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Friedrich Merz bei einer Fraktionssitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Archivbild)

© IMAGO/Bernd Elmenthaler

Update

„Schwarzer Tag für Deutschland“: CDU-Chef Merz kritisiert Atomausstieg

Die Union sieht Deutschland angesichts der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke auf einem falschen Weg. Die Grünen und Greenpeace halten dagegen.

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Kein anderes Land reagiere auf den Ukraine-Krieg und die verschärfte Energieversorgungslage so wie die Bundesrepublik, sagte CDU-Chef Friedrich Merz am Freitag dem Hörfunksender NDR Info. Der Unionsfraktionschef verwies in diesem Zusammenhang auf die weltweit mehr als 400 laufenden und 60 im Bau befindlichen Atomkraftwerke. „Da stellt sich schon die Frage: „Wer ist hier eigentlich der Geisterfahrer?““, betonte Merz.

Am Samstag sollen die drei verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland – Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg – endgültig vom Netz gehen. Eigentlich sollte dies schon Ende vergangenen Jahres passieren.

Wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise entschied die Ampel-Koalition nach einem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im vergangenen Jahr jedoch, die drei Meiler über den Winter weiterlaufen zu lassen.

Morgen ist ein schlechter Tag; es ist ein schwarzer Tag für Deutschland“, kritisierte Merz. 2011 hatte Deutschland nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Es regierte eine Koalition aus Union und FDP.

Söder: „Ein ganz trauriges Kapitel deutscher Energiepolitik“

CSU-Chef Markus Söder äußerte sich ähnlich: „Das ist ein ganz trauriges Kapitel deutscher Energiepolitik“, sagte der bayerische Ministerpräsident im RTL/ntv-„Frühstart“. Während die ganze Welt überlege, wie sie in diesen Energiekrisen ihr Portfolio erweitere, mache Deutschland das Gegenteil. „Strom für zehn Millionen Haushalte muss dann ab Sonntag völlig neu organisiert werden“, sagte Söder.

Die Frage der Versorgungssicherheit

Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte das AKW-Aus erst kürzlich vertedigt. „Es gibt auch kein Interesse von deutschen Betreibern, neue Atomkraftwerke zu bauen“, sagte Habeck. „Unser Energiesystem wird sich anders aufbauen: Wir werden bis 2030 zu 80 Prozent erneuerbare Energien haben.“

Die Energieversorgungssicherheit in Deutschland wurde in diesem schwierigen Winter gewährleistet und wird auch weiter gewährleistet sein“, so Habeck. Durch die hohen Füllstände in den Gasspeichern, die neuen Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten und mehr Erneuerbare Energien sei die Lage unter Kontrolle.

Grünen-Fraktionschefin über Atomkraft: „Verschwendung von Steuergeld“

Bundesumweltministerin Steffi Lemke wies die FDP-Forderungen nach Reservekapazitäten erneut zurück. „Mich verwundert diese Diskussion etwas. Die FDP hat 2011 wie auch im vergangenen November in der Bundesregierung und im Bundestag dem Atomausstieg und den dafür nötigen Änderungen im Atomgesetz zugestimmt“, sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur.

Der Gesetzestext sei eindeutig. Es wäre demnach rechtswidrig, sie nach dem 15. April in Reserve zu halten. „Das kann ja niemand in der Bundesregierung ernsthaft wollen“, sagte Lemke.

Kurz vor dem geplanten Ende der Nutzung von Atomenergie in Deutschland hat Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge Forderungen nach der Verlängerung von Atomkraft kritisiert. „Ein Weiterlaufen der Atomkraftwerke würde man nicht zum Nulltarif kriegen“, sagte Dröge am Freitag im ARD-„Morgenmagazin“.

Die Atomkraftwerke in Deutschland seien alt und entsprächen nicht mehr dem neuesten Stand der Technik. „Das Weiterlaufenlassen ginge nicht ohne massive zusätzliche Sicherheitsüberprüfung, und die müsste irgendwer zahlen.“ Die Union verschweige, dass der Steuerzahler die Kosten trage, fügte die Grünen-Politikerin hinzu.

Dröge zufolge würde kein Unternehmen Atomkraftwerke ohne massive staatliche Subventionen betreiben. Atomenergie sei eine extrem teure Form der Energieerzeugung. „Diese Verschwendung von Steuergeld, die beenden wir morgen. Und damit schaffen wir gleichzeitig auch Preissicherheit für die Menschen.“

Greenpeace sieht in AKW-Verlängerung „schlechten Deal“

Der Umweltschutzorganisation Greenpeace zufolge sollen die drei Kernkraftwerke in Deutschland im Zeitraum von November 2022 bis Mitte April 2023 nur mit 63 bis 75 Prozent der maximalen Leistung gelaufen sein. Damit hätten sie rund 30 Prozent weniger Strom als in den fünf Vorjahren produziert, wie aus einer Studie von Greenpeace und der Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy hervorgeht.

„Im Nachhinein betrachtet war die Laufzeitverlängerung ein schlechter Deal“, sagte Carolin Dähling von Green Planet Energy am Freitag in Berlin. „Wir haben sehr geringe Preiseinsparungen durch die Atomkraftwerke, wir haben sehr geringe Gaseinsparungen und wir haben eine geringe Reduktion der CO2-Emissionen“, sagte sie. Gleichzeitig habe man viele Risiken und erhöhte Kosten in Kauf genommen.

Die Laufzeitverlängerung sei für die Versorgungssicherheit nicht notwendig gewesen und hätte wenig positive Effekte mit sich gebracht, sagte sie. Laut Berechnungen der Umweltorganisationen konnten im untersuchten Zeitraum von November 2022 bis April 2023 zwei Prozent der Gaskraftwerksproduktion und 0,7 Prozent produzierter Kohlekraftwerkstrom eingespart werden.

Die Stromerzeugung der drei Kernkraftwerke hätte im vergangenen Winter jederzeit durch Gaskraftwerke ausgeglichen werden können, hieß es in einer Mitteilung.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hält dagegen. Der Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke habe nicht nur zur Versorgungssicherheit beigetragen, sondern auch geholfen, dass teure Erdgaskraftwerke weniger zum Einsatz kamen, sagte Manuel Frondel vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Das habe sich dämpfend auf Strompreise ausgewirkt.

Insgesamt seien die Effekte durch den Weiterbetrieb überschaubar gewesen, aber keinesfalls vernachlässigbar. Im Januar und Februar hatte Kernenergie nach Angaben des Branchenverbands einen Anteil von vier Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland - ein Drittel weniger als im Gesamtjahr 2022.

Durch die verminderte Stromerzeugung von Gas- und Kohlekraftwerken konnten laut der Greenpeace-Studie allerdings auch CO2-Emissionen eingespart werden. Bis April seien es 1,5 Millionen Tonnen gewesen. Das entspreche 0,7 Prozent der gesamten Emissionen in der Stromwirtschaft im vergleich zu 2022. (dpa)

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