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Leopoldo López bei den Massenprotesten gegen Nicolás Maduro 2014

© REUTERS

Spektakuläre Flucht: Warum Maduros Gegenspieler in Berlin für Venezuela kämpft

Leopoldo López ist mit Juan Guaidó das Gesicht der Opposition Venezuelas. Er flüchtete verkleidet als Elektriker und bittet eindringlich um deutsche Hilfe.

Konstantin Kuhle wundert sich. Eigentlich sollte Leopoldo López nur mit zwei Begleitern kommen, jetzt stehen da sechs Männer, zusammen mit den eigenen Leuten könnte das unter Corona-Bedingungen etwas schwierig werden.

Der FDP-Abgeordnete begrüßt den in Venezuela als Staatsfeind verfolgten López auf Spanisch, bei ihm hat das „Como estás“, das „Wie geht’s“ eine ganz besondere Bedeutung, nachdem was er durchgemacht hat.

Die drei gut gebauten Begleiter mit Knopf im Ohr sind Personenschützer des LKA, sie werden schließlich vor dem Besprechungsraum im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestags warten.

Auch nach seiner Flucht kann sich López nicht sicher sein, er lebt seit einigen Monaten in Madrid und kämpft nun auch in Berlin dafür, dass Nicolás Maduro im Schatten der Pandemie Venezuela nicht vollends in eine Diktatur verwandeln und es irgendwann wieder freie Wahlen und einen Ausweg aus der humanitären Katastrophe geben kann.

Er erinnert in seiner Unerbittlichkeit, aber auch von der Statur an den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, dessen Schicksal er gebannt verfolgt und dessen Botschaften er immer wieder bei Twitter teilt.

Der 49-Jährige López ist Chef der führenden Oppositionspartei Voluntad Popular („Volkswille“), allein bei Twitter folgen ihm 5,3 Millionen Menschen. Er ist aber in der Heimat wegen seiner Aktionen nicht unumstritten, zudem gilt er als Vertreter der wohlhabenden Elite. Er war Anführer der Massenproteste 2014 gegen den sozialistischen Präsidenten Maduro. Es gab mehrere Tote, er wurde zu fast 14 Jahren Haft verurteilt und kam in das berüchtigte Militärgefängnis Ramo Verde.

López' Frau, Lilian Tintori, kämpfte nach seiner Inhaftierung für seine Freiheit.
López' Frau, Lilian Tintori, kämpfte nach seiner Inhaftierung für seine Freiheit.

© AFP

Seine Frau Lilian Tintori, frühere Kitesurfmeisterin, übernahm seine Rolle auf der Straße, kämpfte für seine Freiheit. Sie reiste zu Papst Franziskus in den Vatikan, wurde von Donald Trump im Weißen Haus empfangen. Seit 2017 durfte López die Haft dann im Hausarrest verbringen, vor dem Haus immer reichlich Sicherheitskräfte.

Als 2019 aus den Reihen seiner Partei der neue Präsident des damals noch von der Opposition kontrollierten Parlaments gewählt werden sollte, fiel die Wahl auf Juan Guaidó, López stand ja unter Arrest. Nachdem Guaidó sich wenig später zum Interimspräsidenten erklärte und über 50 Staaten ihn anerkannten, stand Maduro vor dem Sturz.

Guaido fand auch deshalb so viel Zuspruch, weil er auf einen friedlichen Wandel setzte, ausgleichender und weniger polarisierend als etwa in den Vorjahren López auftrat.

López wurde in jenen chaotischen Wochen in Caracas von abtrünnigen Militärs aus dem Arrest befreit, tauchte bei Massenkundgebungen auf – flüchtete aber schließlich erst in die chilenische, dann in die spanische Botschaft. Dort lebte er bis Oktober 2020, immer rund 20 Geheimdienstleute davor.

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Die spektakuläre Flucht

„Ich war isoliert und die Botschaft komplett umzingelt“, erzählt er im Raum 6.556 des Jakob-Kaiser-Hauses, dem sogenannten Aquarium, mit Blick auf das Reichstagsgebäude, der Himmel im Berliner Wintergrau.„Und manchmal setzten sie Spanien unter Druck, indem sie das Licht den Strom kappten, das Wasser abstellten und immer weiter den Druck erhöht haben.“ Wie ist er daraus gekommen?

Darüber ist bisher wenig bekannt. „Ich kann Ihnen sagen, dass ich keine Unterstützung von den Spaniern erhalten habe, weil ich keine Kompromisse eingehen wollte.“

Seine Flucht führte zu schweren diplomatischen Verwerfungen zwischen Caracas und Madrid. „Also habe ich einen Monat lang geplant. Und dann habe ich Venezuela verlassen, indem ich das gesamte Gebiet mit einem Kostüm, einer Verkleidung durchquerte.“

Details, wie er genau, wohl versteckt in einem Auto, aus der Botschaft kam, verrät er nicht. „Ich hatte einen Pass, wir hatten ein Fahrzeug, wir hatten alle möglichen Verschleierungstaktiken, gaben uns als Arbeiter eines Elektrizitätsunternehmens aus.“

Als sie die Grenze zu Kolumbien überquerten, an der Karibikküste gibt es am offiziellen Schlagbaum vorbei viele Schleichwege durch das Territorium von Indigenas, war López frei – per Flug ging es zu Frau und Kindern nach Madrid.

Er denkt nochmal über die lebensgefährliche Flucht nach, fragt plötzlich: „Kennen Sie Argo?“ Das war die Inspiration. Es ist ein US-Thriller über sechs Amerikaner im Iran, die die bei der Botschaftserstürmung 1979 entkommen und sich in die Botschaft Kanadas flüchten konnten. Doch wie von dort außer Landes kommen? Mit neuen Papieren wurden sie schließlich kanadische Filmschaffende, die mit offizieller Erlaubnis im Iran Drehorte für einen Science-Fiction-Film suchten, und es mit dieser Tarnung mit viel Glück und in einem dramatischen Finale raus aus dem Iran schaffen.

 Der Mauerfall als Inspiration

Im Aquarium lässt sich López von Konstantin Kuhle und dem FDP-Abgeordneten Ulrich Lechte, der das Treffen organisiert hat, den früheren Mauerverlauf zeigen. „Veränderungen können passieren, Dinge, die für immer da zu sein schienen, können sich in Sekunden ändern“, sagt López.

Das einst reichste Land Lateinamerikas mit den weltweit größten Ölreserven wird von Hunger, hohen Mordraten und Repression durch Polizei und Motoradbanden erschüttert. Die höchste Inflation der Welt, das Bruttoinlandsprodukt in den letzten fünf Jahren um über 80 Prozent eingebrochen. „Es ist heute auf dem Niveau von Trinidad und Tobago“, sagt López. Die Zustimmung zum Regime wird über Lebensmittelkarten und andere Vorteile sichergestellt. Die Goldreserven schmilzen, zum Teil muss Öl wegen maroder Förderanlagen aus dem Iran importiert werden, dafür ist der Kokainhandel ein guter Devisenbringer.

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Baut Venezuela immer mehr in ein autoritäres Regime um: Der Nachfolger von Hugo Chávez, Nicolas Maduro.
Baut Venezuela immer mehr in ein autoritäres Regime um: Der Nachfolger von Hugo Chávez, Nicolas Maduro.

© AFP

Mehr Kleptokratie als Sozialismus

Mit Sozialismus hat vieles wenig zu tun. Es ist eher eine Kleptokratie, das Militär kontrolliert viele Wirtschaftsbereiche. Nach Schätzungen würden bis Ende des Jahres 8,1 Millionen Venezolaner im Ausland leben, die meisten in Kolumbien, sagt López. Auch in Deutschland wurden von 2015 bis 2020 über 2000 Asylanträge von geflüchteten Venezolanern gestellt, die Anerkennungsquote ist mit 40 bis 50 Prozent relativ hoch.

Nach dem Verteilungsschlüssel für Antragsteller ist Sachsen zuständig. Dort standen Venezolaner 2019 mit einem Anteil von 11,4 Prozent an erster Stelle, heißt es in einem Bericht des Vereins „Einheit für Venezuela“. Auch wenn die Welt die Augen etwas abgewandt hat von dieser schwersten Krise Lateinamerikas, der Riss geht schon quer durch den Bundestag. Mehrere Linken-Abgeordnete stehen in Treue fest zu Maduro.

Corona stoppt Proteste

López war auch im Auswärtigen Amt, bei Staatssekretär Nils Annen (SPD), denn die Lage ist für die mittlerweile in großen Teilen ausgeschaltete Opposition auch durch die Unterstützung Russlands, Chinas, der Türkei, Kubas und des Iran für das Maduro-Regime etwas aussichtslos - und Deutschland ein Schlüsselstaat für mögliche Vermittlungen in dem Konflikt, der weit mehr als Innenpolitik ist, es geht auch um Bodenschätze und handfeste geostrategische Interessen im Hinterhof der USA. López erhebt den Vorwurf, dass mit hohen Geldsummen Oppositionsabgeordnete von den Sozialisten gekauft worden seien, Juan Guaidó müsse aus Angst vor Repressalien fast jeden Tag die Wohnung wechseln. Und wegen Corona seien gerade keine Massenproteste auf der Straße möglich. Die Frustration über die Stabilisierung des Regimes führe zu Hoffnungslosigkeit. „Wir müssen das Momentum zurückbringen.“

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Ohne Macht und drangsaliert: Juan Guaidó, der sich 2019 als Vertreter von López' Partei Voluntad Popular zum Intermimspräsidenten erklärte.
Ohne Macht und drangsaliert: Juan Guaidó, der sich 2019 als Vertreter von López' Partei Voluntad Popular zum Intermimspräsidenten erklärte.

© AFP

Ist Guaidó noch Interimspräsident?

Durch die international nicht anerkannte Parlamentswahl vom 6. Dezember dominieren die Sozialisten nun auch wieder das Parlament – Guaidó ist nicht mehr der Parlamentspräsident, auf dieser Basis hatte er sich 2019 wegen der ebenfalls als unrechtmäßig eingestuften Präsidentschaftswahl zum Interimspräsidenten bis zu freien und fairen Wahlen ausgerufen.

Die Opposition hat zwar mit Guaidó an der Spitze ein Parallelparlament begründet, aber es ist machtlos und wird drangsaliert. Aus Sicht des FDP-Politikers und Venezuela-Kenners Ulrich Lechte ist es ein wichtiges Signal, dass López weiter zu Guaidó steht und nicht vom Ausland versucht, sich selbst als kommenden Mann nach einem Wandel anzupreisen.

Die Opposition ist zer- und umstritten

Denn zur Wahrheit gehört auch, dass die von vielen als elitär empfundene Opposition in Venezuela immer wieder durch ihre interne Zerstrittenheit, dem Streit über Mittel und Taktik gegen Maduro sich auch selbst geschwächt hat. Und viele Arme haben von der Politik der Sozialisten stark profitiert.

Das Europaparlament und Staaten wie die USA, Großbritannien, Uruguay und Kanada erkennen Guaidó weiter als Interimspräsidenten an. Auf eine Anfrage Lechtes betont das Auswärtige Amt: „Weder die Europäische Union noch die Bundesregierung erkennen das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 6. Dezember 2020 an.

Die Position der Bundesregierung hat sich in der Folge nicht verändert.“ Man unterstütze die von Juan Guaidó angeführten demokratischen Kräfte in Venezuela weiterhin mit dem Ziel, „einen Ausweg aus der Krise durch freie, faire und glaubwürdige Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu befördern.“ Doch ein klares Bekenntnis ist das nicht.

„Ich erwarte auch von der Bundesregierung ein eindeutiges und unmissverständliches Bekenntnis zur Anerkennung von Juan Guaidó als Interimspräsidenten von Venezuela“, sagt Lechte, denn es gebe wegen der illegitimen Wahl eine institutionelle Kontinuität.

Die FDP will hier weiter Druck machen – López setzt neben dem neuen US-Präsidenten Joe Biden besonders auch auf die EU, um doch noch eine Wende herbeizuführen. „Wir brauchen Europa auf der Seite der Demokratie“, sagt López. Und man brauche auch finanzielle Hilfen.

Ein letzter Blick auf den Reichstag, ein freies, demokratisches Parlament. Dann muss er weiter, werben, dass der Kampf für Venezuela nicht vergessen wird.

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