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Eine Spritze und dann die ganze Freiheit? Das ist unwahrscheinlich. Aber mit der Zeit steigt der Anspruch darauf.

© Gil Cohen Magen/XinHua/dpa

Soll es Privilegien für Geimpfte geben?: Eine Unterscheidung muss keine Diskriminierung sein

Stimmen werden lauter, die gesetzliche Diskriminierungsverbote von Nicht-Geimpften fordern. Lohnt die Diskussion? Oder spaltet sie am Ende nur? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Zum Ende des Jahres gewinnt eine Diskussion an Fahrt, von der es spätestens mit den ersten guten Impfstoff-Nachrichten absehbar war, dass sie kommen würde. Soll es Sonderrechte, soll es Privilegien für alle jene geben, die sich gegen das Virus immunisieren lassen?

Die Frage, auf diese Weise gestellt, beantwortet sich nahezu von selbst: natürlich nicht. Und so ist es auch kein Wunder, dass Stimmen aus Regierung und Koalition lauter werden, die gesetzliche Diskriminierungsverbote fordern. Eine „Impfpflicht durch die Hintertür“ soll es nicht geben, heißt es, die Gesellschaft dürfe nicht gespalten werden.

Die schnelle Einnahme solcher vordergründig entschiedenen Positionen wirkt beruhigend, was in der derzeitigen Stimmungslage zwischen Hoffnung und Gereiztheit sein Gutes hat. Aber sie lässt ein Motiv in den Hintergrund treten, das in der Pandemiezeit politisch leitend sein sollte: den Rückgewinn von Freiheit.

So sind es weniger Sonderrechte oder Privilegien, um die es hier geht. Es geht um Rechte von Veranstaltern, Gastronominnen, Reiseunternehmen. Es geht um Rechte von Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen, von Patienten und Ärztinnen, von Selbstständigen, Konzernen und Kunden. Es geht um Grundrechte. Alle wollen zurück in die Freiheit ihres früheren Alltags. Alle müssen dies können dürfen, sobald es möglich und verträglich ist.

Staatliche Organisationen haben alle gleich zu behandeln, Private in aller Regel nicht

Der Hinweis auf vermeintliche Privilegien verstellt den Blick auf diesen Anspruch, der seinen Ausdruck in der Vertragsfreiheit findet. Prinzipiell steht es jeder und jedem frei, sich auszusuchen, wen sie oder er einlässt, beliefert, bewirtet, befördert oder sonst wie beglückt. Staatliche Organisationen haben alle gleich zu behandeln, Private in aller Regel nicht. Für sie gilt dennoch ein gesetzlich festgelegter Katalog von Diskriminierungsverboten aus Gründen wie etwa ethnischer Herkunft oder sexueller Identität.

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Man kann erwägen, ob man diesen Katalog angesichts des Ausnahmezustands um den Impfstatus ergänzt, um Benachteiligungen zu vermeiden. Aber man sollte sich klar darüber sein, dass damit schnell die nächste Grundrechtsdebatte heraufbeschworen wird. Lockdown und sonstige Maßnahmen unterliegen einem permanenten Rechtfertigungsdruck.

Einem Gesetz, das privaten Unternehmen den Rückweg in ihre alten Freiheiten einschränkt, dürfte es ähnlich ergehen. Wiederum wird es Ungerechtigkeiten, Widersprüche und Klagen geben. Wiederum werden sich viele gegängelt fühlen. Und ob der politische Wunsch, Land und Leute zusammenzuhalten, pauschale Restriktionen juristisch begründet, kann zumindest bezweifelt werden.

Neue Gesetze helfen nicht, Ungewissheit auszuhalten

Lohnt diese Diskussion? Oder spaltet sie am Ende mehr, als wenn Geschäfte, Hersteller, Anbieter und ihre Kunden in ihre alte Vertragsfreiheit entlassen würden? Die Politik hat sich mit guten Gründen gegen eine Covid-Impfpflicht entschieden und Bürgerinnen und Bürger damit zu einer freiwilligen Solidargemeinschaft zusammengefügt. Das wird nur gelingen, wenn eine breite Mehrheit mitmacht.

Wie es aussieht, agiert diese Mehrheit verantwortungsvoll. Es gibt viel Verständnis dafür, Alte und Geschwächte samt Pflegern und Ärztinnen zuerst zu impfen. Es könnte auch Verständnis dafür geben, dass ein Restaurant zunächst nur Geimpfte einlassen möchte, ein anderes vielleicht nicht. Neue Gesetze sind nichts, was hilft, Ungewissheit auszuhalten. Was hilft, ist Geduld.

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