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Sigmar Gabriel als Vorsitzender der Atlantik-Brücke vor einer Bundespressekonferenz.

© Britta Peddersen/dpa

Sigmar Gabriel zu Sachsen-Anhalt: „Es ist befreiend, der Wahrheit ins Auge zu sehen“

Bei der letzten Landtagswahl vor der Bundestagswahl verlor die SPD massiv. Wo liegen die Gründe und was bedeutet das für Olaf Scholz? Fragen an Ex-Parteichef Sigmar Gabriel.

Von Hans Monath

Sigmar Gabriel war acht Jahre lang Bundesvorsitzender der SPD (2009 bis 2017) sowie Bundesumwelt, Wirtschafts- und Außenminister sowie Vizekanzler (2013 bis 2017). Heute ist er unter anderem Vorsitzender der Atlantik-Brücke.

Herr Gabriel, acht Prozent für die SPD im Flächenland Sachsen-Anhalt. Was ist an diesem Ergebnis selbst verschuldet?

Wenn Parteien Niederlagen bei Wahlen erhalten, vor allem dann, wenn sie so hart ausfallen, darf man die Gründe nur bei sich selbst suchen und nicht bei anderen. Auch Erklärungen wie „Wir haben unsere gute Politik nicht genügend kommuniziert“ oder „die Umstände waren dieses Mal extrem schwierig“ sind alles nur Versuche, die innere Verzweiflung, die natürlich jede Wahlkämpferin und jeder Wahlkämpfer verspürt, nicht übermächtig werden zu lassen. Das ist sehr menschlich, hilft aber leider nicht.

Nach meiner eigenen Erfahrung ist es geradezu befreiend, wenn man der Wahrheit ins Auge sieht und sich ernsthaft die Frage stellt, warum die Wählerinnen und Wähler kein Zutrauen mehr fassen. Denn immerhin hatte die SPD 2011 noch einen Stimmenanteil von rund 24 Prozent und 1998 sogar von fast 36 Prozent. Aufrichtige und angstfreie Aufklärung dessen, was einem da vermutlich über Jahre passiert ist, wirkt wie eine frische Brise durch den Kopf. Und aufgeklärtes Nachdenken und Befreiung von der Verzweiflung und Angst, versagt zu haben, kann noch etwas bewirken.  

Was ist der Anteil der Bundes-SPD an diesem schlechten Abschneiden?

Bei solchen Niederlagen gilt immer das Sprichwort: „Viele Hunde sind des Hasen Tod“. Es gibt also nicht den einen entscheidenden Grund, sondern da kam gestern vieles zusammen. Natürlich der Wunsch vieler Menschen nach Klarheit. Ministerpräsident Reiner Haseloff hat seit Jahren viel Vertrauen aufgebaut, eine absolut klare Kante gegen die AfD gezeigt und ein wachsender Anteil der Wählerinnen und Wähler wollte einfach „auf Nummer sicher gehen“. Das hat mal mit Bundespolitik gar nichts zu tun. Aber natürlich ist der Trend auf Bundesebene schon seit geraumer Zeit kein „Genosse“ mehr, wie man früher sagte. Und gegen einen so mächtigen gesellschaftlichem Trend auf Bundesebene dann in einem Bundesland dagegen zu halten, ist praktisch unmöglich für die SPD, wenn sie nicht wie zum Beispiel in Rheinland-Pfalz oder Hamburg selbst die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten stellt. 

Was bedeutet dieser Einbruch für den Wahlkampf von Olaf Scholz?

Das ist ja eine rhetorische Frage. Natürlich ist das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt nicht das, was man Rückenwind nennen würde. Bei Landtagswahlen sind die Erklärungen der Parteien doch immer gleich: Laufen sie gut, dann ist es sofort eine Bestätigung für die Bundespolitik. Laufen sie schlecht sind sie reine Landesergebnisse, die keine Aussage für die Bundesebene zulassen. Das machen alle Parteien so. Aber eines stimmt: Parteien sollten nie glauben, Wählerinnen und Wähler wüssten nicht, ob sie gerade einen Bürgermeister, einen Landtag oder den Bundestag wählen. Das wissen sie sehr genau. Und deshalb sind Prognosen für die nächst folgende Wahl immer problematisch. Nicht wenige Wählerinnen und Wähler fühlen sich durch die platten Aussagen am Wahlabend eher missverstanden oder missbraucht. Da wollen viele einfach nur eines von der Politik: dass sie die Wahl so verstehen, wie sie ausgegangen ist und sich nicht irgendetwas anderes damit zurechtbiegen.

Die frühe Ausrufung des Kanzlerkandidaten und die frühe Vorstellung des Programms haben an den schlechten Werten der SPD im Bund bislang wenig geändert. Sehen Sie noch Mittel, daran etwas zu ändern?
Dazu kann ich nichts sagen, weil ich nicht weiß, was in den Köpfen der heute Verantwortlichen in der SPD-Führung vorgeht. Die wollte ja ausdrücklich, dass sie alles ganz anders machen wollte als wir früher. Dazu hat sie auch jedes Recht. Und das letzte, was die heutige SPD-Führung machen würde, wäre die zu fragen, die früher die Verantwortung getragen haben. Ich kann das auch verstehen, denn auch die heutige SPD-Führung hat ja ihren Stolz. Aber ich gebe zu, dass meine damaligen Vorstandskolleginnen und -kollegen und ich gelegentlich ganz froh darüber sind, dass wir damals neun Landtagswahlen in Folge gewonnen haben, in fast allen deutschen Großstädten die Oberbürgermeister stellten und bei der letzten Bundestagswahl, die wir zu verantworten hatten, immerhin rund 26 Prozent erhielten. Das ist jetzt allerdings bereits mehr als vier Jahre her und vielleicht waren die Zeiten damals einfacher. Anders waren sie in jedem Fall.

Das Gesicht der Niederlage: Die SPD-Spitzenkandidatin in Sachsen-Anhalt, Katja Pähle, am Abend der Wahl. 
Das Gesicht der Niederlage: Die SPD-Spitzenkandidatin in Sachsen-Anhalt, Katja Pähle, am Abend der Wahl. 

© Sebastian Willnow/dpa

Als Hamburger Bürgermeister galt Olaf Scholz als Politiker mit Ecken und Kanten, war auch jenseits der SPD geachtet, fuhr etwa einen harten Kurs bei der Inneren Sicherheit. Muss er kenntlicher werden, sich von seiner eigenen Partei unabhängiger machen?

Ich habe Olaf Scholz keine Ratschläge zu erteilen und schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Das ist ein erwachsener Mann mit jeder Menge Erfahrung ausgestattet und wird schon wissen, was er zu tun hat. 

Noch einmal zurück nach Magdeburg: Gehört eine Partei mit acht Prozent in die Regierung oder in die Opposition?

Auf diese Frage würden Sie bei der schwächeren FDP nie kommen und bei den Grünen auch nicht. Das fragen Sie nur die SPD, seltsam nicht? Also von der Idee, dass man sich generell in der Opposition erholt, halte ich ja nicht viel. Sonst müsste die bayerische SPD ja ungeheuer stark sein, denn die ist seit Jahrzehnten in der Opposition. In der Opposition zu sein ist auch kein Drama, wenn man es sich dort nicht zu bequem macht. Man darf sich nicht abfinden mit der Außenseiterrolle. Welche Richtung jetzt die Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt einschlagen werden, müssen sie selbst entscheiden. Jetzt hat sowieso erstmal der Wahlsieger Reiner Haseloff das Wort.

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Die AfD holte in Sachsen-Anhalt zum zweiten Mal mehr als 20 Prozent, und das obwohl das Treiberthema Flüchtlinge kaum mehr präsent ist. Ist sie gekommen, um auf Dauer zu bleiben?

Vorerst sicher. Denn es gibt viel Unzufriedenheit in Deutschland und wahrlich nicht nur in Ost-Deutschland. Und einigen Menschen ist es egal, ob diese Partei offen rechtsradikale Positionen einnimmt und schlimme Leute da in Amt und Würden sind. Die wollen die anderen Parteien maximal ärgern. Und das konnte man eine Weile durch die Wahl der Linkspartei und jetzt kann man es am besten durch die Wahl der AfD. Das ist auch eine Erklärung für die nachhaltige Anhängerschaft Donald Trumps in Amerika. Die Leute wissen, dass er keine bessere Politik macht. Aber sie hassen die politischen, medialen und wirtschaftlichen Eliten. Wenn sich das ändern soll, müssen sich auch die Eliten ändern.

Die Fragen beantwortete Sigmar Gabriel per Mail.

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