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Annalena Baerbock, Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner kommen zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrags.

© picture alliance/dpa

Streit um Bürgergeld und Übergewinnsteuer: Die Ampel-Koalition geht einem stürmischen Herbst entgegen

Es soll weitere Entlastungen geben, aber woher das Geld nehmen? Und bei der SPD wächst der Unmut, dass die FDP ein Kernprojekt schreddern könnte.

Einige Koalitionäre glauben bereits: Diese Regierung wird den Winter nicht überleben. Wer sich in dieser krisenreichen Sommerpause, die keine ist, im Regierungsviertel und im Bundestag umhört und einfach fragt, wie die Stimmung ist, bekommt als Antwort immer wieder ein Wort: „Angespannt“.

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Vor allem auf FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner wird bei SPD und Grünen mit Sorge geblickt, fast alles würde blockiert; Frustration ist zu verspüren, vom Fortschrittsbündnis und Aufbruch ist wenig geblieben.

Erste machen sich schon Gedanken über eine große Koalition als Notlösung, aber ein Kanzler Olaf Scholz mit einem Vizekanzler Friedrich Merz erfordert dann doch recht viel Fantasie.

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Beim letzten Koalitionsausschuss sind alle ungelösten Fragen auf die Zeit nach der Sommerpause vertagt worden, nun werden es immer mehr. Angefangen von der Debatte um eine Verlängerung der Atomlaufzeiten, bei der sich die FDP quasi mit der größten Oppositionspartei, CDU/CSU, verbündet hat.

Neben allen technischen Fragen dürfte hierfür auch ein Grünen-Parteitag eine hohe Hürde sein. Daneben gibt es aber weitere große Streitthemen, die alle miteinander zusammenhängen.

Streitpunkt Schuldenbremse und Übergewinnsteuer

Gerade Energiekonzerne haben zuletzt durch die im Zuge des russischen Krieges gestiegenen Energiekosten satte Gewinne eingefahren. Auch deutsche Gasversorger wie Wintershall Dea wiesen einen Gewinn von 1,3 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2022 aus, RWE sogar 5 bis 5,5 Milliarden Euro.

Umstritten ist auch, dass die Gas-Kunden nun mit einer hohen Umlage, die ab 1. Oktober greifen soll, indirekt die milliardenschwere Rettung des wichtigen Gashändlers Uniper mitbezahlen sollen.

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Lindner pocht aber bisher auf einen Zweiklang: Ab 2023 soll die Schuldenbremse wieder gelten, er sieht daher kaum Raum für weitere Entlastungen. Zugleich lehnt er jede Form von Steuererhöhungen ab.

SPD-Chefin Esken will Gewinne abschöpfen - die Grünen auch

Die SPD will nun dennoch einen neuen Anlauf nehmen, eine Übergewinnsteuer für Konzerne einzuführen, „die sich an der Krise bereichern“, wie Parteichefin Saskia Esken der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte.

„Es ist nicht hinzunehmen, dass Energiekonzerne Krisengewinne einfahren in einer Zeit, in der der Staat Gasversorger mit einer solidarischen Preisumlage stabilisiert oder gar mit Steuergeldern. Das wird zu Recht als große Ungerechtigkeit empfunden“ , erklärte sie.

Lindner warnt dagegen, eine derartige Abgabe werde „Tür und Tor öffnen für die Beliebigkeit im Steuersystem“. In der FDP wird immer wieder auf das Unternehmen Biontech verwiesen, dass durch die Entwicklung des Impfstoffes zwar riesige Gewinne gemacht hat, aber diese wiederum in hohem Maße zum Beispiel in die Krebsforschung investiert.

Auch der Wissenschaftliche Beirat des Finanzministerium warnt vor „willkürlichen Belastungen und Verzerrungen“ im deutschen Steuersystem.

SPD sieht Krisenprofite - ohne Leistung

Esken kontert, dass Unternehmen ohne eigene Leistung von der Krise profitieren, sei eine Schieflage, „an die wir ran müssen“. Mehrere Länder hätten längst eine Übergewinnsteuer eingeführt. Auch der Tankrabatt sei von den Mineralölkonzernen nicht in vollem Maße an die Verbraucher weitergegeben worden.

Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich will gerade bei den Energiekonzernen Gewinne abschöpfen – derzeit setzt das teuerste Kraftwerk am Markt den Preis im Strombereich für alle.

Das ist in der Regel ein zur Stromproduktion eingesetztes Gaskraftwerk, wegen des hohen Gaspreises wird dadurch der Strompreis stark in die Höhe getrieben und vergrößert auch die Gewinne etwa für Betreiber von Kohle- oder Atomkraftwerken.

Im Krisenmodus: Christian Lindner, Robert Habeck und Kanzler Olaf Scholz.
Im Krisenmodus: Christian Lindner, Robert Habeck und Kanzler Olaf Scholz.

© IMAGO/photothek

Vorbild Spanien?

Im Tagesspiegel hat der Grünen-Politiker Jürgen Trittin auf andere Länder wie Spanien verwiesen. Nun würden auch die Stadtwerke München bereits auf fast eine halbe Milliarde Gewinn durch eine Laufzeitverlängerung für das Atomkraftwerk Isar 2 spekulieren.

„In Spanien würde ihnen das weggenommen. Die Spanier kriegen über die Übergewinnsteuer von ihren Energie- und Mineralölunternehmen sieben Milliarden Euro an Einnahmen.“ Damit würde eine staatliche Deckelung des Gaspreises finanziert.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, erhöht wie SPD-Chefin Esken den Druck auf die FDP. „Menschen mit geringem Einkommen werden durch die hohen Preise bei fossiler Energie stark belastet und brauchen deshalb Unterstützung“, betont Dröge. Eine Übergewinnsteuer auf Krisengewinne wäre eine gerechte Möglichkeit, diese zu finanzieren.

Hier ist also das letzte Wort noch nicht gesprochen. In den Reihen von SPD und Grünen wird der FDP vorgeworfen, vor allem auf Blockade zu setzen, aber letztlich wissen fast alle, dass es ohne weitere Entlastungen für die Bürger nicht gehen wird, Kanzler Scholz hat mit seinem Versprechen an die Bürger - You'll never walk alone – große Erwartungen geweckt.

Aber die Finanzierung ist völlig unklar. Trittin rechnet damit, dass Lindner am Ende einlenken muss: „Diese Schuldenbremse wird Weihnachten nicht überstehen.“ An der Frage kann am Ende jedoch die ganze Koalition hängen. 

Streitpunkt Bürgergeld - die SPD fürchtet um ihr Kernprojekt

Annika Klose ist sichtlich besorgt. Die Berliner Bundestagsabgeordnete ist die Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für das Bürgergeld; jahrelang hat sie für diese Umwandlung des Hartz-IV-Systems gekämpft, dass es humaner, unbürokratischer wird – und mit besserer Beratung für Arbeitssuchende.

Nun kämpft sie gegen allerlei Schieflagen in der Debatte. Die Union redet vom Einstieg in ein bedingungsloses Grundeinkommen, und dass es angeblich keine Sanktionen mehr geben solle, was beides nicht stimmt. Die FDP wiederum tritt bei der Frage der künftigen Regelsätze deutlich auf die Bremse, auch wegen der Zwänge der Schuldenbremse.

Finanzminister Lindner will zudem die Steuerzahler in Sachen kalte Progression entlasten – und neueste Idee ist, den Sparer-Pauschbetrag von 800 auf 1000 Euro anzuheben, dann müssen zum Beispiel Aktienanleger und Sparer weniger von Gewinnen und Zinserträgen abgeben.

Die Berliner Bundestagsabgeordnete Annika Klose pocht auf das Bürgergeld.
Die Berliner Bundestagsabgeordnete Annika Klose pocht auf das Bürgergeld.

© imago/Eibner

Streit um die Höhe der Regelsätze

Die SPD hat dagegen andere Zielgruppen im Blick. Derzeit beträgt der Hartz-IV-Regelsatz monatlich 449 Euro für eine alleinstehende Person ohne Kinder; Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kann sich rund 50 Euro mehr vorstellen – wegen der Inflationsfolgen. Bisher werden zur Berechnung der Sätze die Ausgaben der untersten 15 Prozent der Einpersonenhaushalte herangezogen, da sind aber viel Rentner dabei, die ganz andere Bedarfe und Ausgaben haben als junge Menschen.

Klose ist dafür, dass man künftig die untersten 20 Prozent berücksichtigt – und die Sätze spürbar erhöht. „Wir können die Leute nicht auf den explodierenden Preisen sitzen lassen“, sagt sie im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Sie stört, dass jetzt wieder ein Bild fauler Arbeitsloser gezeichnet werde. „Wir sollten aufhören, immer nach unten zu treten, gerade jetzt.“ Die FDP hat nun statt deutlich höherer Sätze die Idee ins Spiel gebracht, einen Bonus für Hartz-IV-Empfänger einzuführen, die im Winter Heizkosten sparen.

Überall werden Arbeitskräfte gebraucht - hilft bessere Beratung?

Die noch auf dem Konzept der früheren SPD-Chefin Andrea Nahles beruhenden Vorschläge liegen wegen des Koalitionsstreits bisher nicht als Gesetzesentwurf vor, Scholz hat aber die Einführung des Bürgergelds ab Januar 2023 fest zugesagt.

Es soll dann auch weniger stark auf Vermögen zugegriffen werden: In den ersten beiden Jahren soll das Bürgergeld auch gezahlt werden, wenn der Empfänger ein Vermögen von bis zu 60.000 Euro hat.

Ein Aspekt ist auch, dass es weniger Sanktionen geben soll, etwa beim Verpassen von Terminen oder Nichtannahme von Arbeitsangeboten. 30 Prozent soll die maximale Kürzung der Leistungen betragen. „Der Kompromiss ist akzeptabel“, sagt Klose.

Sie hätte zudem gerne, dass die Beratung in den Jobzentren besser und persönlicher wird. „In der Realität kommt oft eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter auf 300 bis 400 Kunden, ideal wäre ein Schlüssel von 1 zu 75.“ Aber auch das kostet sehr viel Geld.

Andrea Nahles ist ab August die neue Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA) - und setzt auf das von ihr entwickelte Bürgergeld.
Andrea Nahles ist ab August die neue Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA) - und setzt auf das von ihr entwickelte Bürgergeld.

© DAniel Karmann/dpa

Die Rückkehr der Andrea Nahles

Nahles, die an diesem Montag als neue Chefin der Bundesagentur für Arbeit startet und so an der Umsetzung ihres Kernprojekts, dem „Überwinden“ des Hartz-IV-Systems, aktiv mitwirken kann, betont, wie wichtig gerade jetzt eine gute Betreuung sei.

Denn die Menschen würden gebraucht, das zeige der mannigfache Arbeitskräftemangel, „wir brauchen sie alle, Fachkräfte und Helfer“.

Viele Parteilinke in der SPD haben den 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr nur zugestimmt, weil sie dachten, dass im Gegenzug Herzensprojekte wie das Bürgergeld kommen.

Daher wird die Lage auch für Kanzler Olaf Scholz ungemütlicher, er steht hier unter Lieferdruck. Klose schwant für den Herbst jedenfalls nichts Gutes: „Das wird ein harter Kampf.“ Gerade mit der FDP.

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