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Massiv attackiert. Die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz erhielt schon im August 2018 die ersten Morddrohungen von "NSU 2.0". Am Mittwoch beginnt der Prozess gegen den Tatverdächtigen

© Boris Roessler/dpa

Prozess wegen Drohschreiben von „NSU 2.0“: Betroffene halten Einzeltäterthese für Skandal

Kurz vor Beginn des Prozess gegen Alexander M., der als NSU 2.0 Morddrohungen verschickt haben soll, äußern Betroffene heftige Kritik an den Ermittlern.

Von Frank Jansen

Kurz vor Beginn des Prozesses gegen den mutmaßlichen Drohbriefschreiber "NSU 2.0" erheben Betroffene schwere Vorwürfe gegen Polizei und Staatsanwaltschaft. "Für uns ist es ein Skandal, dass die Ermittlungen gegen einen vermeintlichen Einzeltäter geführt werden", kritisierten die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz, die Vorsitzende der Linkspartei Janine Wissler, die Kabarettistin Idil Baydar und weitere Opfer am Montag in einer Presseerklärung.

Am Mittwoch beginnt am Landgericht Frankfurt am Main die Hauptverhandlung gegen den Berliner Alexander M., der als NSU 2.0 von August 2018 bis März 2021 insgesamt 116 Drohschreiben an die drei Frauen und weitere Betroffene gesendet haben soll. Die Polizei hatte den Mann im Mai 2021 in Berlin festgenommen.

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Seitdem werde der Versuch unternommen, "den so genannten NSU-2.0-Komplex als endgültig aufgeklärt zu präsentieren", heißt es in der Mitteilung der Betroffenen. Doch für sie stehe fest, "der NSU-2.0-Komplex ist mit der Festnahme des Angeklagten nicht aufgeklärt".

Es gebe "zwingende Hinweise auf mindestens gezielte Datenweitergabe aus Polizeikreisen". Die Betroffenen gehen davon aus, dass zumindest einige ihrer persönlichen Daten "aus Polizeikreisen stammen und es einen Kontakt des Verfassers zu diesen Kreisen geben muss".

Die Daten von Seda Basay-Yildiz, Janine Wissler und Idil Baydar seien über dienstliche Zugänge auf Polizeicomputern in Frankfurt am Main und Wiesbaden aus nicht-dienstlichen Anlässen abgerufen worden. Weitere der in Drohschreiben verwandten Daten "stammen aus polizeilichen Abfragen in Hamburg und Berlin".

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Die Frankfurter Staatsanwaltschaft geht jedoch davon aus, dass sich Alexander M. als Mitarbeiter von Behörden ausgab und so bei der Frankfurter Polizei an Daten gelangte.

Abfragen sollen nicht die übliche Polizeiarbeit gewesen sein

Dass Frankfurter Polizisten sensible Informationen an Alexander M. weitergaben und sich damit strafbar machten, ist aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht zu belegen. Bei den Ermittlungen zur Drohbriefserie von NSU 2.0 wurde allerdings in der Frankfurter Polizei eine rechtsextreme Chatgruppe entdeckt. Ihr gehörte eine Polizistin an, die ohne dienstlichen Anlass im Computer private Daten von Seda Basay-Yildiz und deren Familie abfragte.

Die Anwältin ist überzeugt, dass ihre Daten gezielt für die Drohungen erhoben wurden. Am 2. August 2018 seien ihre Daten und die ihrer Familie in drei verschiedenen polizeilichen Datenbank 17-mal abgerufen worden, schildert Basay-Yildiz in der Erklärung der Betroffenen.

Hierfür habe es keinen dienstlichen Anlass gegeben und "eine solche Abfragestruktur" sei auch nicht übliche Polizeiarbeit. Bereits 90 Minuten nach der Abfrage seien diese Daten in einem Drohfax an Basay-Yildiz verwandt worden.

Die Betroffenen fordern, "die Ermittlungen in Hinblick auf die polizeilichen Datenabrufe weiter nachdrücklich zu betreiben". Dies gelte insbesondere für die noch offenen Ermittlungsverfahren gegen in diesem Zusammenhang beschuldigte und namentlich bekannte Polizeibeamtinnen und -beamte.

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