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Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat in einem Interview die Verrohung der Sprache in der Politik kritisiert.

© Uli Deck/dpa

Präsident des Bundesverfassungsgerichts: Schluss mit der Kohlhaaserei

Andreas Voßkuhle tadelt die Politik für ihren aktuellen Umgang mit dem Recht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Birnbaum

Der Pferdehändler Michael Kohlhaas gilt, seit Heinrich von Kleist ihm ein Denkmal setzte, als Musterfall eines übersteigerten Rechtsbewusstseins: Weil ihm die irdischen Instanzen nicht folgten, nahm er, was er für sein gutes Recht hielt, brutal selbst in die Hand. Heutzutage ist das Morden und Brandschatzen nicht mehr in Mode. Aber speziell in viele Flüchtlingsdebatten hat sich doch eine Art geistige Kohlhaaserei eingeschlichen.

Die Behauptung einer „Herrschaft des Unrechts“ war ein früher Höhepunkt; ein aktuelles Beispiel ist die nicht mal mehr klammheimliche Genugtuung darüber, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen offenbar ausgetrickst wurde, damit es die Abschiebung des angeblichen Bin-Laden-Leibwächters nicht stoppte. Hauptsache, der Kerl ist weg – was schert uns der Rechtsweg, wenn unser Rechtsempfinden befriedigt ist?

Mit solchen Entwicklungen können die Hüter des Rechts nicht zufrieden sein, und so hat ihr oberster Repräsentant, der Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle, der „Süddeutschen Zeitung“ eins seiner seltenen Interviews gegeben. Es ist in doppelter Weise bemerkenswert. Voßkuhle rügt Aussagen wie „Herrschaft des Unrechts“ als in der Sache und im Ton komplett daneben und „Anti-Abschiebe-Industrie“ als ungehörig: Niemand müsse sich dafür beschimpfen lassen, dass er Rechtsmittel nutzt.

Das ist, auch wenn Voßkuhle Verständnis für politische Zuspitzung äußert, von Verfassungsorgan zu Verfassungsorgan deutlich. Wer „gefühltes Recht“ als politisches Kampfinstrument missbraucht, beschädigt das Recht selbst. Ein Satz wie: „Das können Sie doch keinem normalen Menschen erklären!“ aus dem Mund eines Bundesinnenministers kann, wenn er zur Leitlinie wird, in glattem Unrecht enden.

Denn Recht ist oft kompliziert und manchmal schwer verständlich. Allerdings – und das ist Voßkuhles zweiter bemerkenswerter Punkt – steht es nicht über den Dingen. Es ist Menschenwerk, unperfekt, fehlbar, erklärungs- und rechtfertigungsbedürftig. Und es taugt nicht zur Lösung aller Probleme.

Dieser zweite Hinweis ist deshalb so wichtig, weil sich zur Diffamierung und Missachtung von konkretem Recht, das einem nicht passt, als Kehrseite oft im gleichen Atemzug eine Überhöhung „des Rechts“ zur letzten Instanz gesellt. Das führt dazu, dass politische Probleme zur Frage der Herstellung von „Recht und Ordnung“ erklärt werden – als ob, um das jüngste Beispiel zu nennen, die Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze ein schlichter Rechtsakt wäre, der nicht in jedem Fall der politischen Absprache mit Nachbarn bedürfte.

Dabei liegt es im Eigeninteresse demokratischer Politiker, sich darauf zu besinnen, was Verteidigung des Rechtsstaats heute heißt. Recht durchzusetzen, auch wo es mühsam, teuer oder unpopulär ist, ist nur eine Seite. Eine andere muss sein, komplizierte Paragrafen zu verteidigen, wenn sie auf komplizierter Wirklichkeit beruhen.

Aber am Wichtigsten wäre, nicht Recht vorzuschützen, wo Politik gefragt ist. Es gibt zu viele selbst ernannte Kohlhaase gerade unter zweifelhaften Demokraten. Die fordern gern „ihr gutes Recht“ – und meinen doch ihre Ideologie.

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