zum Hauptinhalt
Gefahr für den Euro. Während der Krise könnte der Schuldenberg von Ländern wie Italien weiter wachsen.

© imago images/Future Image

Streit über Corona-Bonds: Nord gegen Süd

Die Länder der Euro-Zone streiten über Corona-Bonds. Nun gibt es einen Vorschlag für mögliche europäische Finanzhilfen.

Zu einem frühen Zeitpunkt in der Corona-Krise war den Verantwortlichen klar, dass das Virus auch eine Gefahr für den Zusammenhalt in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion darstellt. Um das Risiko der Spekulation an den Finanzmärkten gegen einzelne Euro-Staaten wie Italien gar nicht erst aufkommen zu lassen, hatte die Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, im vergangenen Monat ein Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro angekündigt. Das Programm soll nicht zuletzt vom Coronavirus besonders betroffenen Staaten wie Italien bei der Refinanzierung an den Märkten helfen.

Dies hält einige europäische Staatenlenker wie Italiens Regierungschef Giuseppe Conte oder Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron aber nicht davon ab, weitere finanzpolitische Instrumente zu fordern, die den Zusammenhalt zwischen Nord- und Südeuropäern in der Krise zusätzlich sicherstellen sollen. Conte, Macron und sieben weitere Staats- und Regierungschefs fordern Corona-Bonds, also europäische Gemeinschaftsanleihen. Solche Corona-Bonds würden die Anleihezinsen für Staaten wie Italien senken und für vergleichsweise solide Länder wie Deutschland erhöhen.

Sorgenkinder

Der bange Blick in der Euro-Zone richtet sich in erster Linie auf Spanien und Italien. Die beiden Länder weisen in der EU die meisten Corona-Fälle auf. Vor allem in Italien könnte die Staatsverschuldung während der Krise vollends aus dem Ruder laufen, falls das Land Probleme mit der Refinanzierung bekommen sollte. Schon jetzt beträgt die Gesamtverschuldung dort mehr als 130 Prozent der Wirtschaftsleistung. Falls die Anleihezinsen wie schon während der Euro-Krise in Italien erneut in die Höhe schnellen sollten, könnte dies die Schuldenlast weiter erhöhen – und möglicherweise zu Spekulationen an den Finanzmärkten gegen das EU-Gründungsland einladen.

Vor diesem Hintergrund wird Italiens Regierungschef Conte nicht müde, vor allem in Deutschland für die Idee von Corona-Bonds zu werben. In der ARD erklärte er, Corona-Bonds würden nicht dazu führen, „dass die Deutschen beim Wiederaufbau, vor dem Italien steht, auch nur einen Euro für die italienischen Schulden bezahlen müssen“. Der „Zeit“ sagte Italiens Regierungschef wiederum, dass es nicht darum gehe, eine „Transferunion“ innerhalb der Euro-Zone zu schaffen.

Streit um Hilfen

Beim letzten EU-Gipfel, der im vergangenen Monat per Videokonferenz stattfand, haben die Staats- und Regierungschefs den Streit um Corona-Bonds lediglich vertagt. Nun sollen die Finanzminister der Gemeinschaft am kommenden Dienstag eine konsensfähige Lösung vorlegen.

In Deutschland haben sich in der Zwischenzeit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans auf eine gemeinsame Linie nach dem Motto verständigt: Streit vermeiden und schnell handeln. Zwar werde auch hierzulande über eine Gemeinschaftsanleihe diskutiert, weil das „einheitliche und günstigere Bedingungen bei der Kapitalbeschaffung mit sich bringen würde“, schreiben die beiden an den SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich. Doch dafür fehle „eine breite Akzeptanz innerhalb Deutschlands und unter den Mitgliedstaaten".

Tatsächlich lehnt eine Mehrheit der Mitgliedstaaten Gemeinschaftsanleihen ab, weil sie nicht für die Schulden anderer haften wollen. Nicht nur die Bundesregierung lehnt Corona-Bonds ab, sondern auch Länder wie Österreich, die Niederlande und Finnland. Im Fall Deutschlands kommt hinzu, dass ein neues europäisches Finanzinstrument in jedem Fall so gestaltet werden müsste, dass es nicht gleich wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird.

Der promovierte Ökonom Walter-Borjans, eigentlich ein Befürworter von Euro- oder Corona-Bonds, schlägt nun gemeinsam mit dem Juristen Scholz einen Kompromiss vor, der angeblich auch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgestimmt ist: „Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) bietet die Möglichkeit, dass die Euroländer gemeinsam und zu den gleichen günstigen Konditionen Kapital aufnehmen." Anders als in der Finanzkrise soll der ESM die Mittel ohne Auflagen vergeben. Der Ruf des ESM ist vor allem in Südeuropa schlecht, weil er Kredite unter strengen Auflagen vergeben hatte. Länder wie Griechenland und Spanien mussten seinerzeit nicht nur Souveränität abgeben, sondern sie wurden auch zu Sparmaßnahmen sowie Lohn- und Rentenkürzungen gezwungen.

Die aktuell schlechte Verfassung des spanischen Gesundheitssystems erklärt etwa Walter-Borjans auch mit der verordneten Austeritätspolitik. Das soll nicht wieder passieren. „Wir sind bereit, auf strenge makroökonomische Konditionalitäten bei der Bereitstellung einer vorsorglichen ESM-Hilfe weitestgehend zu verzichten", heißt es in einem Papier der beiden SPD-Politiker. „Die Mittel sollen lediglich dadurch beschränkt werden, dass sie für Corona-induzierte Aufwendungen genutzt werden dürfen."

Alle Eurostaaten sollen zugreifen können auf den ESM-Topf, der nach den Vorstellungen von Scholz und Walter-Borjans bis zu zwei Prozent der Wirtschaftsleistung der Euro-Staaten umfassen sollte. Das wäre indes deutlich weniger als die 1000 Milliarden Euro, die sieben deutsche Ökonomen als Volumen einer einmaligen Gemeinschaftsanleihe vorschlagen.

Zu diesen Ökonomen gehört Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftseigenen Forschungsinstituts IMK. Er begrüßt die ESM-Idee der Sozialdemokraten, hält sie aber nicht für ausreichend. „Euro-Bonds brauchen wir trotzdem“, sagte Dullien dem Tagesspiegel. Das Hauptziel einer gemeinsamen Kapitalbeschaffung im Euro-Raum sei eine Senkung der Zinssätze oder Risikoprämien auf staatliche Anleihen. Dazu tauge der ESM nur bedingt, wie das aktuelle Zinsniveau am Beispiel Italiens zeige: Für Staatsanleihen müsse Rom derzeit etwa 1,4 Prozent am Kapitalmarkt zahlen, der Preis der ESM-Kredite liege nur knapp darunter. Weitere Vorteile der Gemeinschaftsanleihe liegen Dullien zufolge in der Entlastung der EZB sowie in der Solidarität: „Die Europäer bewältigen die Krise gemeinsam. Es gibt durch die Krise kein Stigma.“ Anders als beim Einsatz des ESM, der als „Sozialamt“ Europas gilt.

Positiv bewertet Dullien unterdessen den Ansatz der SPD-Politiker, die Europäische Investitionsbank (EIB) als eine Art europäische Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aufzurüsten und mit einem Kreditgarantiefonds von bis zu 50 Milliarden Euro auszustatten. „Zur Auflage dieses Programms sind wir bereit (…) auch zusätzliche bilaterale Garantien an die EIB zur prüfen“, heißt es im Papier der Sozialdemokraten. Damit könnten Kredite vor allem für kleinere Unternehmen zu 80 Prozent abgesichert werden; in Deutschland deckt die Kfw 90 Prozent ab, der Kreditrahmen beläuft sich auf 750 Milliarden Euro.

Geld im EU-Haushalt

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen plant einen neuen Entwurf für den Mehrjahreshaushalt der EU zwischen 2021 und 2027. In dem Sieben-Jahres-Haushalt, der ein Budget von rund einer Billion Euro vorsieht, will von der Leyen jetzt ein Konjunkturpaket einschließen. Ein derartiges milliardenschweres Konjunkturpaket, das vor allem Ländern wie Italien und Spanien zugute kommen könnte, soll nach den Worten von der Leyens den „Zusammenhalt der Union durch Solidarität und Verantwortung" sicherstellen.

Allerdings umfasst der Brüsseler Mehrjahreshaushalt, über den sich die EU-Staaten in diesem Jahr noch verständigen wollen, nur ein Prozent der Wirtschaftsleistung in der EU. Deshalb hätte ein zusätzliches Konjunkturpaket aus dem EU-Haushalt eher flankierende Wirkung. Dennoch könnte es dazu beitragen, den Streit zwischen Nord- und Südeuropäern zu entschärfen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false