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Laurent Sourisseau, Zeichner und Herausgeber von "Charlie Hebdo".

© dpa

Mohammed, die Karikaturen und wir: Sind wir alle feige?

Der Herausgeber von „Charlie Hebdo“ will keine Mohammed-Karikaturen mehr zeichnen. Warum sollte er auch?

Laurent Sourisseau hat sich entschieden. Der Herausgeber der französischen Satirezeitschrift will den Propheten Mohammed künftig nicht mehr zeichnen. Der Karikaturist und heutige „Hebdo“-Herausgeber hat den islamistischen Anschlag mit zwölf Todesopfern schwer verletzt überlebt. Er lebt und arbeitet wie die Redaktion unter Polizeischutz.

Sourisseau begründete seinen Entschluss im „Stern“-Interview: „Wir haben Mohammed gezeichnet, um das Prinzip zu verteidigen, dass man zeichnen darf, was man will.“ Nicht aus persönlichen Interessen, sondern für die französische Gesellschaft. Nun seien andere dran. Muss sich Sourisseau verteidigen, hat er gar resigniert? Mehr noch: Verrät er die Freiheit der Presse, die Freiheit der Meinung, die Freiheit der Künste? Wesentliche Werte einer aufgeklärten, liberalen Gesellschaft?

Sourisseau hat seinen Mut fast mit dem Leben bezahlt. Er hat Freunde und Kollegen neben sich sterben sehen. Und jetzt soll er – kämpferisch, ungebeugt, heldenhaft – Mohammed weiter karikieren? Ein Leben ist mehr als eine Haltung. Es mag sich jeder einmal vorstellen, wie es sein muss, wieder den Propheten zeichnen zu sollen und dabei all die traumatischen Bilder wegzudrängen, wie um ihn herum gemordet wurde. Laurent Sourisseau ist sich und anderen nichts schuldig, er bleibt Karikaturist, er bleibt Herausgeber von „Charlie Hebdo“, wo keineswegs nur der Islam, sondern alle Religionen kritisiert werden. Die Satiriker werden unverändert das Recht auf Satire verteidigen.

Jede Freiheit wird vom Alltag überwölbt

Sourisseau hat im „Stern“-Gespräch noch eine sehr nachdenkliche Anmerkung gemacht. „Es ist ein wenig seltsam: Man erwartet von uns, dass wir eine Freiheit ausüben, die im Grunde niemand mehr zu nutzen wagt.“ Ein Satz, der Illusionen platzen lässt, Gratismut entlarvt und eine saure Wahrheit verbreitet. Rauf und runter werden nicht nur in der französischen Gesellschaft die eingangs genannten Werte beschworen. Da ist ehrliche Emphase und weniger ehrliche Leidenschaft dabei.

Eine Gesellschaft, die Mohammed-Karikaturen zulässt und verteidigt, sie kauft und verkauft, ist eine Gesellschaft, die Mohammed-Karikaturen zulässt und verteidigt, sie kauft und verkauft. Nicht weniger, nicht mehr. Derartige Zeichnungen sind Mutproben geworden. Von Einzelnen für viele, gebüßt von Einzelnen für viele. Merkwürdige Gemeinschaft, in der Zeichner mutiger sein müssen als der ganze große Rest.

Wenn Sourisseaus Beobachtung richtig ist, werden die großen Freiheitswerte längst – und wurden es wahrscheinlich schon immer – vom Alltag der abgeleiteten Verhaltensweisen überwölbt. Diminutiv vom Morgen bis in den Abend, pragmatisch von Montag bis Samstag, rhetorisch am Sonntag.

Sind wir also alle feige? Lassen die Karikaturisten karikieren und sterben, winden Kränze, drechseln Sätze, vergeben Preise? So ist es, so ist es nicht. Es war und es ist von jeher mühsam, den anderen, die anderen auszuhalten. Der Islamist ist fern, der Nachbar nah. Glorifizierte Karikaturen des Propheten Mohammed sind da eine wahre Perle im Kanon der rationalisierten Werte. Sprich das Tüpfelchen auf dem I wie Intoleranz.

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