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Der Wikileaks-Gründer Julian Assange.

© imago images/i Images

„Sein Leben ist in Gefahr“: Julian Assange darf nun doch an die USA ausgeliefert werden – wieso?

Das Londoner Appellationsgericht hat den Weg zur Auslieferung des Wikileaks-Gründers freigemacht. Seine Anwälte kritisieren das als „schweren Justizirrtum“.

Es ist ein harter Rückschlag für Julian Assange. Das Londoner Appellationsgericht hat am Freitag den Weg zur Auslieferung des Wikileaks-Gründers in die USA freigemacht. Die beiden Höchstrichter hoben damit eine Entscheidung der ersten Instanz auf, die mit Blick auf den labilen psychischen Zustand des 50-Jährigen die Überstellung verweigert hatte.

Das Urteil wurde von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International scharf kritisiert. Von einem „schweren Justizirrtum“ sprach die Anwältin Stella Moris, die mit Assange zwei Söhne hat. „Julians Leben ist in Gefahr“, glaubt Wikileaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson.

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Die Bearbeitung des Einspruchs aus Washington hatte der Präsident sämtlicher Gerichte in England und Wales höchstpersönlich übernommen. Mit seinem Kollegen Lord Justice Timothy Holroyde ließ sich Ian Burnett im Oktober zwei Tage lang die Argumente beider Seiten vortragen.

Die US-Vertreter legten dabei ein Paket von „feierlichen“ Versprechungen zur Behandlung des Häftlings vor, dem sie schwerwiegenden Verrat militärischer Geheimnisse zur Last legen. Bei einer Verurteilung drohen Assange in den USA wegen Computer-Hackings und Spionage bis zu 175 Jahre Freiheitsstrafe; realistischer, so die US-Anwälte, sei eine Zeitspanne von vier bis sieben Jahren.

Das Londoner Bezirksgericht hatte im Januar die Auslieferung des depressiven und suizidgefährdeten Aktivisten verweigert. Neben Assanges fragilem Gesundheitszustand spielten dabei die Schilderungen der harschen Haftbedingungen in US-Gefängnissen eine entscheidende Rolle. Dem Appellationsgericht lagen nun mehrere Garantien vor: Der Wikileaks-Gründer werde nicht in Einzelhaft sitzen müssen; auf ihn würden nicht die berüchtigten „speziellen Behandlungsmethoden“ angewandt, denen Terror-Verurteilte ausgesetzt sind.

Seine Anwälte kündigen einen Einspruch an

Zudem werde er weder die Untersuchungs- noch die mögliche Strafhaft im ADX Florence Supermax-Gefängnis im Bundesstaat Colorado absitzen müssen. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, könne Assange die Haft in seiner australischen Heimat abbüßen.

Hätten der Bezirksrichterin diese Garantien vorgelegen, so das Urteil der beiden Appellationsrichter, hätte sie dem Auslieferungsbegehren stattgeben müssen. Mit dieser Vorgabe wird das Verfahren nun an das Bezirksgericht zurückgegeben. Assanges Anwaltsteam kündigte „baldmöglichen Einspruch“ an, sagte Stella Moris vor dem Londoner Justizpalast. Allerdings könnte der Supreme Court als letztmögliche Instanz die Annahme des Falles verweigern. Dann bliebe nur noch der Appell an Innenministerin Priti Patel wegen gesundheitlicher Gründe.

Nach Feststellung der psychiatrischen Gutachter im Verfahren leidet Assange am Asperger-Syndrom, einer Krankheit im autistischen Spektrum. Seine Enthüllungsplattform Wikileaks hatte 2010 und 2011, teilweise in Zusammenarbeit mit renommierten Medien wie „New York Times“, „Guardian“ und „Spiegel“, US-Geheimdokumente veröffentlicht. Durch die Veröffentlichungen kamen schwere Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten in Afghanistan und Irak ans Licht; viele Delikte sind bis heute ungeahndet.

Seit zweieinhalb Jahren sitzt Assange im Gefängnis

Der Australier soll die später wegen Geheimnisverrats verurteilte Soldatin Chelsea Manning zum Kopieren der 250.000 diplomatischen Depeschen angestiftet haben, auf die sich die Veröffentlichungen stützten. Wikileaks bestreitet dies. Inzwischen haben sich viele der Medien, die ursprünglich eng und vertrauensvoll mit Assange zusammengearbeitet hatten, von seinen Methoden distanziert.

Assange hatte sich im Juni 2012 der vom britischen Supreme Court angeordneten Auslieferung nach Schweden wegen angeblicher Sexualdelikte entzogen, indem er in der Londoner Botschaft von Ecuador um Asyl bat. Knapp sieben Jahre später konnte Scotland Yard ihn in der Botschaft festnehmen, anschließend verbüßte er eine knapp einjährige Haftstrafe wegen seines Verstoßes gegen die Kautionsauflagen. Inzwischen sitzt er seit zweieinhalb Jahren im Gefängnis Belmarsh im Osten Londons.

An der unerbittlichen Verfolgung des 50-Jährigen hat auch der Machtwechsel von Donald Trump zu Präsident Joe Biden nichts geändert: In Washington gilt Wikileaks als „feindseliger nicht-staatlicher Geheimdienst“. Weniger melodramatisch drückte es die Entscheidung des Bezirksgerichts aus: Assange sei über die normale, von der US-Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Tätigkeit eines investigativen Journalisten hinausgegangen: „Es geht hier nicht um das Recht auf freie Meinungsäußerung.“

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