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Viele Familien in Äthiopien haben weder ausreichend Nahrung noch Wasser.

© Foto: AFP/Eduardo Soteras

Schwerste Dürre seit 40 Jahren: „Die Menschen in Äthiopien essen trockene Blätter“

Äthiopien leidet unter der schlimmsten Dürren seit Jahrzehnten. Hier erklärt Ralph Achenbach, welche Folgen das für Millionen Menschen hat.

Herr Achenbach, Sie waren gerade im Süden Äthiopiens. Dort herrscht eine schwere Hungerkrise. Wie groß ist die Not der Menschen?
Mehr als 20 Millionen Menschen leiden Hunger. Für acht Millionen gilt sogar: Sie stehen unmittelbar vor einer Katastrophe. In Südäthiopien ist die Lage so schlimm, dass die Menschen die trockenen Blätter der Büsche essen. Ernten sind ausgefallen, Nutztiere sind verendet oder mussten verkauft werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Menschen sterben.

Woran mangelt es den Äthiopierinnen und Äthiopiern am meisten?
In erster Linie fehlt Regen. Es hat mehr als drei Jahre keine ausreichenden Niederschläge mehr gegeben. Das heißt, es droht die mittlerweile fünfte Ernte zu großen Teilen oder ganz auszufallen. Die Erde ist komplett ausgetrocknet, ebenso die Flussbetten. Felder können deshalb nicht bewirtschaftet werden. Der Boden ist nur Staub, da gibt es kein einziges Feuchtigkeitsmolekül mehr drin. Und den Menschen fehlt Sicherheit.

Das heißt?
Der Süden Äthiopiens wird wie andere Teile des Landes, etwa die Tigray-Region im Norden, von Konflikten erschüttert. Viele Frauen, Kinder und Männer sind vertrieben worden und leben in Auffanglagern.

Ralph Achenbach ist seit 2016 Geschäftsführer von International Rescue Committee (IRC) Deutschland. Von 2005 bis 2015 leitete er Integrationsprojekte für Geflüchtete in einer der größten IRC-Niederlassungen in den USA. IRC ist eine internationale Hilfsorganisation, die 1933 auf Anregung von Albert Einstein gegründet wurde. 

© Foto: IRC

Klimanotstand, Kriege und Vertreibung: Eine Kombination dieser Faktoren verschärft die Hungersnot. Wo fängt man am besten an, um dem entgegenzuwirken?
Man muss zum Beispiel auf das globale Ernährungssystem schauen. Vor allem muss die Importabhängigkeit deutlich verringert werden. Äthiopien führt 90 Prozent seines benötigten Weizens ein. Davon wiederum kommen 90 Prozent aus Russland und der Ukraine.

Die Abhängigkeit ist also enorm. Aber wichtig ist auch, die Menschen auf Gemeindeebene zu unterstützen. Vor allem muss die Landwirtschaft an die Gegebenheiten der Klimakrise angepasst werden.

Schon heute sterben viele Menschen, weil sie nicht genug zum Essen haben. Was muss geschehen, um eine komplette Katastrophe abzuwenden?
Es wird ganz dringend Nothilfe gebraucht, in Form von Nahrungsmitteln. Doch das allein reicht nicht aus.

Die Landwirtschaft muss an die Gegebenheiten der Klimakrise angepasst werden.

Ralph Achenbach, Geschäftsführer IRC Deutschland

Was wird noch benötigt?
Die Menschen brauchen Zugang zu Trinkwasser, die Gesundheitsversorgung muss gewährleistet werden. Hilfsorganisationen wie International Rescue Committee können diese lebensrettenden Maßnahmen umsetzen. Ein älterer Herr sagte mir: „So etwas Schlimmes habe ich noch nicht erlebt.“

Das stimmt. Äthiopien kämpft mit der verheerendsten Dürreperiode seit 40 Jahren. Er sagte allerdings auch: „Wenn sie uns jetzt drei Monate lang helfen, werden sie danach sehen, dass es uns allen besser geht. Wir brauchen jetzt Hilfe zum Überleben, danach wissen wir, wie wir uns selbst versorgen können.“

Äthiopien ist dringend auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.

© Reuters/Tiksa Negeri

Ist das realistisch?
Die Menschen verstehen es schon, sich selbst zu helfen. In einem Bergdorf, das ich besuchte, haben die Bewohner ein ausgeklügeltes, sehr produktives Bewässerungssystem gebaut – wenn es denn regnet. Leider sind die Prognosen für Niederschlag sehr schlecht. Deshalb ist es so nötig, die Landwirtschaft zumindest mittelfristig der Lage anzupassen.

Der weltweite Hunger findet kaum Beachtung. Dabei war die Not voraussehbar.

Ralph Achenbach, Geschäftsführer IRC Deutschland

Das kann dauern und würde bedeuten, Nothilfe folgt auf Nothilfe?
Schon möglich. Aber es wird alles versucht, damit die Menschen sich selbst versorgen können. Dazu gehört zum Beispiel Bargeldhilfe. Mit finanziellen Mitteln sollen die Äthiopierinnen und Äthiopier versuchen, ihren Bedarf an Lebensmitteln möglichst mithilfe lokaler Märkte zu decken. Die funktionieren oft noch.

Nicht nur die Menschen in Ostafrika leiden extreme Not, auch weltweit breitet sich der Hunger seit Längerem wieder aus. Welche Möglichkeiten gibt es, diesen Trend umzukehren?
Es frustriert schon zu erleben, dass der weltweite Hunger kaum Beachtung findet. Dabei war die Not voraussehbar.

Warum nimmt die Staatengemeinschaft davon kaum Notiz?
Die Aufmerksamkeit konzentriert sich derzeit auf andere Krisen und Konflikte, vor allem den Krieg in der Ukraine. Das ist verständlich. Ich persönlich glaube: Das liegt auch darin begründet, dass von außen betrachtet ein Krieg wie der in der Ukraine einfach zu erklären scheint. Schwarz und Weiß, Gut und Böse. In Äthiopien etwa ist das alles sehr viel komplexer. Aber gerade deshalb ist es so wichtig, dass die Welt nicht wegschaut.

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