. Offiziell wegen der Corona-Schutzmaßnahmen.

Das fällt Ulrich später auf die Füße. Im Juli stellte nämlich das Bundesschiedsgericht der Grünen fest, dass der Ausschluss der Mitglieder gegen das Öffentlichkeitsgebot verstößt – und schloss die Saarlouis Delegierten aus. Ulrichs Machtbasis war weggebrochen.

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Am Abend vor dem zweiten Landesparteitag, der wegen der 49 ausgeschlossenen Delegierten aus Saarlouis vor der Absage steht, zieht der Bundesvorstand der Grünen schließlich die Notbremse. Dem saarländischen Landesvorstand wird in einer Mail, die dem Tagesspiegel vorliegt, mit Amtsenthebung gedroht, sollten sie den Landesparteitag nicht stattfinden lassen.

Im Anhang der Mail findet sich bereits der entsprechende vorformulierte Eilantrag an das Bundesschiedsgericht. Darin heißt es zur Begründung: „Die öffentliche Reaktionäre vererhrend (sic!), wenn es eine Partei, die eine Kanzlerkandidatin aufstellt und der eine führende Rolle in der aktuellen Deutschen Parteienlandschaft zugeschrieben wird, aufgrund interner Querelen in einem Landesverband, nichtschafft, eine Landesliste in einem Bundesland aufzustellen.“ Unterschrieben ist der Antrag von Kellner und der Organisatorischen Geschäftsführerin der Grünen, Emily May Büning.

Strippenzieher im Hintergrund: Bundesgeschäftsführer Michael Kellner drohte den Saarländern mit Amtsenthebung.
Strippenzieher im Hintergrund: Bundesgeschäftsführer Michael Kellner drohte den Saarländern mit Amtsenthebung.

© Stefanie Loos/AFP

Die Drohung wirkte. Am Tag darauf fand der Landesparteitag statt und ohne die Delegierten aus Saarlouis wurde Jeanne Dillschneider auf Listenplatz eins gewählt. Hubert Ulrich war gar nicht erst wieder angetreten.

An dieser Wahl üben aber nicht nur Ulrich und seine Anhänger Kritik. Auch die Landeswahlleiterin Monika Zöllner wurde in der Begründung ihrer Entscheidung, die Landesliste der Grünen nicht zu zulassen deutlich: "Würde man einen solchen Wahlvorschlag zulassen, dann stünde insgesamt die demokratische Legitimation der Bundestagswahl in Frage", sagte sie.

Für die Partei geht es – je nach Wahlergebnis – um voraussichtlich 35.000 bis 75.000Stimmen. Vielleicht 0,3 Prozent aller Grünen-Stimmen, doch der öffentliche Schaden, den der Streit verursacht hat, wiegt schwerer.

Am Montag legten die saarländischen Grünen nun Beschwerde gegen die Ablehnung ihrer Landesliste für die Bundestagswahl ein. Der Bundeswahlausschusswird an diesem Donnerstag darüber entscheiden - ruhig wird es bei den Saarländer Grünen aber auch danach nicht. Im kommenden Jahr stehen Landtagswahlen an, die Grünen wollen endlich raus aus der außerparlamentarischen Opposition.

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