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Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen

© dpa/Kay Nietfeld

Europa-Rede des Vizekanzlers: Scholz muss liefern – für Europa und die SPD

Olaf Scholz tritt in die Fußstapfen von Joschka Fischer: Er redet an historischem Ort über Europa. Die Erwartungen sind hoch. Besonders bei Sozialdemokraten.

Von Hans Monath

Wenn Olaf Scholz am Mittwoch den Senatssaal der Berliner Humboldt-Universität betritt, wird ihm bewusst sein, dass er sich in eine große Tradition stellt. Der sozialdemokratische Vizekanzler und Bundesfinanzminister wird nämlich in der Reihe "Humboldt-Reden zu Europa" sprechen. Die wurde ins Leben gerufen, nachdem der damalige Außenminister Joschka Fischer an gleicher Stelle im Mai 2000 seine Gedanken zur „Finalität“ Europas ausgebreitet hatte.

Der Grünen-Politiker sprach zwar damals ausdrücklich als Privatmann und nicht als deutscher Vizekanzler. Doch sein visionäres Plädoyer für eine Weiterentwicklung der EU zu einer Europäischen Föderation empfanden Beobachter als "Paukenschlag". Er löste damit eine heftige Debatte in Deutschland und vielen anderen Mitgliedsländern der Union aus.

18 Jahre später machen sich Freunde Europas mehr Gedanken über die Verteidigung der bestehenden EU denn über deren Weiterentwicklung. Doch auch unter den veränderten Bedingungen darf Olaf Scholz mit großer Aufmerksamkeit für seinen Vortrag rechnen – gerade unter Sozialdemokraten.

Denn ausgerechnet in der SPD-Bundestagsfraktion waren und sind viele unzufrieden mit der Europapolitik des eigenen Vizekanzlers. Im Ringen um den Eintritt in die große Koalition hatten Scholz und Parteichefin Andrea Nahles damit geworben, dass sie der Union das Versprechen eines "Aufbruchs für Europa" abgerungen hatten, den Deutschland gemeinsam mit Frankreich gestalten sollte.

Doch von der zögerlichen, abwartenden deutschen Reaktion auf das Fortschrittsangebot des französischen Präsidenten Emmanuel Macron vom September 2017 vor der Sorbonne ("Initiative für Europa") waren viele Genossen enttäuscht. Denn die änderte sich ihrem Eindruck nach auch nicht, nachdem der frühere Hamburger Bürgermeister im März 2018 das Finanzministerium übernommen hatte. Nicht nur von der Kanzlerin, sondern auch von deren Stellvertreter hatten wichtige SPD-Abgeordnete jedenfalls mehr europolitischen Ehrgeiz erwartet.

Kritik aus den eigenen Reihen

Scholz ist in der SPD wegen seiner intellektuellen Kapazität und seines Fleißes geachtet. Ein Liebling der Partei aber war er noch nie, wie magere Wahl-Ergebnisse auf Parteitagen beweisen – nicht nur während seiner Zeit als Generalsekretär, sondern auch bei Wahlen zum Parteivize. Das macht ihn nun in der Krise für Kritik noch anfälliger. Die Umfragewerte sind miserabel, der Unmut über die eigene Führung ist groß. SPD-Abgeordnete schimpfen unter dem Schutz der Anonymität heftig über den Vizekanzler. Der, so klagt ein Parlamentarier, sitze auch in Fraktionssitzungen, in denen es um Überlebensfragen der SPD gehe, oft mit einem Lächeln vorne auf der Chefbank und halte sich raus: "Er glaubt, er ist schlauer als alle anderen."

Tatsächlich gehört es zum Selbstverständnis des Hanseaten, nach sorgfältiger Analyse gefasste Entscheidungen auch gegen Widerstände durchzuhalten – dies hat er immer wieder bekräftigt. Und in der Europapolitik hat es Scholz nicht nur mit den Erwartungen der Genossen und der deutschen Öffentlichkeit, sondern auch mit denen von (noch) 27 anderen EU-Staaten zu tun.

Deutsch-französischer Fortschritt: Finanzminister Olaf Scholz (rechts) und sein Kollege Bruno Le Maire.

© EricVidal/REUTERS

Aufgabe der Wirtschaftsmacht Deutschland, so glaubt er, sei es, sich in der EU um Kompromisse zu bemühen – etwa bei der strittigen Frage eines Eurozonen-Budgets zwischen dem auf eine große Lösung drängenden Frankreich und Ländern wie Holland oder Dänemark, die davon bislang wenig hielten. Fast zwangsläufig aber entsteht so bei Bemühungen um einvernehmliche Lösungen in der EU ein Widerspruch zwischen dem Anspruch des Koalitionsvertrags und der Realität.

In den zwei Wochen vor seiner Humboldt-Rede sind dem Finanzminister aber auch vorzeigbare Fortschritte gelungen. "Ich sehe eine positive Bewegung bei den Themen Digitalsteuer und Finanztransaktionssteuer", lobt Christian Petry, europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: "Beim Eurozonen-Budget, glaube ich, ist der Durchbruch geschafft."

Hoffnung auf "Aufbruch für Europa"

Vor acht Tagen hatten sich Scholz und sein französischer Kollege Bruno Le Maire auf ein gemeinsames Papier zu einem Eurozonen-Budget geeinigt. Das soll nun deutlich kleiner ausfallen, als Macron gehofft hatte. Zudem wird das Euro- Zonen-Budget auf deutsches Drängen hin Bestandteil des regulären EU-Haushalts sein. Macron aber kann nun damit werben, dass Berlin seine Idee aus seinem Sorbonne-Angebot übernimmt.

Bei seiner Humboldt-Rede dürfte Scholz kaum nach dem Vorbild des Politdramatikers Fischer mit einem "Paukenschlag" eine Vision von Europa in 25 Jahren entwerfen. Eher ist zu erwarten, dass er über Themen spricht, die er als Finanzminister beeinflussen kann, etwa die Digitalsteuer, Mindeststeuersätze oder die Weiterentwicklung des Rettungsschirms IS zu einem europäischen Währungsfonds. Ohnehin redet der Vizekanzler lieber über konkrete EU-Projekte wie Grenzsicherung, Rüstungspolitik und eine Verteidigungspolitik als abstrakte Bekenntnisse zur Union abzugeben.

Wie auch andere SPD-Abgeordnete hat Rolf Mützenich Erwartungen an den Scholz-Auftritt. "Ich würde mich freuen, wenn jeder Zuhörer das spürt, was wir im Koalitionsvertrag versprochen haben: einen Aufbruch für Europa", sagt der Vizefraktionschef: "Und klar wird, dass wir Sozialdemokraten für ein friedliches und soziales Europa stehen." Rüstung und Verteidigung sind eben keine Themen, die jeden Sozialdemokraten begeistern – selbst dann nicht, wenn sie Frankreich noch enger an Deutschland binden und das europäische Projekt stärkt.

Udo Bullmann, neben Katarina Barley designierter Spitzenkandidat der SPD für die Europawahl im Mai, hofft auf Rückenwind durch die Humboldt-Rede. Seit Scholz Finanzminister sei, spiele Berlin auch im Rat der Europäischen Union wieder "eine deutlich konstruktivere Rolle als unter Schäuble". Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament schätzt den Parteifreund als einen Politiker, "der frische Ansätze für eine Verbesserung der Europäischen Union vertritt und mit einer guten Portion Pragmatismus auch voranbringt". Als Beispiel nennt er dessen Vorstoß zur europäischen Arbeitslosenrückversicherung. "Ich rechne mit einer Rede in diesem progressiven Duktus", sagt Bullmann. Nun muss Olaf Scholz nur noch liefern.

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