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„Waffen für die Ukraine“ und „Eier für Scholz“: Pro-Ukraine-Demonstration in Berlin

© AFP/John Macdougall

Update

Vor dem Besuch in Kiew: Scholz, Macron und Draghi suchen den einfachen Ausweg

Selenskyj träumt von der Eroberung der Krim, die Besucher von einer Verhandlungslösung. Die wahre Frage: Wie verhindern sie den nächsten Krieg? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Hat der Mann den Realitätssinn verloren? Die ukrainische Armee ist im Donbass auf dem Rückzug. Doch Präsident Wolodymyr Selenskyj gibt kurz vor dem Besuch von Mario Draghi, Emmanuel Macron und Olaf Scholz in Kiew die Parole aus: „Natürlich werden wir auch unsere Krim befreien.“

Wie sollen die Anführer der drei stärksten EU-Länder auf die Ankündigung reagieren: „Die ukrainische Flagge wird wieder über Jalta und Sudak, über Dschankoj und Jewpatorija wehen“?

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Von der Rückeroberung der Krim träumen, wo Russland nach der Annexion 2014 robuste Verteidigungslinien aufgebaut hat, während die Ukrainer nicht einmal die Frontlinien im Osten halten können: Was bezweckt Selenskyj mit einer Ansage, die so weit von der aktuellen Realität entfernt ist?

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Nach innen muss der Präsident die Hoffnung aufrechterhalten, dass Opfer und Leiden nicht vergebens sind und die Befreiung gelingen kann. Nach außen möchte er mehr Hilfe einfordern. Die reicht derzeit nicht einmal, um die Russen am Vorrücken zu hindern.

Präsident Wolodymyr Selenskyj, hier mit Soldaten im Donbass, hofft auf die Rückeroberung der Krim.

© dpa/AP/Ukrainian Presidential Press Office/Uncredited

Wie weit reicht der Wille Europas, was sind nur Lippenbekenntnisse?

Mit der Erwähnung der Krim erinnert Selenskyj seine Gäste daran, dass auch sie die Kontrolle Kiews über das ganze Staatsgebiet zur Bedingung für eine Lösung gemacht haben. Müssen sie dann nicht auch die nötigen Waffen liefern?

Doch Scholz, Macron und Draghi träumen ebenfalls: von einem für sie bequemen Verhandlungsausweg, der ihnen harte Entscheidungen erspart.

Selenskyj benutzt die Krim für die Schlüsselfrage: Wie weit reicht der politische Wille, und was sind nur Lippenbekenntnisse?

111 Tage Krieg haben gelehrt: Die militärische Lage hängt direkt von der Waffenhilfe ab. Allein auf sich gestellt kann die Ukraine nicht lange standhalten. Aber Russland ist nicht so stark, wie viele vor dem Angriff dachten.

Mit begrenzter Hilfe konnte die Ukraine Kiew und Charkiw verteidigen. Im Donbass fehlen jetzt die versprochenen schweren Waffen. Die Russen rücken langsam vor, indem sie mit schwerer Artillerie Meter für Meter zerstören, bis sich nichts mehr regt.

Der Westen kann der Ukraine siegen helfen, sofern er das will

Falls die USA und Europa das Ziel verfolgen, dass die Ukraine die Angreifer aus allen besetzten Gebieten vertreibt: Das wäre nicht unmöglich, setzt aber umfangreichere Hilfe an Waffen, Munition und Ausbildung voraus, als sie leisten.

Daraus folgt nicht zwingend, dass der Westen mehr tun muss. Es sollte aber eine bewusste Abwägung von Kosten und Nutzen sein. Deutsche, Europäer und Amerikaner müssen bekennen, wie sie den Krieg und seine Folgen für die geopolitische Zukunft einschätzen.

Was bedeuten Sätze wie „Russland darf den Krieg nicht gewinnen“ und „Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren“ konkret? Müssen die Russen auf die Frontlinien vor dem Kriegsbeginn am 24. Februar zurückgedrängt werden? Oder aus der ganzen Ukraine abziehen, also auch der Krim?

Wäre eine Verhandlungslösung mit weiteren Gebietsverlusten akzeptabel? Der müsste auch Selenskyj zustimmen. Er hätte aber keine Wahl, wenn der Westen sich weigert, einen anderen Ausgang durch Waffenhilfe zu ermöglichen.

Was steht auf dem Spiel: Globaler Frieden oder ein Regionalkonflikt?

Wie weit die USA und Europa gehen sollten, hängt von ihrer strategischen Einschätzung ab: Würde Wladimir Putins Russland, wenn es Geländegewinne erreicht, dies als Aufmunterung verstehen, nach ein paar Jahren Erholung zur Auffüllung der Munitionsvorräte den nächsten Angriff starten?

Und würde China daraus ableiten, dass es riskieren kann, Taiwan mit Gewalt einzugliedern? Falls das die Analyse ist, müsste der Westen alles tun, um Putin jetzt zu stoppen. Und zugleich ein Stoppschild für Peking zu errichten.

Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:

Betrachtet man die Ukraine hingegen als einen regionalen Konflikt, von dessen Ausgang wenig für die Friedensordnung abhängt, kann man ihr auch den Verlust der Krim und des Donbass zumuten. Oder hinnehmen, dass die Ukraine zu einem weiteren „Frozen Conflict“ wird, mit dem Moskau zwar nicht die Kontrolle über das Land gewinnt, aber verhindert, dass es sich in den Westen eingliedert.

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Auf die harten Fragen sollten Scholz, Macron und Draghi eine Antwort finden, ehe sie Selenskyj treffen. Das werden sie wohl nicht. Sondern den einfachen Ausweg wählen: Die Ukraine soll offizieller EU-Beitrittskandidat werden.

Das Wesentliche – in welchen Grenzen und in welchem Zustand zwischen Krieg und Frieden – klären sie damit nicht. Unentschlossenheit aber verlängert den Krieg.

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