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Landwirtschaftsminister Özdemir (Grüne) sieht in der Binnenschifffahrt eine Möglichkeit, um zusätzliches Getreide aus der Ukraine zu exportieren.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Reise auf den Balkan und nach Moldau: So will Özdemir Russland Paroli bieten

Agrarminister Cem Özdemir bereist diese Woche drei Länder, die Mitglied der EU werden wollen. Eine heikle Mission, weil auch Moskau hier entscheidende Interessen hat.

Agrarpolitik als Mittel der Geopolitik – auf den ersten Blick scheint das Projekt, das sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) für diese Woche vorgenommen hat, erklärungsbedürftig. Dabei ist spätestens seit Putins Überfall auf die Ukraine klar, dass Kiew dringend auf die Hilfe Deutschlands und der EU bei der Ausfuhr von Getreide angewiesen ist.

Özdemir reist nach Moldau, Nordmazedonien und Kosovo, wo sich die Lage derzeit zuspitzt: An den Grenzen des Balkanstaats verstärkt Serbien derzeit sein Truppenaufgebot. In sämtlichen drei Staaten, die Özdemir besucht, versucht Russland, Einfluss zu nehmen. Gleichzeitig streben die drei Länder Richtung EU.

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„Putin hat den Krieg zurück nach Europa gebracht, sein verbrecherischer Krieg gegen die Ukraine ist auch ein Angriff auf unsere europäische Friedensordnung“, sagte Özdemir vor seiner Reise. „Umso entschlossener treiben wir den Annäherungsprozess mit den Staaten des Westbalkans und mit der Republik Moldau voran.“ Es gelte, Partnerschaften mit konkreten Projekten in der Landwirtschaft zu untermauern, von denen man gegenseitig profitiere, so Özdemir. „Wir lassen nicht zu, dass Russland diesen Kurs stört“, erklärte der Minister.

Besonders deutlich zeigt sich die strategische Bedeutung der drei Länder, die auf ihrem Weg in Richtung EU unterschiedlich weit fortgeschritten sind, in der Ex-Sowjetrepublik Moldau. Nach den Worten des Sprechers des Agrarministeriums wird es bei Özdemirs Gesprächen vor Ort auch um die Binnenschifffahrt gehen, mit deren Hilfe zusätzliches Getreide aus der Ukraine Richtung Westen transportiert werden könnte.

Seit Putin im Juli ankündigte, das Abkommen mit der Ukraine für den Getreideexport über das Schwarze Meer nicht mehr zu verlängern, sind alternative Exportrouten für Kiew wichtiger denn je. Zwar sind inzwischen wieder ukrainische Getreidefrachter auf einem neuen Seekorridor in Richtung Bosporus unterwegs. Dennoch ist weiter unklar, wie viel der diesjährigen Ernte außer Landes gebracht werden kann.

Wie der Sprecher weiter erläuterte, werde es bei Özdemirs Gesprächen in der Republik Moldau darum gehen, über Alternativrouten zu reden und deren Ausbau zu ermöglichen. Dabei sei die Route über die Donau ein „vielversprechender Weg“. Damit ließen sich möglicherweise auch Bedenken in EU-Mitgliedsländern wie Polen zerstreuen, die zuletzt den Import von ukrainischem Getreide blockiert hatten.

Der Grund für die Importbeschränkungen Polens, Ungarns und der Slowakei: Die Landwirte in den drei EU-Ländern befürchten, dass es angesichts der ukrainischen Einfuhren zu einem Preisverfall kommen könnte. Die EU-Kommission hält die Blockade für nicht gerechtfertigt. Auch Özdemir sei im Rahmen der regelmäßigen Brüsseler Treffen im Gespräch mit seinen Amtskollegen aus Polen, Ungarn und Tschechien, sagte sein Sprecher weiter.

Gerade weil die Republik Moldau in die EU strebt, versucht Russland den Nachbarn der Ukraine zu destabilisieren. Im vergangenen März enthüllte ein geheimes Strategiepapier des Kreml, dass bereits vor dem Überfall auf die Ukraine in der russischen Präsidialverwaltung dargelegt wurde, wie pro-russische Strömungen in dem Land gestärkt werden könnten.

Politische Propaganda aus Nordmazedonien

Ähnliches gilt auch für Nordmazedonien, wo Özdemir ebenfalls mit seinem Amtskollegen zusammentreffen will. Russlands Einfluss beim EU-Beitrittskandidaten reicht bis in die Parteien- und Medienlandschaft. Bereits im Jahr 2019 teilte die EU-Kommission mit, dass Facebook nach eigenen Angaben in den ersten drei Monaten des Jahres acht „Social Bots“ abgeschaltet habe, die von Nordmazedonien, dem Kosovo und Russland aus agierten. Automatisierte Meinungs-Bots in sozialen Netzwerken können menschliche Identitäten vortäuschen und zur politischen Propaganda eingesetzt werden.

„Die Hütte brennt im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina, in Georgien und Moldau oder im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan – und überall hat Russland seine Hände mit im Spiel“, sagte Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, dem Tagesspiegel.

Da, wo die EU durch Vermittlung und Dialog zur Beilegung von Konflikten beitragen will, versucht Putin – auch über Desinformationskampagnen – neues Öl ins nationalistische Feuer zu gießen.

Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag

Russland zeige dabei wenig Interesse, die Region zu stabilisieren und die zahlreichen eingefrorenen Konflikte zu befrieden, sagte der SPD-Politiker weiter. „Das Befeuern von Chaos und Unsicherheit vor Ort einerseits, Zögern und strategische Kurzsichtigkeit der EU andererseits helfen Moskau dabei, seinen Einfluss aufrechtzuerhalten“, lautet seine Einschätzung.

„Da, wo die EU durch Vermittlung und Dialog zur Beilegung von Konflikten beitragen will, versucht Putin – auch über Desinformationskampagnen – neues Öl ins nationalistische Feuer zu gießen“, sagte Roth weiter. Seine Prognose: „Die Integration in die EU rückt für den Westbalkan, aber auch das östliche Europa in weite Ferne.“

Um den systemischen Wettbewerb mit Moskau und Peking zu gewinnen, darf die EU keine Erweiterungsmüdigkeit aufkommen lassen.

Michael Link, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag

Die Einschätzung, dass Putins Strategie in der Region auf Destabilisierung setzt, teilt auch Michael Link, der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag. „Putins Intention ist es seit Jahren, den früheren Machtbereich der Sowjetunion möglichst weitgehend wiederherzustellen“, sagte er. Durch die Schaffung strategischer Abhängigkeiten, vor allem im Energiesektor, habe der Kremlchef darauf abgezielt, die Staaten des Westbalkans und die Republik Moldau an sich zu binden und von der EU und der Nato zu entfremden.

„Die staatlich organisierten Desinformationskampagnen, mit denen er in Teilen des Westbalkans und der Republik Moldau erfolgreich seine anti-westliche Propaganda verbreitet, stellen nach wie vor eine große Bedrohung dar“, warnte Link. Dass Kosovo, Nordmazedonien und Moldau die EU-Sanktionen gegen Russland mittragen, zeige jedoch, „dass sie ihre Zukunft in der EU sehen und nicht Teil der russischen Einflusszone sein wollen“. Nach der Einschätzung des FDP-Politikers habe jedoch der wirtschaftliche Einfluss Russlands deutlich abgenommen. Stattdessen versuchten jetzt Akteure wie China, Katar und die Türkei den Westbalkan zu beeinflussen.

„Um den systemischen Wettbewerb mit Moskau und Peking zu gewinnen, darf die EU keine Erweiterungsmüdigkeit aufkommen lassen“, forderte Link. Vielmehr müsse die Gemeinschaft den Kandidatenländern eine „realistische Beitrittsperspektive, zum Beispiel mit einem stufenweisen Beitritt, aufzeigen, ohne dabei jedoch ihre inhaltlichen Aufnahmestandards über Bord zu werfen“.

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