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Spiegelbild oder Zerrbild? Über Horst Seehofers Heimatministerium lässt sich wunderbar streiten.

© Kay Nietfeld/dpa

Sein Satz passt nicht zu Deutschland: Horst Seehofers Heimat existiert nicht

Jeder hat seine eigene Heimat. Aber Heimat darf keine Ideologie sein, sonst grenzt sie aus. Wie bei Horst Seehofer. Eine Kolumne.

Heimat… ein so schönes Wort. Ein unübersetzbares Wort. Das es nur auf Deutsch gibt. Wir Ausländer können es bestenfalls umkreisen, umschreiben: Wir kommen ihm doch nie ganz nahe. Heimat ist das Dekor der Kindheit, die Gegend, aus der man stammt, das Stückchen Erde, wo man sich zuhause fühlt. Sie ist kein Land mit klarem Grenzverlauf. Auch keine unter einer Fahne versammelte politische Gemeinschaft namens Nation. Kein Vaterland, für das man auf dem Feld der Ehre stirbt. Und auch kein Dorf, ja, nicht einmal ein Haus. Heimat ist weniger ein geographischer Ort als ein geistiges Universum, eine undefinierbare Stimmung, ein nicht klar umrissener Gefühlsbereich. Etwas, das man im Inneren mit sich trägt. Und jeder hat seine eigene. All dies zusammengefasst in einem einzigen, kurzen Wort.

Eine ansehnliche Sammlung kleiner Heimaten

Meine Heimat ist der steil aufragende Turm des Straßburger Münsters. Wenn ich mit dem Auto durch die Rheinebene näher komme, kann ich es kaum erwarten, und plötzlich taucht er auf, dort in der Ferne. Ragt in den Himmel. Schmaler Dorn aus rotem Sandstein, von mittelalterlichen Baumeistern errichtet. Das Münster hat meine Kindheit begleitet. Ein „schöner Stein“, wie mein Vater sagte. Wenn es auftaucht, bekomme ich Herzklopfen. Ich brauche keine großen Worte: In dieser zwischen Frankreich und Deutschland zerrissenen Region bin ich zu Hause. Kein anderer Ort der Welt, keine der Städte, in denen ich gelebt habe, ja, nicht einmal Berlin löst in mir diese tiefen Gefühle aus. Dabei habe ich inzwischen eine ansehnliche Sammlung kleiner Heimaten: Der raue Berliner Akzent, das grelle Grün der Londoner Parks, die Tannen des Schwarzwalds und der Vogesen, der Geruch der Brandenburger Seen, ein Tucholsky-Gedicht, meine Straße in Berlin – all diese Heimaten zusammen machen ein Leben aus.

Heimat, dieses schöne Wort wurde viel zu oft als Geisel genommen, misshandelt, verformt. Von der Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis, von kitschigen 50er-Jahre-Filmen, von einer Blonde-Zöpfe-und-Trachtenhose-Folklore, von linken Weltbürgern, die auf keinen Fall Deutsche sein wollten und das Wort zum Tabu erklärten. Heimat war in Misskredit geraten, wurde nur noch von rechtsextremen Gruppen und den Vertriebenen verwendet. Bis einige wenige es wagten, es zu rehabilitieren und ihm seinen ursprünglichen Sinn zurückzugeben. Wie der Regisseur Edgar Reitz mit seinem wunderschönen Epos.

Wo ist das Ministerium für nationale Identität geblieben?

Versuchen Sie also mal, den Franzosen zu erklären, was ein Heimatministerium ist. Schon wieder Heimat als Ideologie. Der eigentliche Sinn: Ausschluss, Abschottung. Zumal Horst Seehofer nur wenige Tage nach seiner Ernennung diesen unfasslichen Satz ausgesprochen hat: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland!“ Ein Skandal in einem Land, in dem Millionen Muslime leben und dessen Devise seit Jahrzehnten Multikulti und Weltoffenheit ist. Ein Skandal in diesem Land mit der Vergangenheit, die es hat. Seehofers Heimat existiert nicht.

Seehofer erinnert mich an Sarkozy. Als dieser 2007 Präsident wurde, gründete er ein Ministerium der nationalen Identität. Ein Aufschrei ging durch die Reihen der Linken und der konservativen Mitte. „Ministerium der Schande!“, riefen einige. „Gegen die republikanische Tradition!“ „Sarko hofiert die Rassisten!“ protestierten andere. Zwei Jahre später verschwand das Ministerium der nationalen Identität spurlos. Hoffen wir, dass Horst Seehofers Heimatministerium das gleiche Schicksal ereilt.

Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

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