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Mit einem Joint in der Hand. Das Image der Alten hat sich geändert. (Das Bild zeigt die britische Drogenschmugglerlegende Dennis Howard Marks im Film "Mr. Nice")

© Alberto Estevez, picture alliance / dpa

Senioren bei der Bundestagswahl: Alt gleich konservativ? Das gilt nicht mehr

Es gibt mehr Alte, trotzdem stürzt die Union in Umfragen ab. Kein Wunder: Die heute 70-Jährigen wurden geprägt durch Apo und Willy Brandt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Die Alten sind da, und sie werden mehr. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wächst kontinuierlich. Bei der Bundestagswahl am 26. September werden 57,8 Prozent aller Wahlberechtigten über 50 Jahre alt sein. Ein Rekord. Innerhalb dieser Gruppe sind die Über-70-Jährigen mit 21,3 Prozent der Wahlberechtigten am stärksten vertreten. Die Wahlbeteiligung von Senioren ist traditionell sehr hoch. Ihre Stimme entscheidet. Was bedeutet das?

Wählen alte Menschen eher konservativ? Zumindest war das mal so. Die Konrad-Adenauer-Generation der vor 1945 Geborenen strömte zur Union und blieb ihr lange Zeit treu. Das prägt das Bild der Senioren bis heute: etwas spießig, auf Ruhe und Ordnung bedacht, auf Sicherheit und Wohlstand.

Seniorenparteien bleiben erfolglos

Doch das Image ist falsch. Die Generation der heute 70-Jährigen ist komplett anders politisch beeinflusst worden als die der Adenauer-Ära, nämlich durch Janis Joplin, Rudi Dutschke, die Apo, Willy Brandt, den Vietnamkrieg. In der Wahlforschung spricht man vom „Kohorteneffekt“. Er besagt, dass Menschen, die in einer bestimmten Zeit geboren, aufgewachsen und politisch geprägt wurden, Parteipräferenzen bilden, die bis ins hohe Alter halten.

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Die Zugehörigkeit zu einer solchen Kohorte ist für das Wahlverhalten oft wichtiger als die Sorge um die Rente, das Kranken- und Pflegesystem, eine funktionierende Infrastruktur. Parteien, die vermeintlich klassische Seniorenthemen dieser Art bedienen, sind in der Regel erfolglos.

Bei der Europawahl 2009 traten in Deutschland vier verschiedene Seniorenparteien an, die zusammen auf 1,7 Prozent der Stimmen kamen, berichtet Achim Goerres, der Empirische Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen unterrichtet und der Doyen auf dem Gebiet der „ergrauenden Demokratien“ ist.

Enge Bindung? Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnet ein Senioren-Aktivzentrums der Volkssolidarität.
Enge Bindung? Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnet ein Senioren-Aktivzentrums der Volkssolidarität.

© Stefan Sauer/picture alliance / dpa

„Obwohl die Bevölkerung immer älter wird“, sagt er, „war das Alter noch nie so unwichtig für die Frage, wie wir wählen.“ Für die Konservatismusthese, der zufolge Menschen mit zunehmendem Alter immer konservativer werden, gäbe es keine Belege. Sie sei ein Mythos.

Offen für „postmaterielle Werte“ wie den Umweltschutz

Ganz im Dunkeln tappt die Forschung dennoch nicht. Ältere Wähler bevorzugen ältere Kandidaten und etablierte Parteien. Sie wählen eher routiniert, das heißt, sie wiederholen Wahlroutinen, mit denen sie gute Erfahrungen gemacht haben. Allerdings steigt auch bei Senioren die Zahl der Wechselwähler. Da die heute 70-Jährigen zur Zeit des Wirtschaftswunders aufwuchsen, materiell also in der Regel abgesichert waren, sind sie offen für sogenannte „postmaterielle Werte“ wie den Umweltschutz.

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Neben dem Kohorteneffekt, der sich auf die politische Biographie bezieht, gibt es den Lebenszykluseffekt. Demnach ist die Phase, in der sich ein Wähler befindet, mitentscheidend dafür, welche Themen für ihn persönlich relevant sind. Wer als 50-Jähriger Kinder hat, die zur Schule gehen oder in der Ausbildung sind, interessiert sich für Bildungsfragen. Lebenszyklusthemen sind variabel, sie ändern sich mit den jeweiligen Lebensphasen.

In Deutschland leben immer mehr Alte, und die Union stürzt in Umfragen immer tiefer ab: Der Trend zeichnete sich bereits 2017 ab. Da verlor die Union bei den 45- bis 59-Jährigen sieben Prozent, bei den 60- bis 69-Jährigen zehn Prozent und bei den Über-70-Jährigen neun Prozent. Die einst enge Bindung von Alter an Union scheint endgültig aufgebrochen zu sein.

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