zum Hauptinhalt
Mit einem massiven Aufgebot an Sicherheitskräften reagiert die Staatsmacht in Belarus auf die Proteste.

© AFP

Update

Sicherheitskräfte gehen gegen Protestbewegung vor: „Handeln Sie schneller“ – ein Hilferuf aus Belarus

Die Demokratiebewegung in Belarus hofft auf internationale Unterstützung. Doch die Bundesregierung reagiere zu langsam, kritisiert die Opposition in Berlin.

Mehr als 100 Tage protestiert die Demokratiebewegung in Belarus schon gegen den bisherigen Staatschef Alexander Lukaschenko, der sich nach einer von Fälschungsvorwürfen begleiteten Wahl zum Sieger ausrufen ließ. Belarussische Sicherheitskräfte gehen brutal gegen die Protestbewegung vor.

Der 31-jährige Roman Bondarenko wurde in der vergangenen Woche von maskierten Männern zusammengeschlagen, wenig später starb er im Krankenhaus an seinen schweren Verletzungen. Als am Wochenende wieder Zehntausende gegen die Staatsmacht demonstrierten und dabei an Bondarenko erinnerten, wurden nach Angaben von Menschenrechtlern mindestens 1200 Menschen festgenommen.

Die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die gezwungenermaßen im litauischen Exil lebt, warnte vor einer „humanitären Katastrophe“, die gestoppt werden müsse. Deshalb appellierte sie an die internationale Gemeinschaft: „Handeln Sie schneller. Die Belarussen brauchen genau jetzt Hilfe.“ Tichanowskaja traf sich Anfang der Woche in Vilnius mit den Botschaftern mehrerer westlicher Staaten, darunter Dänemark, Schweden, die Niederlande, Irland und Kanada. Ein Treffen mit dem deutschen Botschafter gab es nicht.

Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja musste ins Exil gehen.
Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja musste ins Exil gehen.

© Claudio Bresciani/AFP

Tichanowskaja fordert eine Ausweitung der EU-Sanktionen gegen das Lukaschenko-Regime. Außerdem sprach sie sich dafür aus, Investitionen in staatliche belarussische Firmen und Banken zu stoppen. Zu den Forderungen der Opposition zählen außerdem Hilfe für Verletzte und andere Opfer der Repressionen sowie Unterstützung für unabhängige Medien und Menschenrechtler.

„Peinliche Passivität“ der Bundesregierung

Mehr als drei Monate ist es her, dass die ersten Proteste nach der Wahl in Belarus niedergeschlagen wurden. Die Bundesregierung tut allerdings nach Auffassung der Opposition noch immer viel zu wenig. Von „peinlicher Passivität“ spricht der Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin. „Das Handeln der Bundesregierung hat sich viel zu lange auf warme Worte der Solidarität beschränkt.“ Konkrete Hilfe für die Demokratiebewegung sei bis heute kaum geleistet worden, kritisiert der Osteuropa-Experte der Grünen. Auch schnelle und unbürokratische Ausreisemöglichkeiten für politisch Verfolgte gebe es nicht.

„Die Reaktion der Bundesregierung auf die Belarus-Krise ist so langsam, dass sie einem beinahe scheinheilig vorkommt“, sagt auch die FDP-Bundestagsabgeordnete Renata Alt. Von der belarussischen Opposition habe sie erfahren, dass es nach wie vor Wochen dauere, bis ein Visumsantrag genehmigt sei.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte.]

Anfang November forderte der Bundestag die Bundesregierung auf, ein umfangreiches Hilfsprogramm für die Zivilgesellschaft in Belarus auf den Weg zu bringen. Der Antrag wurde in seltener Geschlossenheit von Union, SPD, Grünen und FDP gebilligt. „Allerdings muss dieser Beschluss jetzt auch umgesetzt werden“, mahnte Sarrazin. Es gehe um „konkrete Soforthilfe“. Wieviel Geld die Koalition dafür veranschlagt, ist derzeit noch unklar.

EU plant Sanktionen gegen Unternehmen

Die Europäische Union will die Sanktionen gegen Belarus ausweiten, um den Druck auf das Regime in Minsk zu erhöhen. Dabei soll es nicht mehr nur um Einreiseverbote und Kontensperrungen für Einzelpersonen gehen. Die EU-Außenminister verständigten sich am Donnerstag im Grundsatz darauf, auch Institutionen und Unternehmen mit Sanktionen zu belegen, die mit dem Lukaschenko-Regime in Verbindung stehen. Allerdings muss eine entsprechende Liste erst noch erarbeitet werden, die neuen Sanktionen werden voraussichtlich nicht vor Mitte Dezember in Kraft treten.

Bisher hat die EU Sanktionen gegen insgesamt 55 Personen verhängt, die für die Unterdrückung der Protestbewegung verantwortlich gemacht werden. Sie dürfen nicht mehr in die EU einreisen, ihre Konten und Vermögenswerte werden eingefroren. Der Machthaber Lukaschenko wurde allerdings erst im zweiten Anlauf auf die Liste gesetzt.

Der bisherige Staatschef Alexander Lukaschenko - hier bei der Eröffnung einer neuen Metro-Linie in Minsk - erklärte sich nach einer offenbar gefälschten Wahl zum Sieger.
Der bisherige Staatschef Alexander Lukaschenko - hier bei der Eröffnung einer neuen Metro-Linie in Minsk - erklärte sich nach einer offenbar gefälschten Wahl zum Sieger.

© imago images/Itar-Tass

Die Sanktionen seien richtig, hätten aber nur eine eingeschränkte Wirkung, sagte Renata Alt. Sie sprach sich dafür aus, „den Oppositionellen zu helfen, die exmatrikulierten Studierenden zu unterstützen und die Forderung nach Neuwahlen unter OSZE-Beobachtung immer wieder klar und deutlich zu wiederholen“.

Kritik an Ausrichtung der Eishockey-WM in Belarus

Die drei baltischen Staaten wollen allerdings auch dieses Mal nicht auf das Inkrafttreten neuer EU-Sanktionen warten, sondern nach dem Tod Bondarenkos nun die Sanktionen gegen Belarus verschärfen. Lettland erklärte bereits den Chef des belarussischen Eishockeyverbandes zur unerwünschten Person. Das ist insofern bemerkenswert, als Belarus und Lettland eigentlich gemeinsam die Eishockey-WM im Mai 2021 ausrichten sollen.

Doch die Regierung in Riga setzt sich dafür ein, Belarus dieses Sportereignis zu entziehen. Dafür plädiert auch der Grünen-Politiker Sarrazin: „Die Eishockey-WM darf nicht zur Bühne eines Diktators werden.“   

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false