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Die britische Premierministerin Theresa May.

© REUTERS/Henry Nicholls

Streit um Brexit-Frist: Jetzt macht Theresa May wirklich Kamikaze

Drei Monate Zusatzfrist will May – das führt ins Chaos. Die EU muss die Briten vor die Wahl stellen: Zwei Jahre Verlängerung oder Brexit sofort. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Nur neun Tage bleiben noch bis zum "Brexit Day". Und wer der Erzählung von Theresa May als einer verantwortungsbewussten Politikerin geglaubt hat, die als protestantische Pfarrerstochter ihre Pflicht tut und inmitten von Chaos und Zumutungen stoisch ihren Weg geht, um ihr Land und Europa vor Unheil zu bewahren, sollte überlegen, wie weit diese Darstellung noch trägt.

May agiert störrisch, nicht stoisch

May ist auf Kamikaze-Kurs. Weil sie nicht eingestehen möchte, dass ihr Weg gescheitert ist, führt sie genau den Chaos-Brexit herbei, den sie angeblich vermeiden will. May möchte die EU, wie aus London zu hören ist, nur um maximal drei Monate Verlängerung der Austritts-Frist bitten. Sie hält störrisch – nicht stoisch – am eingeschlagenen Kurs fest, dass das Parlament ihrem Austrittsvertrag zustimmen muss, um einen "No Deal"-Brexit zu verhindern. Sie hat aber die Stimmen nicht zusammen. Und nichts spricht dafür, dass sie bei einer dritten Abstimmung eine Mehrheit bekommt. 

Zudem hat der Speaker des Parlaments, John Bercow, ein solches drittes Votum über ein und denselben Antrag ausgeschlossen. Diese prozedurale Hürde wird sich wohl überwinden lassen. Nach dem EU-Gipfel samt einer wie auch immer gearteten Entscheidung zur Fristverlängerung ist eine neue Lage da, der Abstimmungsantrag also nicht mehr derselbe.

Weit folgenreicher ist die Frage: Was passiert, wenn Mays Austrittsvertrag auch nächste Woche keine Mehrheit findet? Und das ist die wahrscheinliche Variante. Dann bleiben nur noch wenige Tage, um das Chaos eines "No Deal"-Brexits und die schweren Schäden für die britische und die europäische Wirtschaft abzuwenden. Oder es bleibt – je nachdem, wie der EU-Gipfel verläuft – eine weitere Galgenfrist von bis zu drei Monaten. Niemand hat eine Idee, wie in dieser Zeit eine Lösung herbeigeführt werden kann. Am Ende dieser kurzen Frist stünden die Briten und die Europäer vor der selben Situation: ein Chaos-No-Deal-Brexit droht.

Wäre May die verantwortungsbewusste Regierungschefin des wohlmeinenden Narrativs, müsste sie eingestehen, dass ihr Versuch, ein positives Votum über ihren Austrittsvertrag mit dem Schreckensszenario "No Deal" zu erpressen, gescheitert ist. Und dann würde sie mit dem Antrag auf zwei Jahre Verlängerung zum EU-Gipfel fahren. 

"Wait and see" führt nicht weiter

Es ist inzwischen offenkundig, dass die Briten Zeit brauchen – viel mehr Zeit als ein paar Monate – um einen verantwortbaren Weg aus der EU zu finden. Sie müssen klären, welches künftige Verhältnis zur EU mehrheitsfähig ist – etwa eine Zollunion oder ein anderes Modell? Da May offenbar Einsicht und Wille fehlen, den richtigen Weg einzuschlagen, bleibt nur die Hoffnung, dass die EU-Regierungschefs ihr beim Gipfel ein Ultimatum stellen: Die Alternative zu ihrem Austrittsvertrag ist nicht dessen Ablehnung plus drei Monate Verlängerung, in denen weiter "wait and see" gilt. Das britische Parlament muss zu einem Entweder-Oder-Beschluss gezwungen werden: entweder eine Mehrheit für den ausgehandelten Austrittsvertrag oder eine Verlängerung um zwei Jahre – als einzige Alternative.

May ist eine Premierministerin, die sich in eine Sackgasse manövriert hat und der es am Willen zum Umdenken und zur Umkehr fehlt. Der Schaden für Großbritannien und für Europa wächst.

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