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Trügerisches Bild: Die rot-grüne Nationalflagge von Belarus eng verschlungen mit der EU-Flagge vor der belarusischen Botschaft in Berlin.

© dpa

Sanktionen gegen Belarus: Europas schwache Hebel

Welche Möglichkeiten hat die EU, Diktator Lukaschenkos Verhalten nach Flugzeugentführung und Wahlfälschung zu beeinflussen? Ein Realitäts-Check.

Je geringer die wirtschaftliche Verflechtung, desto geringer die Chance, mit Sanktionen Druck auszuüben. Das erfahren die EU und die deutsche Wirtschaft jetzt im Umgang mit Belarus, nachdem Diktator Alexander Lukaschenko einen Passagierjet auf dem Weg von Griechenland nach Litauen zur Landung gezwungen hat, um den Oppositionellen Roman Protassewitsch zu verhaften.

Wie wirksam sind die Sanktionen und politischen Konsequenzen, mit denen die EU und nationale Regierungen drohen?

Am Dienstag rätselten Belarus-Experten, was Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemeint haben könnte mit ihrer Ankündigung, die EU wolle „ein Wirtschaftsprogramm im Wert von drei Milliarden Euro so lange zurückhalten, bis Belarus sich an demokratische Normen hält“.

Von der Leyens angeblicher Stop von Milliarden-Investitionen

Von der Leyen habe sich auf ein Projekt bezogen, das noch nicht beschlossen ist, sagte eine Sprecherin der Kommission auf Nachfrage des Tagesspiegel. Der Europäische Rat der Regierungschefs habe das Programm auf dem EU-Gipfel im Oktober vorgeschlagen zur wirtschaftlichen Unterstützung eines demokratischen Belarus. Es liege noch in den Schubladen und sei bisher nicht öffentlich vorgestellt worden.

Der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft warnt Lukaschenko vor einem „irreparablen Vertrauensverlust“ internationaler Investoren. „Die Kaperung eines zivilen Flugzeugs und die Verhaftung von Passagieren ist eine weitere Belastung für Belarus als Investitionsstandort“, sagt der Vorsitzende Oliver Hermes. Für Investoren sei „die Achtung internationaler Rechtsnormen von größter Bedeutung“. Hermes fordert einen Runden Tisch mit der Opposition zur Beilegung des Konflikts.

Belarus handelt mit Russland und China, kaum mit dem Westen

Doch auch hier gilt: Welche Hebel kann die Wirtschaft einsetzen? Belarus orientiert sich ökonomisch nach Russland und Eurasien. Der Handel mit Deutschland lag 2020 bei 1,9 Milliarden Euro: 530 Millionen Euro Importe aus Belarus und 1,4 Milliarden Euro Exporte dorthin. Unter den 29 Partnerländern des Ost-Ausschusses ist das Platz 17.

Waren aus Deutschland haben nur einen Anteil von 4,5 Prozent an den Einfuhren nach Belarus. Russland liegt mit 55 Prozent an der Spitze, China mit gut neun Prozent auf Platz zwei. Deutschland liefert vor allem Maschinen, chemische Erzeugnisse, Autos und Kfz-Teile.

Als Abnehmer belarussischer Erzeugnisse liegt Deutschland mit einem Anteil von 3,9 Prozent auf Platz vier hinter Russland (41 Prozent), der Ukraine (12 Prozent und Großbritannien (7 Prozent). Die Exporte nach Deutschland betreffen Eisen und Stahl (20 Prozent), andere Rohstoffe (20 Prozent), Möbel und Möbelteile (zehn Prozent) sowie zu einem geringen Teil Lebensmittel (vier Prozent).

Auf russisches Öl und Gas verzichten, das durch Belarus fließt?

Eine wichtige Rolle spielt das Land im Energietransit. Durch die Jamal-Pipeline fließt russisches Gas nach Westen, durch die Druschba-Pipeline russisches Öl. Daraus ergibt sich kein Druckmittel, solange Moskau nicht gemeinsam mit dem Westen droht, andere Wege zu nutzen. Wladimir Putin unterstützt jedoch Lukaschenko; und der ist von ihm abhängig.

Nach der manipulierten Wahl im August 2020 und dem gewaltsamen Vorgehen gegen die Opposition hatte die EU in drei Sanktionsrunden personenbezogene Strafen gegen Lukaschenko und Funktionäre verhängt, die an der Unterdrückung beteiligt sind. Sie dürfen nicht mehr in die EU reisen, ihre Vermögenswerte wurden eingefroren.

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Eine weitere Verschärfung der personenbezogenen Sanktionen im Juni war bereits vor der Flugzeug-Kaperung beschlossen, nur noch nicht in Kraft. Nun sucht die EU nach weiteren Optionen. Eine Möglichkeit sind sektorale Sanktionen zum Beispiel gegen Branchen, die die Sicherheitskräfte mit Technik ausstatten.

Sanktionen gegen Flugverbindungen sind zweischneidig

Die EU will der belarussischen Fluglinie Belavia die Landerechte entziehen. Das hat freilich auch unerwünschte Nebenwirkungen. Belavia-Flüge waren zuletzt der einzige Weg für Menschen, die nicht dem Regime dienen, nach Europa zu reisen. Die Landgrenzen nach Westen hat Lukaschenko seit Monaten geschlossen unter dem Vorwand, dies diene der Corona-Abwehr. Künftig bleibt für Flugreisen nur noch der Umweg über Moskau. Das gilt umgekehrt auch für Vertreter westlicher Zivilorganisationen, die Kontakt zur Opposition halten wollen, und für Geschäftsleute.

So bleibt ein doppeltes Paradox. Wenn die Sanktionen nochmals verschärft werden, ist der politische Preis, den das Regime für die Verhaftung eines Oppositionellen zahlt, hoch. Aber einen wirksamen Hebel, um Lukaschenkos Verhalten zu beeinflussen, hat die EU nicht, weil die gegenseitige Abhängigkeit so gering ist.

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