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Letzte Hoffnung Seenotretter: Ein Migrant im Januar in einem Rettungsring der NGO "Sea Watch 3"

© Federico Scoppa/AFP

Seenotrettung im Mittelmeer: Aufnahmewillige EU-Länder können sich nicht einigen

Bisher zeigte sich Minister Seehofer zuversichtlich, einige Länder für die Aufnahme geretteter Migranten zu gewinnen. Doch in Luxemburg wurde er enttäuscht.

Die EU-Innenminister können sich nicht einigen: Nicht einmal ein Teil der 28 EU-Länder ist bereit, Menschen aufzunehmen, die im Mittelmeer nach Schiffbrüchen gerettet werden. Im September hatten sich die Innenminister Deutschlands, Maltas, Italiens und Frankreichs auf Malta getroffen und entschieden, ankommende gerettete Migranten künftig sofort und nach einem gemeinsamen Schlüssel zu verteilen. Bundesinnenminister Horst Seehofer sagte einen 25-Prozent-Anteil für Deutschland zu. Die Vier wollten dafür allerdings am Dienstag weitere Länder gewinnen. Nach Angaben aus der Runde zeigten sich einige zwar nicht abgeneigt - genannt wurden Luxemburg, Portugal und Litauen - wollten sich aber keinem förmlichen Bündnis anschließen.

 Drastischer Rückgang der Landungen seit 2014

Was sich die Innenminister in Luxemburg vorgenommen hatten, war ohnehin nur ein kleiner Teil von irregulärer Flucht und Migration nach Europa, der die Nachrichten aber seit Jahren beherrscht: Die von Schiffbrüchigen auf der zentralen Mittelmeerroute, meist in Richtung der sizilianischen Insel Lampedusa, die der nordafrikanischen Küste besonders nah liegt.

Die Westroute über Spanien und die katastrophale Lage auf den griechischen Inseln waren gar kein Thema. Den zentralen Mittelmeerweg hat Europa in den letzten Jahren immer stärker versperrt, so dass immer weniger Menschen auf dieser Route nach Norden gelangen. Die Zahl derer, die gerettet wurden – und um die es in Luxemburg ging - ging seit 2014 erst langsam, dann drastisch zurück. In jenem Jahr musste Italien sein staatliches Seenotrettungsprogramm “Mare Nostrum” auf Druck der EU-Partner einstellen. Nach offiziellen italienischen Berechnungen und Zahlen der Internationalen Organisation für Migration IOM rettete die italienische Küstenwache, die 2014 noch mehr als 41.000 Menschen an Bord eigener Schiffe genommen hatte, 2017 nicht einmal mehr 30.000 Menschen und 2018 nur noch knapp 4000.

Der Anteil der Handelsschiffe an der Seenotrettung ging von etwa 16000 auf 1500 zurück. Den stärksten Rückgang verzeichneten die privaten Hilfsorganisationen, die überhaupt erst nach dem Einfrieren anderer Rettungsmöglichkeiten seit 2014 eigene Schiffe ausgerüstet hatten: Von je etwa 50.000 an Bord genommenen Schiffbrüchigen in den Jahren 2016 und 2017 sank die Zahl auf unter ein Zehntel, weniger als 5000 im vergangenen Jahr.

Selbst Seehofer nennt die Debatte jetzt "beschämend"

Seit Sommer 2018 hatte Italiens inzwischen aus der Regierung ausgeschiedener Innenminister die Häfen des Landes rigoros für NGOs geschlossen. Vorbereitet und begleitet war das Vorgehen auch anderswo in Europa durch Anklagen gegen sie und Verweigerung von Flaggen, so dass immer weniger NGO-Schiffe überhaupt operieren und seltener auslaufen konnten.

Zuletzt wies sogar Bundesinnenminister Horst Seehofer, der sich in der Vergangenheit kategorisch gegen Übernahmen Schiffbrüchiger gewehrt hatte, auf die relativ kleine Zahl von Ankömmlingen hin. In den vergangenen 14 Monaten habe man nur 225 gerettete Migranten aufgenommen habe. „Dass wir wegen einer solchen Zahl eine solche Debatte führen, das ist eigentlich beschämend.“ In den vergangenen Monaten hatten sich auch immer wieder EU-Länder zur Aufnahme bereit erklärt, allerdings immer erst nach wochenlangem Zerren. Im Sommer nahmen etwa Deutschland Frankreich, Finnland, Luxemburg und Portugal Migranten der Sea Watch 3 auf. Und am Rande eines EU-Konferenz in Paris im Juli sprach Frankreichs Präsident Macron sogar davon, dass 14 der 28 Mitgliedsstaaten grundsätzlich zur Verteilung bereit seien.

Letzter Appell von EU-Innenkommissar Avramopoulos

Namentlich nannte er neben seinem eigenen Land Deutschland, Finnland, Luxemburg, Portugal, Litauen, Kroatien und Irland. Dass dennoch keine auch nur kleine Koalition zustande kommt, hat offensichtlich mit der Angst der Beteiligten zu tun, ihre Angebote in eine offizielle Form zu bringen und damit innenpolitisch Konfliktstoff aufzuhäufen. In Deutschland hat Seehofer, der darauf hinweist, dass man doch längst verteile, wegen seiner Zusage auf Malta mit der eigenen Unionsfraktion Ärger. Fraktionschef Ralph Brinkhaus kündigte an, man werde sich Seehofers Pläne “sehr genau anschauen” und ließ durchblicken, dessen 25-Prozent-Zusage sende ein ermutigendes Signal an Schlepperorganisationen.

Der Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament Erik Marquardt sagte dem Tagesspiegel: "Die andauernden Diskussionen der Innenminister zeigen, dass noch ein langer Weg zu gehen ist, bis wir die europäische Asylpolitik gemeinsam angehen können." Er forderte Seehofer zugleich auf, den auf Malta beschlossenen Umverteilungsmechanismus sofort in Kraft zu setzen: "Alles andere wäre ein Wortbruch des deutschen Innenministers." Da allerdings weiter private Seenotretter kriminalisiert und ihre Schiffe festgehalten würden, sei die Wirkung von Malta begrenzt: "Eine Verteilungsquote allein wird Menschen nicht vor dem Ertrinken retten."

Der scheidende EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos hatte vor der Sitzung am Dienstag – seiner letzten im Kreis der nationalen Innenminister - an die Kolleginnen und Kollegen aus den europäischen Hauptstädten appelliert, “mehr Solidarität zu zeigen”. Migration sei in den vergangenen Jahren das wichtigste innenpolitische Thema geworden, womöglich wichtiger als die Finanzkrise. Es könne aber nicht national gelöst werden, Solidarität sei dringend nötig: “Wir können so nicht weitermachen, wir brauchen dauerhafte Mechanismen."

Eine Einigung einiger Länder wenigstens in der Frage der Geretteten auf einer einzigen Route, der Mittelmeerroute, galt auch als Möglichkeit, ein Modell für eine größere Lösung zu entwickeln. Die Reform des EU-Asylsystems stockt seit Jahren, Knackpunkt ist eben die Verteilung ankommender Geflüchteter. Etliche europäische Länder weigern sich ganz und gar, dabei mitzumachen.

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