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Staat und Muslime kommen ins Gespräch. Man sei noch nicht ganz auf Augenhöhe, sagt Erika Theißen (links, hier im Gespräch mit Familienministerin Schwesig), aber vieles habe sich verbessert.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Muslime in Deutschland: Profis im Namen Allahs

Die Flüchtlingskrise stellt die muslimischen Verbände vor zusätzliche Herausforderungen. Wie professionell arbeiten sie?

Demnächst soll es so weit sein: Ein eigener muslimischer Wohlfahrtsverband wird, wenn die Vorarbeiten funktionieren, neben die etablierten christlichen Caritas, Diakonie und säkulare Verbände wie die Arbeiterwohlfahrt treten. Nachdem islamische Theologie vor ein paar Jahren an die deutschen Universitäten gekommen ist, entsteht hier ein womöglich noch größeres Projekt, das Deutschlands Muslime in die Institutionen aufnimmt. Noch im Frühjahr soll eine „Koordinierungs- und Beratungsstelle“ starten, die das, was es an muslimischer Wohlfahrt bereits gibt, ins System eingliedern hilft. Das Familienministerium fördert die Stelle in den nächsten drei Jahren mit einer Viertelmillion Euro jährlich.

Der Aufstieg der Migrantenkinder

Lange führten die muslimischen Verbände ein Schattendasein – aus dem sie erstmals mit der Einrichtung der Deutschen Islamkonferenz vor zehn Jahren traten. Jetzt werden sie wichtig für die Integration von Hunderttausenden, die mit dem Flüchtlingszuzug nach Deutschland kommen. Von ihrer Arbeit wird nicht nur abhängen, wie die Muslime aufgenommen werden, sondern auch, wie ihre Integration gelingt.

Professionell sieht Erika Theißen ihre Glaubensschwestern und -brüder bestens gerüstet: Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Juristinnen oder Verwaltungsfachleute mit muslimischem Hintergrund gebe es inzwischen genug. Schreibe sie Stellen aus, meldeten sich „die gleichen jungen Leute, die auch Caritas und Diakonie nehmen“, sagt Theißen. Die Lehrerin hat vor 20 Jahren mit anderen Musliminnen in Köln das „Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen“ (BFmF) gegründet. Sie hat den Bildungsaufstieg der Migrantenkinder und -enkel miterlebt – und bei vielen befördert, denen ein Aufstieg versperrt war. Im BFmF fanden Lehrerinnen Arbeit, die wegen ihres Kopftuchs nicht arbeiten durften, eine junge Ökonomin gründete unter dem Dach des Zentrums die erste muslimische Schuldnerberatung.

Theißen, die das Projekt Wohlfahrtsverband in der Deutschen Islamkonferenz mit auf den Weg brachte, sieht heute etwa in der Wohlfahrtspflege der türkisch-islamischen Ditib „eine Brigade junger Leute“ am Werk, „die so professionell arbeiten wie die Arbeiterwohlfahrt“. Auch der Blick auf die muslimischen Profis sei anders geworden. „Wir werden inzwischen als Partner gesehen, vielleicht noch nicht ganz auf Augenhöhe, aber das hat sich sehr verbessert.“

Organisationsmuster aus den 70er Jahren

Umso trauriger findet Theißen, dass die stürmische Entwicklung auf die muslimischen Verbände nicht recht durchgeschlagen hat. „Ich verstehe nicht, warum die gemeinsame Interessenvertretung so schwer ist. Über die Gründung des Koordinationsrats der Muslime (KRM) vor neun Jahren „habe ich mich gefreut“, sagt sie. Aber sie wünschte sich dort „noch intensivere Zusammenarbeit“,

Murat Kayman bestätigt die Diagnose im Kern: „Der KRM arbeitet noch zu wenig inhaltlich. Darauf müsste er sich aber konzentrieren. „Auch über eine veränderte Organisation und Zusammensetzung könnte man nachdenken“, sagt der Rechtsanwalt, der die Ditib-Landesverbände koordiniert. Man könnte es auch härter sagen: Der KRM ist praktisch nicht reaktionsfähig. Vor einem Jahr, nach dem ersten Anschlag in Paris, organisierte nicht er, sondern sein Mitglied, der Zentralrat der Muslime, die Mahnwache vor dem Brandenburger Tor. Die Abstimmung im KRM hätte viel zu lange gedauert. Im vergangenen November gingen die Grünen-Politiker Volker Beck und Cem Özdemir, Letzterer immerhin Chef jener Partei, die traditionell an der Seite der Muslime stand, die vier großen Verbände hart an: Sie seien bestenfalls religiöse Vereine, aber keine Religionsgemeinschaften, sollten also auch nicht vom Staat anerkannt werden. Vom KRM kam dazu – gar nichts.

Auch eine Interessenvertretung der gemeinsamen muslimischen Anliegen in der Hauptstadt fehlt. Die Kirchen sind dort seit je vertreten. Öffentlichkeitsarbeit, sagt Kayman, sei ohnehin „ein sehr vernachlässigtes Feld“. „Wir haben noch zu oft die Binnenperspektive, wollen unsere Gemeinden mit Informationen versorgen, und denken zu wenig daran, uns nach außen zu erklären.“ Auch Kayman sieht das Problem nicht darin, dass dafür die Leute fehlten; die neue Generation gebe es. „Aber man muss ihr auch Tätigkeitsfelder überlassen.“ Das aber verhinderten oft Organisationsstrukturen aus den 70er und 80er Jahren und manchmal auch die unterschiedlichen Prägungen – hier die noch in der Türkei und im Nahen Osten sozialisierten Älteren, dort die, die Deutschland geformt hat. Häufig trennen sie nur wenige Jahre.

Ehrenamt - Fluch und Segen zugleich

Aber auch wenig Selbstbewusstsein sei ein Problem, Angst, etwas falsch zu machen. „Wir wollen zu oft nicht widersprechen, wir sind zu defensiv.“ Kayman wünscht sich „mehr Offensive und eine konsistente Position. Wir müssen auch Fehler unserer Partner auf staatlicher Seite offen ansprechen.“ Und natürlich brauche es Geld von außerhalb. „Aus Bordmitteln wie die vergangenen Jahrzehnte werden wir niemals so Teil der deutschen Öffentlichkeit werden können, wie wir es gemessen an unserem Anteil an der Bevölkerung sollten.“ Dafür müssten die Verbände allerdings auch selbst ihre Schwerpunkte anders setzen, meint ein Kenner der muslimischen Community: „Geld fließt in den Moscheebau, Verbands- und Öffentlichkeitsarbeit ist Ehrenamt“, das sei einfach falsch.

Das Engagement der Freiwilligen, überall hochgelobt – für Deutschlands Muslime scheint es Segen ebenso wie Fluch zu sein. „Mit 99 Prozent Ehrenamt – das ist Alltag in den Verbänden – gibt es nur bescheidene Möglichkeiten, professionelle Strukturen zu entwickeln.“ Und das liegt stark am Geld: „Muslimische Verbände haben ganz überwiegend immer noch erschwerten bis keinen Zugang zu öffentlicher Förderung.“ Malika Mansouri, bis vor Kurzem Vorsitzende der Muslimischen Jugend Deutschland (MJD), Rechtsanwältin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld, zieht allerdings eine optimistische Zwischenbilanz – aus eigener Erfahrung in der Jugendarbeit. „Wir waren seit unserer Gründung vor mehr als 20 Jahren für Deutschsprachigkeit, die ja grundlegend ist für Professionalisierung. Wir haben Kontakte nach außen geknüpft, an Türen geklopft – inzwischen bemüht sich jede Moschee, jede Gemeinde darum.“ Dabei stand ihre MJD jahrelang unter Beobachtung, Hessens und Baden-Württembergs Verfassungsschützer verzichteten erst 2015 darauf. Dennoch sei, sagt Mansouri, über die Jahre hinweg bei den nichtmuslimischen Partnern „Interesse an und wohl auch Vertrauen zu unserer Jugendarbeit gewachsen“. An das, was durch die Öffnung entstanden sei, könnten die Muslime jetzt in der Flüchtlingsarbeit anknüpfen. „Bedarf und Nachfrage an muslimischen Partnerschaften sind gerade enorm.“

Könner in der zweiten Reihe

Das könnte die inneren Veränderungen anstoßen, die die Gemeinden und Verbände brauchen. Mounir Azzaoui rät auch zu einer neuen Aufgabenverteilung, die die zunehmende Professionalisierung sichtbar macht. Der promovierte Politikwissenschaftler Azzaoui ist als Projektmanager der Essener Stiftung Mercator oft in Kontakt mit muslimischen Entscheidungsträgern, er saß vor zehn Jahren, damals noch Pressesprecher des Zentralrats der Muslime, in der ersten Deutschen Islamkonferenz und ist ein Kenner der muslimischen Organisationslandschaft. Die guten Leute in den Verbänden stünden noch zu oft in der zweiten oder dritten Reihe. Man müsse sie endlich nach vorn lassen. „Warum soll nicht eine Expertin für Wohlfahrtsarbeit im Namen eines Verbands sprechen, statt des Vorsitzenden, wenn es gerade um das Thema geht?“ Auch den Koordinationsrat als gemeinsame Vertretung muslimischer Interessen sieht Azzaoui kritisch: Statt dort über den kleinsten gemeinsamen Nenner „Einheitsbrei“ anzurühren, sollten die Verbände lieber, jeder für sich, Klartext sprechen. Und sich abstimmen, wenn dies nötig sei. „Die Kirchen schaffen das schließlich auch.“

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