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Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel.

© AFP

Prüffall und Verdachtsfall: Wie geht es jetzt weiter für die AfD?

Die AfD steht im Visier des Verfassungsschutzes. Die Partei gibt sich angesichts der Entscheidung gelassen – doch in den Ländern droht weiterer Ärger.

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Es ist ein Nebenaspekt, aber kein unerheblicher: Steht AfD-Chef Alexander Gauland selbst im Visier des Verfassungsschutzes? Am Dienstag hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bekannt gegeben, die AfD sei offiziell „Prüffall“ – und die AfD-Jugend sowie der rechtsnationale „Flügel“ von Björn Höcke „Verdachtsfall“, für deren Beobachtung theoretisch sogar V-Leute eingesetzt und persönliche Daten gespeichert werden können. Auf die Frage hin, ob auch Gauland dem „Flügel“ zugerechnet werde, hatte ein BfV-Vertreter ausweichend geantwortet. Gauland selbst hatte sich in der Vergangenheit nie öffentlich als „Flügel“-Anhänger bezeichnet. Doch am Mittwoch, so berichten Teilnehmer, sagte Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang in der Sitzung des Innenausschusses: Er sehe Indizien dafür, dass Gauland zum „Flügel“ zähle.

Bei den Rechtspopulisten versuchen sie unterdessen, sich unbeeindruckt zu geben. Die Botschaft: Wir machen weiter wie bisher. Öffentliche Selbstkritik: Fehlanzeige. Die Einstufung als „Prüffall“ sei juristisch eine Nichtmeldung, die nichts weiter bedeute, als dass der Verfassungsschutz die AfD prüfe. Politisch sieht es aber anders aus, das weiß auch die AfD. Hinter vorgehaltener Hand sprechen AfD-Funktionäre über die Sorge, die Entscheidung des Verfassungsschutzes könne vor allem im Westen Deutschlands Wählerstimmen kosten. Auch Mitgliederaustritte, ein Einbruch bei Spenden und Neu-Mitgliederzahlen werden befürchtet.

AfD prüft Rechtsmittel

Bereits nach den rassistischen Protesten in Chemnitz hatte die AfD-Spitze eine Arbeitsgruppe Verfassungsschutz einberufen, die einer Beobachtung vorbeugen sollte. Diese hatte dazu einerseits zur Aufgabe, Parteiausschlussverfahren im Blick zu behalten und Handreichungen für Mitglieder dazu vorzubereiten, welche Äußerungen inakzeptabel sind. Das brachte der Arbeitsgruppe bei radikaleren AfDlern den Ruf als „Stasi“ ein. Andererseits sollte die Taskforce eine juristische Auseinandersetzung für den Fall vorbereiten, dass es zur Beobachtung kommt.

AfD-Bundestagsabgeordnete Roman Reusch, ehemals leitender Oberstaatsanwalt in Berlin, ist Mitglied dieser Taskforce. Er ist der Ansicht, dass die jetzt erfolgte Einstufung als „Prüffall“ im Gesetz gar nicht vorgesehen ist. „Wir werden Rechtsmittel prüfen. Es geht insbesondere um die Frage, ob das so herausposaunt werden kann“, sagte er dem Tagesspiegel. Das sei eine öffentliche Diskreditierung ohne Rechtsgrundlage. „Es geht darum, mit Dreck zu werfen.“

Bewegung in Sachsen und NRW

Die AfD muss sich allerdings gut überlegen, ob sie vor Gericht zieht. Wenn sie verliert, geht der Schuss nach hinten los. Zudem könnte sie bald viel zu tun bekommen: Nach der Entscheidung des Bundesamtes haben mehrere Landesbehörden für Verfassungsschutz Konsequenzen gezogen. So hat auch der sächsische Verfassungsschutz den Landesverband der AfD als Prüffall und die Junge Alternative (JA) sowie den „Flügel“ als Verdachtsfall eingestuft. „Im Gutachten des BfV gibt es dafür auch genügend Anhaltspunkte für uns“, sagte der Präsident der Behörde, Gordian Meyer-Plath, am Mittwoch dem Tagesspiegel.

Der Vorgang ist bemerkenswert, da sich Sachsen zunächst nicht einmal an einer Materialsammlung zur AfD beteiligen wollte. Und das obwohl die Partei im Freistaat besonders stark ist und in Teilen nah dran an rechtsextremen Milieus. Das Landesamt lieferte dann aber doch Informationen, unter anderem über AfD-Politiker, die mit extremen Äußerungen aufgefallen waren. Dazu zählt der Bundestagsabgeordnete Jens Maier, der 2017 die NPD lobte.

Bewegung gibt es auch in NRW. Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte, der Verfassungsschutz werde den Landesverband der AfD auch als Prüffall bearbeiten. Der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, begrüßt den Schritt des BfV – aus speziellem Grund. Kramer hatte im September 2018 entschieden, den von Björn Höcke geführten Thüringer Landesverband der AfD als „Prüffall“ einzustufen. Damit war der Thüringer Verfassungsschutz bundesweit der Vorreiter. Und Höcke reagierte. Er und der Landesverband der AfD reichten im November und im Dezember beim Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar Klagen gegen Kramer und gegen Landesinnenminister Georg Maier (SPD) ein. Die AfD-Leute lehnten auch einen der Richter ab, weil er ein Parteibuch der Linken hat und angeblich nicht unvoreingenommen über die Klagen urteilen kann. Dass das BfV nun die Gesamtpartei genauso bewertet, stärkt Kramer im Konflikt. Die Entscheidung des Bundesamtes „bestätigt uns in unserer ersten Bewertung“, sagte Kramer dem Tagesspiegel.

Wer zählt zum „Flügel“?

So oder so muss sich die AfD jetzt darauf einstellen, in Thüringen und Brandenburg Wahlkampf zu machen mit zwei Spitzenkandidaten, die im Visier des Verfassungsschutzes stehen. Björn Höcke und Andreas Kalbitz sind prominente Vertreter des „Flügels“, der vom Bundesamt zum Verdachtsfall erklärt wurde. Kalbitz selbst hat mehrere rechtsextreme Bezüge in seiner Vergangenheit. Doch er gibt sich gelassen. Zur Entscheidung des BfV sagt er: „Die politische Motivation ist durchschaubar, auch für die Wähler.“ Im Osten hätten die Leute eine gewisse Skepsis, was die Beobachtung durch Geheimdienste betreffe. Er erwarte keinen negativen Effekt bei der Landtagswahl.

Für den Verfassungsschutz wird nun die Herausforderung, festzulegen, wen er sonst noch zum „Flügel“ zählt. Eine feste Organisation ist die Strömung nämlich nicht.

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