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Der neue Fixstern am Horizont. Der Genderstar.

© imago/Steinach

Sprachsensibilität in Pandemiezeiten: Frauen brauchen keine Sternchen-Pedanterie, sondern ein faires Gehalt

Die Pause in der Mitte eines Wortes kostet weniger als das Füllen des Gender Pay Gaps. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Als draußen gar nichts mehr ging, kein Ausgehen, keine Feste, kein Theater mehr, kam etwas Anderes auf. Im Stillstand der Pandemie begann das innere Aufräumen. Leute misteten ihre Keller aus und renovierten ihre Lauben, vermehrt wurden Farbtöpfe und Schrauben aus Baumärkten geschleppt. Andere Leute wiederum machten sich daran, den Raum der Sprache intensiver zu bearbeiteten.

Veraltete Sprachgewohnheiten wurden ausrangiert, manche Redeweise entfernt oder umsortiert. Zuhause bleiben beim Schreiben, Lesen, Posten, Chatten und Bloggen war ja eine weitere, erlaubte Sphäre der Aktivität.

Könnte es sein, dass es ein bisschen so war? Mit der Pflicht zum Drinbleiben blühte es in den Treibhäusern der Innerlichkeit. Hier frisch tapezierte Wohnzimmer, dort das Intensivieren langgehegter Reformpläne. Vorstöße zu mehr Diversität und Inklusion – exzellente demokratische Ziele – erhielten einen kräftigen Schub.

Vermutlich war selten mehr von Sprachsensibilität die Rede. Am Laptop entdeckten immer mehr Menschen die Sternchen-Taste. Mit viel Energie kam eine große Sternchenproduktion für Texte in Gang. Auch gesprochene Sternchen tauchten am Sprachhimmel auf.

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In Fernsehen und Radio verbreitet sich der inkludierende Gender-Gap, die hauchkleine Pause vor einer Endung, der pausegewordene Stern, etwa im Wort „Schüler*innen“. Trainiert auf den neuen Gap pflanzte eine Sprecherin im Radio neulich reflexhaft die Pause auch in das Wort „Bundes_innenministerium“. Es ist eben eine Lernphase.

Akronyme, die man sich kaum merken kann

Zu ihr gehört auch ein Workshop für Abkürzungen aus dem Inneren der Identitätspolitik, wie PoC für Person of Colour, BIPoC für Black Indigenous Person of Colour, QTIPOC für Queer Transgender Person of Colour, LGBTQI für Lesbian, Gay, Bisexual, Queer and Intersexual, LGBTQA für Lesbian, Gay, Bisexual, Queer and Asexual, und nicht zu vergessen FLINT* für Female, Lesbian, Inter, Non-binary und Trans*-Person.

Könnte es aber sein, dass jetzt im Treibhaus zunehmend bittere Pflanzen wuchern?

Der Eindruck entsteht etwa, wenn uralte Songtexte nach unerwünschten Vokabeln durchforstet werden. Oder wenn Wochen nach einer Talkshow mit teils geschmacklos schwafelnden Herren deren Rassismen und Sexismen entlarvt werden, als seien die Plauderer Verbrecher.

Oder wenn Medien im Treibhaussinn unpassende Texte publizieren und dafür tausendfach attackiert werden. Je länger sich das Fehlen von Lockerungen hinzieht, so scheint es, desto stärker zeigt sich auch fehlende Lockerheit im Identitäts-Diskurs. Eine hauchkleine Pause wäre gut, Innehalten in der Innerlichkeit.

Polyphones Rangeln um Identität

Vielversprechend hingegen wirkt der Plot von „Identitti“, einem Roman der Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal, der dieser Tage im Hanser Verlag erscheint. Zentral darin ist ein Skandal.

Die Düsseldorfer Professorin Saraswati, Lichtgestalt der Postcolonial Studies, entpuppt sich als Weiße – dabei galt sie doch an der Uni als Person of Colour. Ein Twittergewitter entlädt sich, ihre Entlassung wird gefordert, polyphones Rangeln um Identität und Authentizität setzt ein.

Ohne Humor könne man die Themen nicht behandeln, erklärt Sanyal, die vielleicht ein Buch der Stunde geschrieben hat.

Legt sich die Aufregung um Gender-Gaps, dann ließe sich wieder in den Blick nehmen, was womöglich konkret mehr verändert, zum Beispiel die Debatte um den Gender Pay Gap, also die beachtliche Kluft zwischen männlichen und weiblichen Einkommen.

Die Pause in der Mitte eines Wortes kostet freilich weniger als das Füllen dieser Lücke, nämlich nichts. Nichts, außer Aufregung.

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