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Abgelehnte Asylbewerber werden zum Transport zum Flughafen abgeholt.

© picture alliance / Sebastian Wil

Setzt die Ampel bald Abschiebungen stärker durch?: Der Sonderbeauftragte Migration lässt bislang auf sich warten

Im Koalitionsvertrag kündigt die Ampel eine „Rückführungsoffensive“ an, um Abschiebungen konsequenter umzusetzen. Den geplanten Sonderbevollmächtigten gibt es noch nicht.

Es ist ein Sitzungstag Ende April, als der Bundestag über Abschiebungen diskutiert. „Diese Koalition will eine Rückführungsoffensive starten“, sagt der FDP-Politiker Stephan Thomae am Rednerpult. Deswegen brauche es einen Sonderbevollmächtigten Migration, der Migrationsabkommen mit Herkunftsländern schließe. „Ich bin der Meinung, dass er am besten im Innenministerium aufgehoben wäre“, erklärt Thomae. „Nein!“, ruft daraufhin die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat.

Der Sonderbevollmächtigte Migration – dieser Posten ist innerhalb der Ampel ein heikles Thema. Im Koalitionsvertrag hatten SPD, FDP und Grüne die Einsetzung eines solchen Bevollmächtigten vereinbart. Die Migrationsabkommen, die dieser mit den wichtigsten Herkunftsländern von Migranten schließt, sollen einerseits legale Wege der Migration nach Deutschland eröffnen – aber andererseits eben auch dafür sorgen, dass Abschiebungen gelingen können. Im Koalitionsvertrag steht nämlich auch: „Wir starten eine Rückführungsoffensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern.“ Der FDP war das wichtig.

Doch bislang gibt es diesen Sonderbevollmächtigten nicht. Auf eine schriftliche Frage der Union hieß es Anfang Mai: „Die genaue Ausgestaltung ist derzeit Gegenstand von Beratungen innerhalb der Bundesregierung.“ Auch in dieser Woche war aus der Bundesregierung noch zu hören, dass bislang keine Entscheidung gefallen sei – wobei sich das bald ändern könne.

Eine Frage der Ausrichtung

Ein Streitpunkt: Wo soll dieser Beauftragte angesiedelt sein? Im Bundesinnenministerium (BMI) oder im Auswärtigen Amt? Was wie eine Formalie erscheint, könnte entscheidend sein für die Ausrichtung des Sonderbevollmächtigten. Aus Ampel-Kreisen ist zu hören, dass eine Ansiedlung im Innenministerium bedeuten würde, dass sich der Sonderbeauftragte tatsächlich auch darum kümmert, dass nicht bleibeberechtigte Migranten in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Eine Ansiedlung im grün geführten Außenministerium würde den Fokus womöglich eher auf Aufnahmezusagen und humanitäre Hilfe legen.

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In der FDP werben Politiker wie Thomae deshalb dafür, dass der Posten ins Innenministerium kommt. Aus Regierungskreisen ist zu hören, dass der Ball nun im Kanzleramt liegt und das Thema demnächst entschieden werden soll.

Bei der Union machen sie Druck auf die Ampel. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, wirft der Ampel vor, dass im Bereich der Rückführungspolitik „schlicht Arbeitsverweigerung“ herrsche. Fast sechs Monate nach Amtsübernahme habe die Regierung im Bereich Rückführung von abgelehnten und ausreisepflichtigen Ausländern nichts vorzuweisen, sagte Throm dem Tagesspiegel. Sollte der Sonderbevollmächtigte nicht im BMI angesiedelt werden, wäre das aus Sicht von Throm eine deutliche Schwächung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

FDP will Paradigmenwechsel

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Manuel Höferlin, wirft wiederum der Union vor, die Themen Flucht, Migration, Asyl und Rückführungen über Jahre „sträflich“ vernachlässigt zu haben. Es brauche jetzt einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik, sagte er dem Tagesspiegel. Dazu werde die Regierung Vereinbarungen mit Herkunftsländern schließen, die etwa den Ausbau von wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Technologie-Transfer, Visa-Erleichterungen, Qualifizierungsmaßnahmen und die Zusammenarbeit bei der Rückkehr abgelehnter Asylsuchender beinhalten sollen. „Die Hauptaufgabe des Sonderbevollmächtigten für Migration und Rückführungen wird es sein, Migrationsabkommen mit Drittstaaten zu verhandeln sowie Rückführungen und Familienzusammenführungen konsequent und geordnet zu organisieren“, sagt Höferlin.

Zahl illegaler Einreisen steigt

Das Thema Migration könnte demnächst wieder stärker in den Fokus rücken. Wie das BMI auf Tagesspiegel-Anfrage mitteilte, wurden im ersten Quartal 2022 knapp 13.000 unerlaubt nach Deutschland eingereiste oder geschleuste Personen festgestellt – das ist eine Steigerung von 34 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die tatsächliche Zahl unerlaubter Einreisen könnte noch höher sein, da außer an der Grenze zu Österreich grundsätzlich keine stationären Grenzkontrollen stattfinden. Die Kontrollen erfolgen stichprobenartig im Rahmen der sogenannten Schleierfahndung.

Das BMI geht davon aus, dass die Zunahme illegaler Einreisen in Zusammenhang steht mit der Zunahme der illegalen Übertritte an der EU-Außengrenze. Anfang der Woche hatte die Grenzschutzagentur Frontex mitgeteilt, dass zwischen Januar und April an den Hauptrouten insgesamt 57 800 illegaler Einreisen registriert wurden. Das waren 69 Prozent mehr als in den ersten vier Monaten 2021. Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine werden bei dieser Statistik nicht mitgezählt. Fast die Hälfte aller illegalen Grenzübertritte wurde auf der Route über den Westbalkan verzeichnet.

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