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In Polizeibegleitung. Der Angeklagt ist sich sicher, dass auch Beamte in der rechten Chatgruppe waren.

© Boris Roessler/dpa

Prozess um NSU-2.0-Drohbriefe: Angeklagter bestreitet alle Vorwürfe

Todesdrohungen, rassistische Hetze - damit will Alexander M. nichts zu tun gehabt haben. In einer rechten Chatgruppe im Darknet sei er allerdings gewesen.

Bevor Alexander M. alle Schuld von sich weist, will er sich noch entschuldigen. Die Stinkefinger, die der Angeklagte im NSU-2.0-Prozess am Mittwoch, dem ersten Verhandlungstag, aggressiv in die Kameras gestreckt habe, täten ihm leid.

„Das war kein politisches Statement“, sagt der 54-jährige Berliner. Als ob er befürchtet, dass die abwertenden Gesten bei den Richtern des Frankfurter Landgerichts das Bild vom hasserfüllten Drohbriefschreiber verfestigen könnten. Der soll Alexander M. laut Anklage sein. Seit 3. Mai vergangenen Jahres sitzt er in Untersuchungshaft, bestreitet alle Vorwürfe und spricht von einem Polizeiskandal, der verschwiegen werde.

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M., wie am Vortag in Reißverschlussjacke mit grellgelber Schulterpartie, verliest eine schriftliche Erklärung.

Keines der 116 Drohschreiben, die er laut Staatsanwaltschaft in den Jahren 2018 bis 2021 an Politiker, Anwälte, Journalisten und Behörden unter dem Namen „NSU 2.0“ geschickt haben soll, stamme von ihm. „Ich habe in keinem einzigen Fall eine Straftat begangen“, beteuert M. mit spürbarer Aufregung.

Die meisten Briefe gingen an Privatadressen

In den Briefen waren die Adressaten und vielfach auch deren Familien rassistisch beleidigt und mit dem Tod bedroht worden – meist versehen mit den privaten Wohnanschriften der Betroffenen. „Schäbig“ fände er diese Drohungen, behauptet M.

Einen persönlichen Zusammenhang zu der Drohbriefserie räumt der Berliner allerdings ein. Er habe auf eine Einladung hin ab 2019 an einer geschlossenen Chatgruppe im Darknet teilgenommen, in der über rechte Politik diskutiert worden sei.

„Ich war sicher, dass dort wegen des umfangreichen Insiderwissens und vielen Dienstgeheimnissen auch Polizisten involviert waren, kann es aber nicht beweisen“, sagt M.

Er sei jedoch überzeugt, dass die NSU-2.0-Schreiben in dieser Gruppe organisiert worden seien, und zwar von Polizisten. „Dass ich per Anruf an jede Menge streng geheimer Daten aus den Polizeicomputern gekommen sein soll, wäre ein einmaliger Unsinn in der deutschen Rechtsgeschichte“, sagt der Angeklagte.

M. will ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden

Seine eigene Rolle in der rechten Chatgruppe beschreibt M. als mäßigend. So habe er etwa der Behauptung, es gebe eine jüdische Weltverschwörung, widersprochen und sei deshalb angefeindet und im Sommer 2020 aus dem Forum ausgeschlossen worden. Zuvor habe er jedoch die Identitäten einiger Chatteilnehmer ermittelt. Diese Informationen würde er dem Gericht zur Verfügung stellen, sofern er in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werde.

Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Stellungnahme M.s gehen viele Opfer des NSU 2.0 davon aus, dass der Verfasser der Schreiben mindestens Helfer in den Reihen der Polizei gehabt haben muss.

Nachdem M. festgenommen worden war, hatte der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) die Polizei als rehabilitiert und alle Vorwürfe gegen diese als haltlos bezeichnet.

Dabei war im Zuge der NSU-2.0-Ermittlungen eine rechte Chatgruppe von Frankfurter Polizisten aufgeflogen. Später wurde sogar das Frankfurter SEK wegen rechter Umtriebe aufgelöst. Dass persönliche Daten der Opfer von Polizeirechnern abgefragt wurden, ist erwiesen. Alle verdächtigen Beamten verweigern die Aussage.

Was weiß er über mögliche Unterstützer bei der Polizei?

„Der Fall NSU 2.0 ist aus meiner Sicht nicht ausermittelt“, findet Antonia von der Behrens, die als Anwältin der Nebenklage das Opfer Seda Basay-Yildiz vertritt.

Sie zweifle nicht daran, dass M. hinter den Drohbriefen stecke. Die Frage sei, ob Gericht und Staatsanwaltschaft wirklich wissen wollten, was ihnen M. über mögliche Unterstützer bei der Polizei anbiete.

„Der Angeklagte versucht ganz offensichtlich, Lücken auszunutzen, die es tatsächlich in den Ermittlungen gibt“, sagt die Anwältin. Der Prozess wird kommenden Montag fortgesetzt, unter anderem mit der Zeugenvernehmung von Seda Basay-Yildiz.

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