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Sigmund Jähn am 24. März 2019 in Chemnitz. Er starb am 21.9. im Alter von 82 Jahren.

© Hendrik Schmidt/dpa/AFP

Tod von DDR-Kosmonaut: Sigmund Jähn verkörperte das DDR-System

Nach seinem Tod feiern alle den DDR-Kosmonauten. Aber er unterstützte eine gewaltvolle Diktatur – und taugt deshalb nicht als Held. Ein Gastbeitrag.

Ilko-Sascha Kowalczuk ist Historiker und Autor zahlreicher Bücher zur DDR-Geschichte, gerade erschien von ihm im Verlag C.H.Beck „Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“.

„Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR“, so lautete die Schlagzeile in der Sonderausgabe des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“ am 27. August 1978, einem Sonntag. Sigmund Jähn war am Tag zuvor mit einem sowjetischen Raumschiff ins Weltall gestartet. Von der streng geheimen Aktion hatte zuvor nur ein extrem kleiner Kreis Eingeweihter gewusst. Am 3. September landete Jähn planmäßig in der kasachischen Steppe. Die Erde hatte ihn wieder.

Am 21. September 1978 kam der Kosmonaut in die DDR zurück. Im offenen Wagen fuhr er mit Parteichef Erich Honecker und seinem Kommandanten Waleri Bykowski durch Ost-Berlin, Hunderttausende jubelten ihm zu. Das Besondere und vielleicht Einzigartige an diesem Tag war, dass viele der Hunderttausenden an die Protokollstrecke zum Jubeln zwar zwangsweise gekommen waren, aber ehrlichen Herzens diesen deutschen Helden mit eigenen Augen sehen, ihm ihren Respekt zollen wollten.

Nun ist Sigmund Jähn im Alter von 82 Jahren in der Nähe von Berlin gestorben. Und in einer seltenen Einmütigkeit, ja, öffentlicher Einstimmigkeit wird der erste Deutsche im All als Held auch für künftige Generationen, als Pionier der Wissenschaft und des Fortschritts gefeiert. Konservative Blätter sind sich mit sozialistischen Zeitungen da ebenso einig, wie sozialdemokratische oder christdemokratische Politikerinnen und Politiker.

Ich kann mich noch gut erinnern, wie mich als Elfjährigen der Flug von Jähn ins All beeindruckt hat. Allerdings wird dabei heute gern übersehen, dass in diesen Jahren noch jeder Flug ins All eine weltweite Sensation darstellte. Auch der Erstflug des Space Shuttle im April 1981 war eine solche Sensation, die Millionen Menschen auch hinter dem Eisernen Vorhang voller Spannung mitverfolgten. Das soll nicht Jähns Leistung schmälern, sehr wohl aber darauf hindeuten, in welcher anderen Zeit dieser Flug stattfand.

Als am 21. September 1978 Jähn durch Ost-Berlin kutschiert wurde, stand auch ich wie tausende andere Schülerinnen und Schüler am Straßenrand und füllte die Kulissen. Das war keine freiwillige Angelegenheit, sondern Pflichtprogramm während der Schulzeit. Nur die Fernsehbilder davon sind mir in Erinnerung, vor allem eins, als eine Jähn-Büste enthüllt wurde und deutlich zu erkennen war, wie peinlich dem so Geehrten das war. Und genau hier begann denn auch die bis heute andauernde Erzählung vom so erd- und bodenverhaften, zurückhaltenden und bescheidenen Superhelden Jähn.

Ich bin ihm selbst in den letzten knapp dreißig Jahren seit 1989/90 ein paar Mal begegnet und kann dies auch aus eigenem Erleben bestätigen. Ja, Sigmund Jähn war ein sehr angenehmer, zurückhaltender Mensch. Das ist Hans Modrow übrigens auch. Na und?

Sigmund Jähn was das System

Sigmund Jähn spielte wie Hans Modrow bis zum Untergang der SED-Diktatur eine Rolle für dieses Regime, die in den letzten Tagen, Monaten und Jahren im Zuge dieser Heldenverehrung komplett aus dem Blick geraten ist. Diktaturen funktionieren nicht ohne die Mitläufer, nicht ohne die Angepassten, nicht ohne die Systemloyalen und die Systemstützen. Sigmund Jähn war all das nicht – er war das System. Er konnte nur Kosmonaut werden, weil er als überzeugter Kommunist zeitlebens dem Regime bedenkenlos und ohne Einschränkung diente. Er trat nicht in die Armee als 18-Jähriger ein, weil er ein naiver Waffennarr oder ein skrupelloser Militarist war, sondern weil er als Kommunist das SED-Regime mit allen Mitteln verteidigen wollte.

Die NVA war aber nicht nur eine ganz normale Armee, sie war zugleich ein zentraler Teil des Disziplinierungs- und Unterdrückungssystems der SED, vor allem ab 1961 nach der Einführung der Wehrpflicht. Zweimal im Jahr wurden zehntausende junge Männer gegen ihren Willen zum Waffendienst eingezogen. Die militarisierteste Gesellschaft Europas benutzte die NVA im System mit vormilitärischer Ausbildung, mit der Stasi und vielen weiteren Elementen dazu, die jungen Männer zu „sozialistischen Staatsbürgern“ zu formen.

So lautete die offizielle Selbstbeschreibung. Tatsächlich ging es darum, die jungen Männer zu brechen, ins kollektive System zu pressen, für das System verfügbar zu machen, ihnen ihr „Ich“ auszutreiben. In der NVA fand die Diktatur für viele junge Männer ihren manifestesten Ausdruck, den sie so oder so nie wieder vergaßen. Sigmund Jähn, der im Februar 1986 zum Generalmajor eben dieser sehr unfriedlichen Armee ohne offizielle Kriegseinsätze ernannt worden ist, war eines der nachhaltigsten Aushängeschilder dieses Unterdrückungssystems.

Jähn war nicht irgendein General, er war der General

Doch damit nicht genug. Er war eben nicht nur irgendein General. Er war der General. Kaum eine wichtige Propagandaveranstaltung der SED seit 1979 bis zur Revolution 1989 kam aus ohne Jähn. Um nur mal einige aus dem letzten Jahr der DDR zu erwähnen: Im Umfeld der Kommunalwahlen 1989, deren systematische Fälschung erstmals von der Opposition nachgewiesen werden konnte und so zu einem wichtigen Markstein auf dem Weg zum Systemsturz wurde, war Jähn unermüdlich im Einsatz, um für die SED-Politik zu werben und zu den Wahlen aufzurufen.

Am 1. Mai 1989 stand er wie bei vielen anderen Propagandaaufmärschen zuvor auf der Ehrentribüne und nahm den Vorbeimarsch Hunderttausender ab: Opportunisten defilierten an der Macht vorüber, diese eben auch durch Jähn repräsentiert. Ebenso stellte er sich beim Pfingsttreffen der FDJ allen Propagandaveranstaltungen zur Verfügung, immerhin zu einem Zeitpunkt, als SED und FDJ es kaum noch schafften, genügend Jugendliche heranzukarren. Und Jähn reiste in offizieller Mission als Ehrengast im Juli 1989 zu den kommunistischen Weltfestspielen nach Nordkorea, wo er Diktator Kim Il Sung seine Ehrerbietung bezeugte. Nur einen Monat zuvor waren im Nachbarland China Hunderte Oppositionelle von Panzern niedergewalzt worden und nebenan feierte nun die kommunistische Jugend mit ihren Aushängschildern. Eines davon war Jähn.

Dieser stand nicht nur als Pappkamerad in der Gegend herum. Auf dem SED-Parteitag 1981 formulierte er, was er in hunderten anderen Reden bis zum Ende der DDR immer und immer wieder verkündete: „Ich weiß, ohne die Erziehung durch unsere Partei ... wäre ich nie Kosmonaut geworden. Dafür danke ich meiner Partei! (...) Wir richten alle Anstrengungen auf die zuverlässige Erfüllung des militärischen Klassenauftrages! Auf uns, die Soldaten des werktätigen Volkes der DDR, ist jederzeit Verlaß! (...)Das Echo auf den Flug widerspiegelt das feste Vertrauen in die zielklare, bewährte und nun auch im All erprobte Politik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands! (...) Genosse Generalsekretär, ich bin bereit, neue Aufgaben zu übernehmen!“

Jähn war ein überzeugter Kommunist - und blieb es auch nach dem Untergang der DDR

Sind das die Worte eines dazu Gezwungenen? Nein! Jähn war ein überzeugter Kommunist. Er blieb es auch nach dem Untergang der SED-Diktatur.

Wenn wir heute an die DDR erinnern, so können wir das eben nicht tun, indem wir behaupten, 1989 wären alle bei der Revolution dabei gewesen. An ihr nahm bis Mitte Oktober 1989 nur eine kleine Minderheit teil. Die einen flüchteten, die anderen demonstrierten und engagierten sich in der neuen Bürgerrechtsbewegung, alles unter großen Gefahren für die eigenen Existenz. Auch diejenigen, die das alte System zu verteidigen suchten, waren in der Minderheit. Die große Masse wartete ab und entschied sich erst für eine Seite, als die Gefahr vorüber war. Das ist in allen Revolutionen so.

Sigmund Jähn blieb sich treu. Bis zuletzt verteidigte er seine DDR, so wie sie bis 1989 war. Er blieb ihr als vereidigter General treu. Im All war er ein Held. Auf der Erde nicht. Deshalb taugt er auch nicht als Held für künftige Generationen, viel eher als Anschauungsbeispiel dafür, dass sympathische, leise, bescheidene Menschen trotzdem eine menschenverachtende, laute, gewaltvolle Diktatur stützen und verteidigen können.

Ilko-Sascha Kowalczuk

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