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Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)

© dpa/Martin Schutt

Update

Streit um Abschiebestopp für Bürgerkriegsland: Seehofer will Straftäter und Gefährder nach Syrien zurückschicken

Der Bundesinnenminister erhöht den Druck auf die SPD. Sie hält am generellen Abschiebestopp für Syrien fest. In der Innenministerkonferenz droht Krach.

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CDU und CSU dringen immer stärker auf eine Lockerung des Abschiebestopps für Syrien. Nach mehreren Länderinnenministern der Union hat sich nun auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dafür ausgesprochen, die bisherige Praxis zu korrigieren.

Er werde bei der Innenministerkonferenz dafür eintreten, „dass wir anstelle eines generellen Abschiebestopps künftig zumindest für Straftäter und Gefährder wieder in jedem Einzelfall prüfen, ob Abschiebungen nach Syrien möglich sind", sagte Seehofer jetzt der Nachrichtenagentur dpa.

Die IMK tagt vom 9. bis zum 11. Dezember in Weimar, allerdings wegen der Coronakrise vermutlich nur virtuell. Das Thema „Verlängerung Abschiebestopp“ ist auf der Tagesordnung Punkt 15. Ressortchefs der SPD halten bislang am Abschiebestopp fest. Die IMK hat den Abschiebestopp bislang mehrmals verlängert, zuletzt bis Ende 2020.

Die Debatte war wieder hochgekocht, nachdem am 4. Oktober ein syrischer Islamist in Dresden einen Touristen aus Krefeld erstochen und dessen Lebenspartner schwer verletzt hatte. Zuvor war es nicht gelungen, den Mann aus Deutschland zu entfernen.

Der Täter war Ende September aus der Haft freigekommen, er galt weiterhin als Gefährder und Anhänger der Terrormiliz IS.  Die Stadt Dresden verfügte vergeblich, der Syrer habe Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen und dürfe 20 Jahre nicht wieder einzureisen.

Das tat der Islamist nicht, stattdessen verübte er das Attentat auf das schwule Paar. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) wiederholte nach dem Angriff seine Forderung, den Abschiebestopp zu lockern. Die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung seien höher zu bewerten als die „Schutzinteressen“ von Gewalttätern und Gefährdern.

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Auswärtiges Amt sieht in Syrien hohes Gewaltrisiko

Grundlage für den Abschiebestopp sind Lagebilder des Auswärtigen Amtes zur Situation in Syrien. In einem Report vom Mai heißt es, „auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden“.

Das gelte auch für „vermeintlich friedlichere Landesteile im äußersten Westen Syrien sowie die Hauptstadt Damaskus“. In einem vertraulichen Bericht vom Dezember 2019 schilderte das Auswärtige Amt grauenhafte Zustände in ganz Syrien auch nach der weitgehenden Rückeroberung durch das Assad-Regime. In keinem Teil des Landes gebe es Schutz vor politischer Verfolgung und Folter, hieß es in dem Papier. Der nächste Lagebericht kommt noch in diesem Jahr.

Regime des Schreckens. Syriens Diktator Bashar al Assad, hier ein Propagandabild aus Damaskus, missachtet auch nach der weitgehenden Rückeroberung des Landes die Menschenrechte.
Syriens Diktator Assad auf einem Propagandabild in Damaskus

© AFP/Louai Beshara

Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen warnt ebenfalls

Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) ist gegen die Aufhebung des Abschiebungsstopps. „Aufgrund der bestehenden vielfältigen Sicherheitsrisiken für Rückkehrer rufen wir Staaten dazu auf, derzeit weiterhin von Abschiebungen nach Syrien abzusehen“, sagt Frank Remus, Repräsentant von UNHR in Deutschland. Zwar seien nach Genfer Flüchtlingskonvention im Einzelfall Ausnahmen von dieser Regel möglich. „Doch menschenrechtliche Standards verbieten die Abschiebung von Menschen, wenn ihnen in ihrer Heimat Folter und Tod drohen.“

Syrische Aktivisten und Flüchtlingsorganisationen warnen ebenfalls eindringlich davor, die bisherige Praxis aufzugeben. Deutschland dürfe sich nicht zum „Handlanger eines Folterregimes“ machen, sagt Mariana Karkoutly von der Kampagne #SyriaNotSafe.

Auf deren Website heißt es unter anderem: Ohne zu zögern werde Machthaber Baschar al Assad „Rückkehrer festnehmen und foltern lassen - oder sie in den Militärdienst zwingen, damit sie an seinem Krieg teilnehmen“. Selbst ohne Krieg sei niemand sicher.

Assad-Regime könnte aufgewertet werden

Diese Einschätzung teilt auch Ferdinand Dürr von Adopt a Revolution, ein Verein, der sich für den Aufbau einer syrischen Zivilgesellschaft einsetzt: „Aufgrund der flächendeckenden und systematischen Folter durch die Geheimdienste des Assad-Regimes sind die von der Regierung kontrollierten Gebiete selbst dort nicht sicher, wo keine weiteren militärischen Auseinandersetzungen zu erwarten sind.“

So gut wie jede Person könne in Syrien Opfer willkürlicher Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen werden. „Das Regime hält Rückkehrer generell für Verräter, die bestraft werden müssen.“ Und noch etwas ist Dürr wichtig: „Abschiebungen nach Syrien setzen eine aktive Zusammenarbeit deutscher Behörden mit der Assad-Regierung voraus, und die nutzt solche Kooperationen zu ihrer internationalen Rehabilitierung.“

SPD-Innenminister gegen "reflexhafte Rufe" aus der Union

In der SPD wurde schon nach dem Anschlag in Dresden Widerstand laut gegen eine Aufweichung des Abschiebestopps. Die „reflexhaften Rufe“ von Unionspolitikern hielten der Realität nicht Stand, sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius.

Er ist in der IMK Sprecher der von der SPD gestellten Ressortchefs. Es gebe „de facto keine Möglichkeit, abschiebepflichtige Gefährder und schwere Straftäter nach Syrien zu bringen“, betonte Pistorius. In dem Land herrsche immer noch Bürgerkrieg, „es gibt auch keine zuständigen und ansprechbaren Behörden“. Außerdem würden Abschiebungen nach Syrien „gegen völkerrechtliche Grundsätze verstoßen, an die sich Deutschland zum Glück gebunden sieht“.

Thüringen Innenminister Georg Maier (SPD) betonte, er stelle den Abschiebestopp nicht infrage. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) ließ über seinen Sprecher mitteilen, gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention gebe es ein gesetzliches Abschiebeverbot, „das einer Abschiebung syrischer Staatsangehöriger entgegensteht, auch wenn diese Straftaten begangen haben“.

Bayerns Innenminister setzt Auswärtiges Amt unter Druck

Aus Sicht der Union sollten jedoch Abschiebungen in Teile von Syrien möglich sein. Er halte Abschiebungen für falsch, „wenn es dort Regionen und Gebiete gibt, die relativ sicher sind“, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) dem Tagesspiegel.

Wer in Deutschland habe für schwere Gewalttaten verurteilt wurde, habe das „Gastrecht“ verwirkt. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte, „die Bundesregierung, allen voran das Auswärtige Amt, muss endlich die Voraussetzungen dafür schaffen, Rückführungen nach Syrien oder in Drittstaaten zu ermöglichen – natürlich unter Beachtung der Menschenrechte und bei differenzierter Betrachtung des Einzelfalls“.

Der Verweis auf das Auswärtige Amt ist auch ein Seitenhieb gegen den sozialdemokratischen Außenminister Heiko Maas. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat nun mit seiner Ankündigung, bei der IMK über eine Lockerung des Abschiebestopps zu sprechen, den Druck erhöht.  

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