zum Hauptinhalt
Emmanuel Macron setzt auf informelle Gespräche mit den deutschen Parteien.

© Thomas Coex/AFP

Update

Reaktionen aus dem Ausland nach der Bundestagswahl: Europas Sozialdemokraten jubeln - China und Russland warten ab

Im Ausland werden die Gespräche über die Bildung einer neuen Bundesregierung genau verfolgt. Die ersten Reaktionen auf den Wahlausgang fallen sehr unterschiedlich aus.

EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans gehörte zu den Ersten in Brüssel, der den Sozialdemokraten zum Wahlsieg gratulierten. „Soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und die grüne Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft gehen Hand in Hand und das Wahlergebnis unterstreicht dies!“, twitterte der Sozialdemokrat Timmermans am späten Sonntagabend. In seinem Heimatland, den Niederlanden, können die Sozialdemokraten von Wahlergebnissen wie in Deutschland nur träumen. Dort stand die sozialdemokratische PvdA bei den Parlamentswahlen im vergangenen März als größter Wahlverlierer da und kam gerade mal auf 5,7 Prozent.

Die EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, wiederum äußerte sich am Montag zunächst nicht öffentlich zum Wahlausgang - in ihrer Behörde und auch in der Vertretung der Mitgliedstaaten wird das knappe Wahlergebnis eher mit Sorge gesehen.

Befürchtet wird vor allem, dass es bis zur Bildung einer neuen Regierung in Berlin nicht möglich sein könnte, auf EU-Ebene größere Entscheidungen zu treffen. Problematisch könnte das unter anderem für die jüngst vorgestellten Gesetzesprojekte zum Erreichen der EU-Klimaschutzziele sein.

Frankreich hofft auf schnelle Koalitionsverhandlungen in Berlin

Wie von der Leyen äußerte sich auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zunächst nicht zum Wahlergebnis. Im Élysée-Palast hofft man vor allem darauf, dass sich die Koalitionsverhandlungen in Berlin nicht zu sehr in die Länge ziehen werden. Zum Start der französischen EU-Präsidentschaft im Januar braucht Frankreich einen starken Partner, um gemeinsam Projekte etwa in den Bereichen Verteidigung und Wirtschaft voranzutreiben. Einen Wunschpartner gibt es in Paris offiziell nicht. Noch vor der Wahl hatte der Élysée die FDP in der Rolle des Königsmachers und damit als entscheidenden Part in den Koalitionsverhandlungen gesehen.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Bei Frankreichs Sozialisten war die Freude angesichts des guten Ergebnisses ihrer Parteifreunde in Deutschland sehr groß. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die im kommenden April für die Sozialisten in Präsidentschaftsrennen geht, gratulierte per Twitter den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, „der hoffentlich der nächste Kanzler wird“.

Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune sieht in Scholz einen Garanten für Kontinutität.
Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune sieht in Scholz einen Garanten für Kontinutität.

© Kenzo Tribouillard/AFP

Spanien gratuliert Scholz und der SPD

Glückwünsche für Scholz kamen auch aus Spanien, wo sich der sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sanchez ungeachtet der Dauerkrisen seit über drei Jahren an der Macht hält. Sanchez analysierte das Wahlergebnis in Deutschland mit den Worten, dass mit der Aussicht auf eine SPD-geführte Bundesregierung die Möglichkeit bestehe, „in der Farbe und Ausrichtung unserer Regierungen vereint zu sein“.

Spanien und Deutschland würden weiter für ein starkes Europa und einen gerechten und grünen Wiederaufbau nach der Corona-Krise arbeiten, bei dem niemand zurückgelassen werde, kommentierte er. Mit großer Aufmerksamkeit wird in Ländern wie Spanien vor allem beobachtet, wie sich eine künftige Bundesregierung zur Frage gemeinsamer Schulden der EU und der Rückkehr zu einer strengeren Haushaltsdisziplin aufstellen wird.

Dass dabei nur ein Ampel-Bündnis mit den Grünen und den Liberalen in Frage komme, steht derweil für die SPD-Abgeordneten im Europaparlament außer Frage. „Wir haben die Perspektive für eine andere Regierung, und die wollen wir jetzt zum Erfolg führen“, sagte der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier am Montag. Sein Fraktionskollege Udo Bullmann (SPD) kann nichts Schlechtes daran finden, dass zunächst einmal Grüne und FDP miteinander Gespräche führen wollen, solange sich nicht einer der beiden potenziellen Partner „kurz vor Toresschluss wieder in die Büsche schlägt“.

SPD-Abgeordneter Geier erwartet härteres Auftreten gegenüber Polen

Unterdessen erwartet Geier, dass die Bundesregierung im Rechtsstaats-Streit mit Polen entschiedener auftreten würde, falls Scholz die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) antreten sollte. Es sei „schlecht vorstellbar, dass eine SPD-geführte Bundesregierung in der Frage der Rechtsstaatlichkeit genauso leisetreterisch auftreten wird wie die bisherige Regierung“, so Geier.

Zuletzt hatte Merkel bei einem Besuch in Warschau im Streit um die Disziplinarkammer am Obersten Gericht dafür plädiert, den Streit durch Dialog zu lösen. Angesichts eines drohende Bußgeldes, welches durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhängt werden könnte, hatte die Kanzlerin erklärt: „Politik ist doch mehr, als nur zu Gericht zu gehen.“

Die nationalkonservative PiS-Regierung in Warschau hatte sich vor allem über das gute Abschneiden der Liberalen gefreut. „Die FDP wird das Zünglein an der Waage, und das ist für uns eine hervorragende Nachricht“, kommentierte Polens Botschafter in Berlin, Andrzej Przylebski. Die Außenminister der Partei - wie zum Beispiel Hans-Dietrich Genscher - seien für Polen immer gut gewesen.

Ob die neue Regierung von der SPD oder der CDU geführt werde, macht demnach keinen großen Unterschied. „Was die SPD betrifft, so gibt es eine Angst vor zu großer Empathie gegenüber Russland, aber das bezieht sich eher auf die Parteiführung als auf Scholz“, sagte Przylebski. Die Grünen seien Russland gegenüber vorsichtiger, was für Polen hilfreich sei.

Hintertürchen für „Jamaika“

Trotz solcher Gedankenspiele über mögliche Kurswechsel in europapolitischen Fragen unter einem Kanzler Scholz ist allen Beobachtern in Brüssel und den Hauptstädten der EU-Partner auch klar, dass auch ein „Jamaika“-Bündnis unter Führung der Union ebenfalls denkbar ist. Von daher war Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune auf der sicheren Seite, als er dem Sender „Franceinfo“ sagte, es werde bei den deutschen Nachbarn demnächst wohl eine „komplizierte“ Koalition mit drei Partnern geben

Beaune erklärte den Wahlerfolg der SPD damit, dass Scholz als Vizekanzler gewissermaßen in die Fußstapfen Merkels getreten sei. Der SPD-Kanzlerkandidat sei als Garant der Kontinuität aufgetreten, sagte der Europa-Staatssekretär. Auch wenn sich Macron nicht mit öffentlichen Stellungnahmen in die Regierungsbildung in Deutschland einmischen will, könnte das Lob seines Staatssekretärs für Scholz dennoch ein Hinweis darauf sein, dass man sich in Paris eher den SPD-Kandidaten im Kanzleramt vorstellen kann. Von Scholz erwartet Paris ein größeres Entgegenkommen bei der Diskussion über die EU-Defizitregeln, die auf Wunsch Frankreichs und Italiens gelockert werden sollen.

Gleichzeitig hielt sich Beaune bei seiner Bewertung der anstehenden Sondierungsgespräche ein Hintertürchen in Richtung „Jamaika“ offen. Dem Sender „France 2“ sagte er, dass man mit den Sozialdemokraten zwar einfacher über Investitionen und Haushaltsregeln diskutieren könne. Mit der CDU gebe es aber eher Übereinstimmungen bei der Verteidigung und der Sicherheit. In jedem Fall hofft Beaune, dass eine neue Regierung in Deutschland „bis Ende des Jahres“ gebildet ist. Anfang 2022 übernimmt Frankreich den rotierenden Vorsitz in der EU und erwartet dann eine tatkräftige Unterstützung aus Berlin.

Ob Macron zur Jahreswende beim Start des französischen EU-Vorsitzes noch einmal ein Ideen-Feuerwerk zündet wie seinerzeit in seiner Rede in der Pariser Sorbonne-Universität vor vier Jahren, bleibt abzuwarten. Fest steht indes, dass sich der Staatschef am Sonntag haarklein über die Entwicklung während des  Wahlabends  in Deutschland auf dem Stand halten ließ. Als  in Deutschland die Stimmen ausgezählt wurden, war Macron  bei einem jährlichen Treffen französischer Spitzenköche zu Besuch in Lyon.

Blick nach Deutschland bei Treffen mit Spitzenköchen

Per SMS ließ sich der Staatschef zeitgleich von seinem diplomatischen Berater Emmanuel Bonne und seinem Europa-Experten Alexandre Adam über mögliche Regierungs-Koalitionen informieren. Und offenbar will Macron in den nächsten Wochen mit Blick auf Deutschland nicht völlig untätig bleiben. Schon jetzt, so lautet die Vorstellung von  Staatssekretär Beaune, sollen zwischen der Regierung in Paris und den potenziellen deutschen Regierungsparteien informelle Gespräche beginnen. 

Zurückhaltung aus Österreich

Im Gegensatz zu Österreichs jubelnden Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen hat sich der konservative Regierungschef Sebastian Kurz nach der Bundestagswahl zurückhaltend geäußert. „Das Wahlergebnis in Deutschland lässt verschiedenste Konstellationen zu, und die kommenden Wochen werden zeigen, wer künftig den Kanzler in Deutschland stellen wird“, sagte der Kanzler und ÖVP-Parteichef am Montag. Kurz hatte noch vor der Wahl vor einem Linksbündnis gewarnt, das aus seiner Sicht Deutschland und Europa zum Schlechteren verändern würde.

US-Präsident beeindruckt von dem SPD-Sieg

Auch außerhalb Europas haben verschiedene Staatschef die Wahlergebnisse in Deutschland kommentiert. „Donnerwetter... Sie sind beständig“, sagte US-Präsident Joe Biden am Sonntag zu dem Vorsprung der SPD bei der Bundestagswahl. Dass der wohl mächtigste Präsident der Welt mit einem Kanzler Olaf Scholz Probleme hätte, gilt als unwahrscheinlich. Beide Politiker feierten zuletzt zum Beispiel den Durchbruch für eine globale Mindeststeuer für international tätige Unternehmen als großen Erfolg.

Russland und China hoffen auf einen Ausbau der Beziehungen

Der Kreml hat nach der Bundestagswahl Interesse an einem Ausbau der Beziehungen signalisiert. „Uns eint die Einsicht, dass Probleme nur im Dialog gelöst werden können und sollten“, sagte Sprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau der Staatsagentur Ria Nowosti zufolge.

Der Nachfolger von Angela Merkel im Kanzleramt wird allerdings ein schweres Erbe antreten. Das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau ist derzeit äußerst angespannt, unter andere wegen Hackerangriffen auf deutsche Politiker und die Inhaftierung des Kremlgegners Alexej Nawalny. Vor allem von den Grünen muss Russland Widerstand gegen die Inbetriebnahme der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2 befürchten.

In Peking wiederum hoffe und erwarte man, „dass die neue deutsche Regierung ihre pragmatische und ausgewogene China-Politik fortsetzt“. Ohne einer Partei direkt zu gratulieren, hat Peking nach der Bundestagswahl die Hoffnung auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit mit Deutschland geäußert.

Ausdrücklich wurde in einer Stellungnahme des Außenministeriums der Einsatz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gewürdigt, die in ihrer Amtszeit großen Wert auf den Ausbau der Beziehungen zur Volksrepublik gelegt habe. „China weiß dies sehr zu schätzen“, sagte Sprecherin Hua Chunying. Vor der Wahl hatten Beobachter in China Befürchtungen geäußert, dass sich unter einer neuen Bundesregierung das Verhältnis verschlechtern und sich Deutschland eher an den USA orientieren könnte, die ein internationales Bündnis gegen Peking schmieden. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false