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BGH-Urteil schützt Anonymität im Netz: Schlecht behandelt

Der Bundesgerichtshof hat einem Arzt das Recht abgesprochen, die Nutzerdaten eines Bewertungsportals zu erhalten. Er war dort zu Unrecht diffamiert worden. Wie grundsätzlich ist das Urteil?

Es musste dem Arzt missfallen, was er auf dem Internet-Bewertungsportal sanego.de über sich und seine Praxis las. Er lagere Patientenakten in Wäschekörben, habe bei einer Schilddrüsenerkrankung falsche Medikamente verschrieben, einen Patienten unsinnigerweise an einen Radiologen überwiesen. Und warten müsse man können. Über vier Stunden.

Nichts stimmte daran. Der Arzt aus Schwäbisch-Gmünd wehrte sich vor Gericht, in weiten Teilen erfolgreich. Das Oberlandesgericht Stuttgart gestand ihm sogar den Anspruch zu, von sanego.de die Daten des unbekannten Nutzers zu bekommen, der die Vorwürfe erhoben hatte. Doch so geht es nicht, hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Der Schutz der Anonymität im Internet hat Vorrang. Das Bewertungsportal darf seine Daten für sich behalten.

Es ist ein Einzelfall, doch das Urteil wird viele Nutzer aufatmen lassen, die im Schutz der Anonymität ihre Kritik loswerden wollen: An Ärzten oder Anwälten, Gaststätten, Hotels, Reiseanbietern. Das Pseudonym erlaubt, online kein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen. Auch die Betreiber von Bewertungsportalen dürften erleichtert sein, letztlich alle, die mit vorzugsweise kritischem User-Content Reichweite erzielen und Geschäfte machen. Sie sind nur in engen Grenzen zu Herausgabe von Klarnamen verpflichtet.

Wobei schon fraglich ist, ob es im Fall des Patienten mit seiner Arzt-Beschwerde um dessen Klarnamen ging. Schließlich ist es auch möglich, sich bei solchen Portalen mit Fantasienamen und erfundenen Adressen anzumelden. Mit der Herausgabe solcher Bestandsdaten wäre dem Arzt daher nicht unbedingt geholfen. Aber in einem nächsten Schritt hätte er dann möglicherweise die IP-Adresse verlangt, unter der der Nutzer seinen Beitrag verfasst hatte.

Das Urteil ist kein Freibrief für Schmähungen und Cybermobbing. Es ist ein weiterer Schritt auf einem Gebiet, das jedenfalls juristisch nach wie vor als Neuland betrachtet werden darf. Es gibt zwar Gesetze wie das Telemediengesetz (TMG), das die Verantwortlichkeiten von „elektronischen Informations- und Kommunikationsdiensten“ regelt. Doch bereits der Sprachgebrauch zeigt, wie viel sich hier in den letzten Jahren verändert hat. Dennoch hat die Rechtsprechung ein paar wichtige Grundsätze zu Haftungsproblemen herausgearbeitet. Danach kann von einem Hostprovider nicht verlangt werden, alle durch ihn verfügbar gemachten Inhalte auf mögliche Falschbehauptungen oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen hin engmaschig zu kontrollieren. Anders liegt der Fall, wenn dem Provider eine Rechtsverletzung bekannt wird – etwa, weil der Betroffene darauf hingewiesen hat. Dann ist der Provider in der Pflicht. Er muss den Kommentar entfernen. Der BGH hat auch schon am Beispiel von Suchmaschinen entschieden, dass Anbieter zukünftige Rechtsverletzungen gleichen Typs zu verhindern hätten. Der Arzt hatte an der Bewertung bei sanego.de in besonderer Weise zu leiden. Die falschen Einträge wurden gelöscht, tauchten aber fast wortgleich wieder auf. Offenbar wollte sich der Verfasser die Löschung nicht gefallen lassen. Die Gerichte bestätigten den Unterlassungsanspruch, nur reichte das dem Betroffenen nicht. Er wollte an die Quelle heran.

Trotzdem gibt es keine Auskunft, meint der BGH. Die Richter begründen ihr Nein mit dem im Telemediengesetz geregelten Schutz der Bestandsdaten. Außer für die eigenen Vertragsbeziehungen dürfen sie nur in Ausnahmfällen verwendet werden, so für Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr, für Nachrichtendienste oder für das Bundeskriminalamt zur Terrorabwehr. Auch, „wenn es zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum erforderlich ist“.

Die Bundesrichter sehen die Aufzählung als abschließend an und konstatieren eine „enge Zweckbindung“. Eine Datenweitergabe wäre nur erlaubt, wenn die Betreiber dazu ausdrücklich ermächtigt würden. Solche Vorschriften habe der Gesetzgeber bisher bewusst nicht geschaffen. Die Richter der Vorinstanz meinten dagegen noch, was für das Urheberrecht gelte, müsse auch für Persönlichkeitsrechte gelten: „Schutzrecht ist Schutzrecht“. Wird es verletzt, müsse Auskunft gegeben werden.

Justizminister Heiko Maas (SPD) sieht keinen Handlungsbedarf. Er warnt nur: „Bewertungsportale dürfen nicht zum Pranger werden. Verleumdungen müssen gelöscht werden. Wer andere beleidigt, muss strafrechtlich verfolgt werden.“ In den meisten Fällen ist dies leichter gesagt als getan. Verleumdungen im Netz gehören nicht zu den Akten, die Staatsanwälte sich ganz nach oben legen.

Statt den Rechtsweg zu beschreiten, bliebe auch eine andere Möglichkeit: Die Bewerteten bewerten zurück und schreiben ihren Kommentar zum Kommentar. Am besten unter Klarnamen. Die Portale würde das freuen. Es zeigt, wie ernst man sie nimmt.

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