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Mitglieder und Anhänger der AfD protestieren am Thüringer Landtag Anfang März 2020 gegen eine mögliche Wahl des Linke-Politikers Ramelow.

© dpa

Die AfD und ihre Wähler: Rechtsradikalismus und Populismus müssen gemeinsam bekämpft werden

Autorität und das Bespielen rechter Themen wird die AfD nicht kleiner machen. Es braucht Strategien gegen populistische Einstellungen. Ein Gastbeitrag.

Der Autor ist Politikwissenschaftler und hat derzeit eine DAAD-Gastdozentur am Center for European Studies der University of Florida

Seit die AfD die politische Bühne betreten hat, diskutieren Politiker, Parteien und die mediale Öffentlichkeit darüber, wie ihre Wähler zurückzugewinnen sind. Für die einen sind die Unterstützer der AfD autoritäre Arbeiter, die die Sozialdemokratie für sich gewinnen kann, wenn sie nur ein wenig nach rechts geht.

Für andere besteht die AfD-Wählerschaft in Gänze aus „Nazis“, denen man mit politischer Ächtung zu begegnen hat. Und wieder andere halten sie in großen Teilen für Konservative, denen eine weiter rechts positionierte Post-Merkel-Union ein politisches Angebot unterbreiten könnte.

Tatsächlich erklären viele Studien die Wahl der AfD dadurch, dass deren Wähler in der Migrationspolitik restriktive Einstellungen haben. Einig ist man sich auch darin, dass die Wähler der AfD nicht mehr nur aus Protest rechtsradikal wählen – denn rechtsradikal ist die Partei allemal –, sondern aus Überzeugung.

Viel ist geschrieben und gesagt worden über die Schwierigkeiten und Risiken, Wähler der AfD durch konservative Positionen in gesellschaftspolitischen Themen zurückgewinnen zu wollen. Doch noch aus einem anderen, viel wesentlicheren Grund ist dies trügerisch: Denn bedeutsam für ihren Erfolg ist eben nicht allein die Position in bestimmten Sachthemen, sondern der Populismus. Das aber wird in den Diskussionen um die Rückgewinnung der AfD-Wähler bislang kaum beachtet.

Nicht nur Stilmittel, sondern auch Einstellung

Natürlich, will man sagen, ist der Begriff doch längst in der Debatte: Die AfD ist eine rechtspopulistische Partei, und so wird sie auch behandelt. Sie schlägt sich auf die Seite eines als homogen verstandenen „Volkes“ und grenzt sich von den politischen Eliten ab. Entscheidend ist: Populismus ist nicht nur ein Framing, ein Stilmittel, das Parteien verwenden. Er ist auch ein Einstellungsmerkmal der Wähler – darin liegt das Problem.

Viele Studien, zuletzt 2019 von Nicole Loew und Thorsten Faas in der Fachzeitschrift „Representation“, zeigen: Wer die AfD wählt, ist nicht nur „rechts“. Er neigt auch dazu, mit Blick auf die Demokratie jene elitenfeindliche und „volkszentrierte“ Auffassung zu teilen, die die AfD in Programm und Inszenierung aufgreift.

Wenn sich die Partei in ihrem Programm zur Bundestagswahl 2017 als in der Geschichte deutscher Revolutionen stehend begreift; wenn sie behauptet, dass in Deutschland eine „Oligarchie“ herrsche und fordert, dass „das Volk wieder Souverän“ werden müsse, dann fällt das in der Wählerschaft auf fruchtbaren Boden.

Populismus, Protest, Rechtsradikalismus

Populismus ist nicht das Gleiche wie Protest. Protest ist eine vage Ablehnung des Status quo. Populismus hingegen ist die Ablehnung des Status quo, weil man eine andere, unmittelbare, „organische“ Form des Regierens vorzieht. Populistisch eingestellt zu sein bedeutet, dass man glaubt, das „Volk“ habe über alles zu entscheiden, und zwar auch über die institutionellen Grenzen hinweg, die die liberale Verfassung garantiert.

Rechtsradikalismus ist feindlich gegenüber kulturellen und ethnischen Gruppen. Populismus wendet sich gegen jene, die dem vermeintlichen Willen des „Volkes“ widersprechen – etablierte Politiker und Parteien, aber auch Künstler, Akademiker, Intellektuelle, Wohlhabende; je nachdem, welche politische Färbung der Populismus annimmt.

Die AfD und ein großer Teil ihrer Wähler sind beides zusammen – rechtsradikal und populistisch. Es ist deshalb nicht überraschend, wenn eine Studie der Universität Leipzig von Julia Schuler, Oliver Decker, Johannes Kies und Elmar Brähler herausarbeitet, dass ein Großteil der Wähler demokratiefeindlich ist. Populismus ist dies nicht per se, aber er repräsentiert ein durchaus illiberales Ideal von Demokratie.

Wie das in der Praxis aussieht, zeigen die Reformen der Regierungen in Ungarn und Polen, die stets damit begründet werden, den „Willen des Volkes“ gegen eine „abgehobene Elite“ – Medien, Kulturschaffende oder Verfassungsrichter – durchzusetzen. Die strategische Debatte über die Rückgewinnung von AfD-Wählern wird damit nicht obsolet, aber ihr Fokus ändert sich.

Wer AfD wählt, steht gesellschaftspolitisch rechts, und einige AfD-Wähler mögen sogar durch konservativere Politik theoretisch erreichbar sein, aber das ist eben nicht alles. Die meisten vertrauen den „Altparteien“ grundsätzlich nicht, und ein Teil will tatsächlich eine andere Art der Demokratie, vielleicht gar eine alternative Regierungsform.

Inhaltlich der AfD hinterherrennen bringt nichts

Kurz: Mit dem Integrations- und dem Flüchtlingsthema rennen die anderen Parteien gegen eine Wand, weil ihnen die Wähler der AfD ohnehin nicht über den Weg trauen. Sie bestellen lediglich das Feld der AfD. So populistisch wie diese können sie selbst aber gar nicht werden, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, ihre Haltung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Frage zu stellen.

Persönlichkeiten, die sich in kriselnden Volksparteien zu starken Leadern aufschwingen, sind wohl nur eine kurzfristige Lösung. Ein Grund besteht darin, dass autoritäres Auftreten und das Bespielen rechter Themen vielleicht Zuspruch auf der einen Seite generieren, aber nicht in einem Maße, dass er die Ablehnung auf der moderaten Seite aufwiegt. Was man als konservative CDU nach Merkel vielleicht von der AfD zurückgewinnt, verliert man womöglich an die Grünen oder die FDP, ganz abgesehen davon, dass man die Union selbst vor eine Zerreißprobe stellt.

Ein anderer Grund ist, dass auch populäre Außenseiter, so sie Erfolg haben, irgendwann in das Spiel aus Verhandlung und Kompromiss eingebunden sind – innerparteilich wie in einer möglichen Regierung –, und letztlich dieselben Enttäuschungen reproduzieren können, von denen die AfD seit jeher zehrt.

Vertrauen zurückgewinnen?

Jenseits aller normativen Fragen ist der Populismus der AfD-Unterstützer für die anderen Parteien also ein viel entscheidenderes Problem als ihre Haltung zur Gesellschaftspolitik. So lange er als Einstellungsmerkmal der Wähler „aktiv“ ist, sind diese Wähler für CDU, SPD und FDP – und erst recht für die Grünen – kaum erreichbar.

Gegenstrategien sollten also entweder darauf zielen, diese Einstellungen abzumildern, etwa, indem sie es schaffen, Vertrauen in die politischen Akteure zurückzugewinnen. Das allerdings lässt sich schwer planen und ist allenfalls durch erfolgreiches Management nationaler Krisen zu erreichen.

Oder aber man versucht sie zu umgehen, indem Themen wichtig werden, die die AfD nur schwer bedienen kann und in denen sich die anderen Parteien klar voneinander unterscheiden. So oder so ergibt es unter diesen Voraussetzungen wenig Sinn, tagespolitischen Sachthemen hinterherzulaufen, die von der AfD gefahrlos gespielt werden können.

Die AfD gewinnt nicht nur, weil sie rechtsradikal ist, sondern nicht zuletzt deshalb, weil sie populistisch ist. In beidem trifft sie sich mit den Einstellungen eines großen Teils ihrer Wähler. Die Parteien haben lange darüber nachgedacht, wie sie mit dem Rechtsradikalismus umgehen. Es wird Zeit, Strategien zum Umgang mit dem Populismus zu entwickeln.

Marcel Lewandowsky

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