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Der Eingang zu einem Eros-Center in Kiel wird von Neonlampen beleuchtet.

© picture alliance/dpa/Axel Heimken

Debatte über Sexkauf-Verbot im Bundestag: „Aus ganz freier Wahl sind die wenigsten tätig“

Die Ampel würde lieber abwarten, aber die Union setzt das Thema auf die Agenda: Am Freitag debattiert der Bundestag zum Thema Sexkauf-Verbot. Was dafür spräche – und was dagegen.

„Fragen wir unsere Klientinnen, sagen die meisten von sich, dass sie die Arbeit freiwillig machen“, berichtet Encarni Ramírez Vega dem Tagesspiegel. „Sie arrangieren sich irgendwie. Aber sie finden auch, es sei ein ‘Scheißjob’. Sie wünschen sich eine andere Arbeit.“

Ramírez Vega ist stellvertretende Geschäftsführerin beim Verein „Frauenrecht ist Menschenrecht“, einer Anlaufstelle für Sexarbeiterinnen, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind. Sie kennt aus der Praxis, worüber am Freitag im Bundestag theoretisch debattiert wird: Ist Deutschland nach der Liberalisierung der Prostitution im Jahr 2002 zum Bordell Europas geworden?

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Die Ampel hätte dieses Thema gerne vertagt

Die Union und vor allem ihre Fraktionsvize Dorothee Bär haben es geschafft, ein Thema mit Wucht auf die politische Tagesordnung zu setzen, das die Ampel derzeit am liebsten gar nicht diskutieren würde. Frauenministerin Lisa Paus (Grüne) will eine Evaluation des Prostitutionsschutzgesetzes von 2017 abwarten, die allerdings erst 2025 kommt. Die Union hingegen fordert Taten. Konkret: das so genannte Nordische Modell, also ein Sexkaufverbot.

Die Bundestagsabgeordente Dorothee Bär (CSU) fordert ein Sexkaufverbot.
Die Bundestagsabgeordente Dorothee Bär (CSU) fordert ein Sexkaufverbot.

© Thilo Rückeis/TSP

„Wir sehen ein breites Spektrum zwischen selbstbestimmter Sexarbeit und notgedrungener Prostitution“, sagt Ramírez Vega. Was ist die Ausnahme, was die Regel? Schwer zu sagen. „Aber aus ganz freier Wahl und ohne äußere Zwänge sind die wenigsten unserer Klientinnen tätig.“ Armut, emotionale Abhängigkeiten, Perspektivlosigkeit: Es gibt viele Gründe, aus denen Frauen zu Prostituierten werden.

Die aktuelle Gesetzeslage ist krachend gescheitert.

Dorothee Bär (CSU)

Im Jahr 2002 wagte die damalige rot-grüne Koalition eine Liberalisierung. Prostitution wurde zu einer regulären Dienstleistung. Die Frauen sollten raus aus der gesellschaftlichen Grauzone und rein in eine vernünftige sozialrechtliche Absicherung. Mehr als zwanzig Jahre später sagt Unionspolitikerin Bär dem Tagesspiegel: „Die aktuelle Gesetzeslage ist krachend gescheitert.“

Sie argumentiert mit den Zuständen, wie sie sich in den Großstädten auf Straßenstrichs beobachten lassen: bitterarme Frauen, die für wenige Euro entwürdigende Praktiken über sich ergehen lassen. Not, Elend, Gewalt. Die Prostituierten nehmen großen Schaden: an der Seele und am Körper.

Der Paradigmenwechsel hin zum Nordischen Modell sei der einzige Weg, um die katastrophalen Zustände zu ändern, sagt Bär. Die jetzige Lage sei nicht nur menschenunwürdig – sondern auch „verfassungswidrig“. Das Argument dahinter: Die Gesetzgebung schütze die Menschenwürde nicht ausreichend und verletze Prostituierte in ihrem Persönlichkeitsrecht.

Und trotzdem hält die Regierung das Nordische Modell für den falschen Weg. Zwar gibt es auch in Reihen der Koalition prominente Verfechterinnen. Die Mehrheiten aber sind andere.

„Es gibt Probleme, gegen die wir vorgehen müssen“, sagt Denise Loop, Frauenpolitikerin der Grünen-Fraktion dem Tagesspiegel. „Das Nordische Modell würde die sichtbare Straßenprostitution vermutlich verkleinern, aber viele Sexarbeitende würden in die Illegalität gedrängt. Sie wären schutzlos und ihre Lage würde sich massiv verschlechtern.“

Ihre Lage würde sich massiv verschlechtern.

Denise Loop (Grüne)

Während der Coronapandemie sei die Situation de facto dem Nordischen Modell ähnlich gewesen, sagt Loop. Es gab Phasen, in denen Prostituierte ihre Dienste nicht legal anbieten durften. „Da konnten die Freier die Preise drücken, die Frauen haben oft für die Hälfte des Geldes dieselbe Dienstleistung verrichtet.“

Die Anmeldepflicht funktioniert nicht

Loop fordert statt eines Sexkaufverbots konkrete Verbesserungen. Zum Beispiel ein Aufenthaltsrecht für frühere Zwangsprostituierte, unabhängig davon, ob sie bereit sind, in einem Strafprozess als Zeuginnen auszusagen.

Gut 28.000 offiziell angemeldete Prostituierte gibt es in Deutschland. Das zeigt: Die Anmeldepflicht, die 2017 eingeführt wurde, funktioniert de facto nicht. Denn es ist klar, dass es tatsächlich sehr viel mehr Frauen sind. Schätzungen reichen von 90.000 bis zu 400.000 Sexarbeiterinnen, die ohne Anmeldung tätig sind.

28.278
Sexarbeitende sind in Deutschland registriert

Es gibt eine zweite Zahl, und bei der ist umstritten, welche Aussagekraft sie hat. 346 Ermittlungsverfahren im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung schloss das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr ab. Dazu gehören auch Fälle der Zwangsprostitution und der Zuhälterei.

Es ist eine überschaubare Größenordnung, doch womöglich zeigt sie eher, dass zu wenig ermittelt wird. „Das Dunkelfeld wird deutlich höher sein“, sagt auch die Grüne Loop.

Am Freitag also wird der Vorstoß der Union im Bundestag debattiert. „Wer Prostitution unsichtbar macht, erschwert den Zugang zu Hilfeeinrichtungen“, sagt Beraterin Ramírez Vega. „Wir müssen die Frauen vor der Prostitution schützen, da wir sie nicht in der Prostitution schützen können“, glaubt hingegen Unionspolitikerin Bär. Es geht ihr auch um die Signalwirkung an Männer: „Jede und jeder muss sich fragen, was wir unseren Kindern für ein Frauenbild vermitteln. Dass der Körper einer Frau legal käuflich sein darf, beeinflusst massiv das Frauenbild.“

Bei einem sehr prominenten Mann stößt sie damit auf Zustimmung. Er finde es nicht akzeptabel, wenn Männer Frauen kaufen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im November 2023 in einer Regierungsbefragung im Bundestag. „Das ist etwas, was mich moralisch immer empört hat.“ Der Oppositionsabgeordneten Bär dankte er ausdrücklich „für ihr Engagement in dieser Sache“.

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