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Für seinen Film "Aus dem Nichts", der in fiktiver Form die NSU-Morde thematisiert, erhielt Fatih Akin Anfang des Jahres den Golden Globe.

© Frederic J.Brown/AFP

Empathielose Gesellschaft: Rassismus kommt nicht aus dem Nichts

Die tief in der Gesellschaft verankerte Ideologie des Rassismus zerstört unsere intimsten Beziehungen. Eine Kolumne.

In einem winzigen Kino, vielleicht 40 Sitze, habe ich den neuen Film von Fatih Akin gesehen: „Aus dem Nichts“. Das Thema in diesem kleinen Kino war groß und ich wünsche mir, dass die ganze Nation sich ins Kino setzt, dass die Aulen der Schulen sich für Vorführungen dieses Films füllen – um uns dabei zu helfen, der Zerstörung menschlicher Empathiefähigkeit durch Rassismus ein Stück entgegenzuwirken.

Der Film erzählt ein zentrales Thema rassistischer Gesellschaften: die (beinahe) Unmöglichkeit, zu trauern. Dafür folgt Fatih Akin seiner Figur, Katja, gespielt von Diane Kruger, an einen Ort, den es nicht geben sollte und den es nicht geben muss: Er folgt ihr in den Verlust geliebter Menschen, erlitten aufgrund der brutalsten Manifestierung dieser tiefgreifenden gesellschaftlichen Ideologie: Mord.

Fatih Akin entwickelt hier das Motiv der trauernden Mutter weiter, an dem er bereits in seinem Film „Auf der anderen Seite“ zusammen mit Hanna Schygulla gearbeitet hatte. Diane Kruger übernimmt hier würdig mit emotionaler Tiefe im Schauspiel. In „Aus dem Nichts“ kommt eine Trauer erschwerende Dimension hinzu: Rassismus trennt die Menschen. Nicht nur, wie man voreilig glauben könnte, in verschiedene Bevölkerungsgruppen. Er trennt den einzelnen Menschen von den anderen. Die Trennung vollzieht sich bis in seine intimsten und festesten Beziehungen hinein, bis zur eigenen Mutter.

In dem Film schafft es Katjas Mutter nicht, die eigenen Stereotype über den kurdischen ermordeten Mann ihrer Tochter zu überwinden, und kann sie deshalb nicht unterstützen bei der Trauer. Im Gegenteil, die Mutter vertieft die Gewalterfahrung ihrer Tochter, in dem sie nur die Folie des kriminellen Ausländers sieht.

Rassismus trennt nicht nur vermeintliche „Türken“ von vermeintlichen „Deutschen“. Das ist viel zu kurz gedacht. Wütet er einmal in der Gesellschaft, trennt er die deutsche Tochter von der deutschen Mutter. Und es geht weiter: Er kann den Menschen von sich selbst trennen. Wie sehr muss sich eine Person bereits von der eigenen Menschlichkeit entfernt haben, wie fremd muss sie ihr geworden sein, um der trauernden Mutter eines Ermordeten – auch Katjas Sohn ist mit dem Vater getötet worden – ins Gesicht zu schauen und dabei nichts zu empfinden. Das ist vielleicht „das Nichts“, auf das der Titel anspielt: das tiefe, bodenlose Loch, das Rassismus in den Menschen hinterlässt, an der Stelle, wo einmal so etwas wie Mitgefühl möglich gewesen war. Dieses Nichts in den Augen der Bombenlegerin im Film, die sich sicher wähnt, bevor sie in ihren Campingwagen steigt – hatte nicht Erich Fried schon darüber geschrieben:

„Ihr schaut nicht / genau genug hin / wenn ihr in diesen blauen / oder braunen / oder auch grauen Augen / nicht / einen Augenblick lang / euer eigenes / Spiegelbild seht.“

Rassismus kommt nicht „aus dem Nichts“, aber er hinterlässt eins. Ein Nichts, das wir haben wachsen lassen. Es ist tief verankert in unserer Geschichte, in unseren Beziehungen und Behörden. Auf Letzteres konzentriert sich ein anderer Film: „Vergesst mich nicht“ von Züli Aladag, der die Geschichte von Semiya Simsek nachzeichnet. Der Tochter des in Nürnberg ermordeten Blumenhändlers Enver Simsek. Der Film zeigt, wie die Behörden ihr die Chance nehmen, zu trauern, wie sie ihre Mutter quälen mit falschen Beschuldigungen, Irreführungen, Schikane. Die Geschichte eines Mädchens, das dem großen Nichts unserer Zeit ihre Menschlichkeit entgegenhalten kann.

Deniz Utlu

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