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Ein ewiges Objekt der Reform? Der Bundestag soll wieder kleiner werden - doch wie?

© Imago/Christian Spicker

Reform des Wahlrechts: Steuert der Bundestag in die nächste Sackgasse?

Bei der Wahlrechtsreform sind Ampel und Union auf Konfliktkurs geraten. Die Suche nach einer Lösung im Konsens könnte scheitern.

Steuert der Bundestag schon wieder in eine Sackgasse beim Versuch, das Wahlrecht zu reformieren? Nach der letzten von sieben Sitzungen der Wahlrechtskommission des Parlaments, die der Sachdebatte dienten, lässt sich feststellen: Ein fraktionsübergreifender Konsens für ein Reformmodell ist nicht gelungen. Die Diskussion hat sich auf zwei konkurrierende Vorschläge reduziert. Die Kommission soll Wege aufzeigen, wie der Bundestag wieder kleiner wird. Derzeit hat er 736 Abgeordnete, die "Normalgröße" liegt bei 598 Sitzen.

Auf der einen Seite steht der Ampel-Vorschlag. Er bleibt beim System der personalisierten Verhältniswahl und lässt weiterhin Überhänge entstehen. Doch nimmt er diese im Nachhinein wieder weg, indem einer Partei im Fall von Überhängen jene Direktmandate nicht zugeteilt würden, welche die schwächsten Prozentergebnisse in den Wahlkreisen haben.

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Überhänge, das Kardinalproblem des jetzigen Wahlsystems, entstehen, wenn eine Partei über die Erststimmen im Wahlkreis mehr Direktmandate erringt, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil an Sitzen zustehen. Künftig kämen also manche Wahlkreissieger nicht mehr in den Bundestag, wenn ihr Direktmandat von den Zweitstimmen ihrer Partei nicht gedeckt ist.

Ein Fall für Karlsruhe?

Das klingt einfach und praktikabel, das Modell unterliegt jedoch verfassungsrechtlichen Zweifeln, die in der Kommission vor allem, aber nicht nur von der Unions-Seite vorgetragen wurden. So wurde angemerkt, das Zusatzelement der Ersatzstimme (damit bei Kappung eines Direktmandats ein anderer Bewerber im Wahlkreis zum Zug kommt) könnte dem Gebot der Gleichheit der Wahl widersprechen. Zudem gäbe es zwei Zuteilungswege – zum einen den bisherigen (Wahlkreissieg bedeutet Mandat), bei Überhangsituation aber den anderen mit Kappung und Ersatzstimmenvergabe. Auch das könnte auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen.

Der Unions-Vorschlag dagegen wurde in Entscheidungen des Verfassungsgerichts schon als grundsätzlich möglich bezeichnet. Die Union nennt es „echtes Zwei-Stimmen-Wahlrecht“, gemeinhin ist es bekannt als Grabensystem. Eine Hälfte der Mandate würde per Mehrheitswahl vergeben, die andere nach dem Parteienproporz, aber ohne Verrechnung wie bisher.

"Revolutionäres Ereignis"

Der Berliner Rechtsprofessor Christoph Möllers, Sachverständiger in der Kommission, spricht von einem „revolutionären Ereignis in der Geschichte der Bundesrepublik“, würde diese Abkehr von der reinen Verhältniswahl umgesetzt. Im Bundestag ist nur die Union dafür, es gibt also keine Mehrheit.

Ampel und Union stehen sich so mit Modellen gegenüber, die nicht kompatibel sind. Es läuft auf Konfrontation hinaus statt auf Konsens. SPD, Grüne und FDP könnten ihr Modell mit ihrer einfachen Mehrheit beschließen. Die AfD haben sie auch im Boot, sie hat schon früher das Kappungsmodell vorgeschlagen.

Halina Wawzyniak, ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken und nun als Sachverständige Mitglied der Kommission, hält die Entwicklung für ungut. „Schade, dass in der Wahlrechtskommission jetzt die Parteipolitik mit den üblichen Ritualen übernimmt“, twitterte sie nach der Sitzung am Donnerstag, in der sehr detailliert nur noch über Graben- und Kappungsmodell geredet wurde. „Eine schöne wissenschaftliche Debatte hätte was für sich gehabt."

Kein Kompromissmodell erörtert

Wawzyniak selbst hatte für die Runde ein Papier eingereicht, in dem sie als Kompromiss das Zwei-Listen-Modell vorschlägt. Nach diesem würde eine Hälfte der Abgeordneten über die Wahlkreisergebnisse bestimmt (über Wahlkreisbestenlisten, die sich am Wahltag für jede Partei ergeben), die andere Hälfte über die auf Parteitagen bestimmten Landeslisten. Das wäre eine reine Verhältniswahl, ohne Mehrheitswahl in den Wahlkreisen. Da es keine Überhänge gibt, müsste auch nicht gekappt werden. Es wäre nahe am Ampel-Modell. Es würde aber auch ein Anliegen der Union erfüllen - die Stärkung der Wahl im Wahlkreis.

Im Reformvorschlag von FDP, Linken und Grünen, vorgelegt vor zwei Jahren, war das Zwei-Listen-Modell als mögliche Alterative genannt worden. Dafür spricht sich auch Sophie Schönberger aus, Juristin an der Universität Düsseldorf. Sie war von der FDP als Sachverständige nominiert worden, legte ihre Mitgliedschaft aber jetzt nieder. „Die bisherige Arbeit der Kommission hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass ich meine wissenschaftliche Expertise hier nicht in einer Weise einbringen kann, die eine produktive Lösung der zu behandelnden Fragen voranbringt“, erklärt sie.

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