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Die Angeklagte Beate Zschäpe am 100. Verhandlungstag des NSU-Prozesses.

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Update

NSU-Prozess – 100. Sitzungstag: Problematische Zahlungen an rechtsextremen V-Mann

Am 100. Verhandlungstag des NSU-Prozesses berichtet ein ehemaliger Verfassungsschützer von den üppigen Zahlungen an den V-Mann Tino Brandt und dessen Aufstieg in der Thüringer NPD. Wichtige Fragen blieben aber offen oder wurden erst gar nicht gestellt.

Von Frank Jansen

Der Thüringer Verfassungsschutz wird im Fall NSU oft wegen Versäumnissen und mangelhafter Kooperation mit der Polizei kritisiert. Weniger thematisiert wird hingegen, dass die Behörde zumindest 1998 mit größerem Aufwand versuchte, die im Januar jenes Jahres abgetauchten Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe ausfindig zu machen. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) habe dem V-Mann Tino Brandt ein Fahrzeug mit „Spurfolgetechnik“  zur Verfügung gestellt, berichtete am Dienstag ein früherer Beamter im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Es war der 100. Sitzungstag. Das war allerdings kaum zu spüren, nur etwas mehr Fotografen und Kameraleute als üblich interessierten sich vor Beginn der Verhandlung für Zschäpes Gesicht.

Der Ex-Verfassungsschützer, heute im Landesverwaltungsamt tätig und Mitglied bei den Grünen, hatte als V-Mann-Führer von 1994 bis 1998 die „Quelle“ Tino Brandt geführt. Dessen Deckname lautete „Otto“. Der Plan mit dem präparierten Wagen für „Otto“ klingt nach klassischer Geheimdienstarbeit, zumindest theoretisch mit Aussicht auf Erfolg. Unklar bleibt, warum es nicht geklappt hat.

Tino Brandt war damals einer der Anführer der rechtsextremen Szene in Thüringen und im Milieu bestens vernetzt. Das wollte sich der Verfassungsschutz bei der Suche nach den drei Verschwundenen zunutze machen. V-Mann Brandt bekam den Auftrag, das Fahrzeug dem Jenaer Neonazi André K. zur Verfügung zu stellen. In der Erwartung, André K. würde es an die mit ihm eng bekannten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe weiterreichen und die drei könnten dann über den Wagen geortet werden. Die Spurfolgetechnik, vermutlich eine Art Peilsender, hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung. Außerdem hatte ein „Spurfolgeteam“ des LfV Thüringen das Fahrzeug im Blick.

Brandt habe anfangs an „Verräterkomplex“ gelitten

Es sei Tino Brandt gelungen, André K. den Wagen „unterzujubeln“, sagte der frühere Verfassungsschützer. Doch K. habe sich verfolgt gefühlt. Der Beamte vermutete, der Jenaer Neonazi sei davon ausgegangen, von den Sicherheitsbehörden ständig beobachtet zu werden. Jedenfalls gab André K. den Wagen nicht Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, die sich zunächst in Chemnitz versteckt hielten.

Bei der Aussage des Beamten blieb offen, ob Tino Brandt ein doppeltes Spiel getrieben und André K. gewarnt haben könnte. Die sich aufdrängende Frage wurde am Dienstag vom Vorsitzenden Richter Manfred Götzl nicht gestellt. Der Zeuge soll allerdings noch einmal im Prozess erscheinen – wenn Brandt, eine bizarre Figur nicht nur im Fall NSU, ausgesagt hat.

Die „Quelle“ habe anfangs, wie bei frisch geworbenen V-Leuten üblich, unter einem „Verräterkomplex“ gelitten, sagte der Beamte. Brandt habe zunächst bei der Weitergabe von Informationen betont, das sei sowieso schon alles bekannt. Der Verfassungsschutz habe ihn dann „verführt mit Geld“. Brandt habe bei den wöchentlichen Treffen, immer donnerstags an einer Raststätte, einem Hotel oder auf einem Parkplatz, zwischen 200 und 400 D-Mark bekommen, sagte der Zeuge.

Außerdem seien Tino Brandt dessen Auslagen bezahlt worden. Hin und wieder habe es auch Sonderprämien gegeben. Der frühere Verfassungsschützer nannte dazu Termine, die für die rechtsextreme Szene einen kultartigen Charakter haben: Der „Führergeburtstag“ am 20. April, die Aufmärsche im August zur Erinnerung an Rudolf Heß und Sonnenwendfeiern. Die Behörde wollte dann rechtzeitig wissen, was die Neonazis planen. Das hat offenbar funktioniert. Jedenfalls war Brandt, wie der Beamte angab, „die bestbezahlte Quelle damals“.

Bereits in der vergangenen Woche hatte ein früherer V-Mann-Führer von erheblichen Zahlungen an Brandt berichtet. Keiner der beiden Ex-Verfassungsschützer nannte eine Gesamtsumme, bekannt ist aber, dass Brandt von 1994 bis zum Ende der Spitzelei im Jahr 2001 etwa 200.000 D-Mark erhalten haben soll. Das Geld will Brandt nach eigener Darstellung wenigstens teilweise in die Szene gesteckt haben.

In seinen politischen Ansichten sehr gefestigt

Der Zeuge am Dienstag berichtete zumindest, dass die üppigen Zahlungen an Brandt nicht ganz unproblematisch waren. „Da wir ihn finanziell gut ausgestattet haben, gab er in der Szene den Ton an“, sagte der Zeuge. Er habe da versucht, „auf die Bremse zu treten“. Doch der Verfassungsschutz verhinderte nicht, dass sich Brandt zum Anführer der Neonazi-Truppe „Thüringer Heimatschutz“ aufschwang, der auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe angehörten. „Das Bremsen ist nicht so gelungen, wie wir es uns gewünscht hätten“, sagte der ehemalige V-Mann-Führer.

Im Jahr 2001 wurde Brandt dann als V-Mann „abgeschaltet“. Als Grund nannte der Zeuge Brandts Aufstieg in der Thüringer NPD, im Frühjahr 2000 wurde er Vizechef. Brandt sei „zu prominent geworden“. Der Beamte deutete allerdings auch, wie sein früherer Kollege in der vergangenen Woche, interne Konflikte im LfV bei der Abschaltung des V-Manns an.

Zu einem wichtigen Thema im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex wusste der Zeuge jedoch wenig. Richter Götzl fragte nach dem Versuch von Tino Brandt, für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Reisepässe zu beschaffen, für eine Flucht ins Ausland. „Ich weiß es nicht, ich halte es aber für möglich“, sagte der Beamte. Gut erinnern konnte er sich allerdings an Brandts Charakter. Er sei in seinen politischen Ansichten „sehr gefestigt“ gewesen, „aber nicht in der Persönlichkeit“. Der Zeuge beschrieb Brandt als „Kindskopf“, der immer das neueste Handy haben wollte. Und der bei den Treffen mit einer „Mischung aus Unsicherheit und geglaubter Überlegenheit“ aufgetreten sei. Der Ex-Verfassungsschützer betonte, er sei bei diesem V-Mann „sehr argwöhnisch“ gewesen. Obwohl Brandt fleißig Informationen lieferte und sich manchmal sogar im Beisein des V-Mann-Führers über ein laut gestelltes Handy mit anderen Rechtsextremisten unterhielt.  

Brandts Kontakte zur rechten Szene rissen nicht ab

Die Abschaltung im Jahr 2001 nahm dann wieder der Beamte vor, obwohl er 1998 die Führung des Spitzels abgegeben hatte. Brandt sei „ein bisschen geschockt gewesen“, sagte der Zeuge. Aber der Abschied vom Verfassungsschutz wurde dem V-Mann versüßt. Die Behörde schenkte ihm als Abschaltprämie 6.000 D-Mark. Das Geld schuldete Brandt der Behörde noch. Offenbar hatte das LfV dem V-Mann auch Darlehen gewährt.

Kurze Zeit nach der Trennung vom Verfassungsschutz enttarnte die Zeitung „Thüringer Allgemeine“ Brandt als früheren Spitzel. Erstaunlicherweise rissen seine Kontakte zur rechten Szene nicht ab. In einem Interview mit einem bekannten Rechtsextremisten bekam Brandt sogar Gelegenheit, seine Zusammenarbeit dem Verfassungsschutz zu erklären.

Nach der Befragung des früheren Verfassungsschützers musste sich der Strafsenat am Nachmittag wieder mit einem schwierigen Zeugen aus dem früheren Umfeld von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe auseinandersetzen. Thomas R., ein Kahlkopf mit Vollbart und dunkelblauer Latzhose, antwortete auf die Fragen von Richter Götzl in dreistem Ton und gab sich immer wieder unwissend. Der Bauarbeiter hatte im Januar 1998 die gerade untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe für ungefähr zwei Wochen in seiner Wohnung in Chemnitz aufgenommen. Auch später hatte Thomas R. zu ihnen Kontakt, wie er auf beharrliches Fragen von Richter Götzl schließlich zugab. Andererseits behauptete R., er wisse nicht, was in der rechten Szene die Zahl „88“ bedeute – obwohl er einräumte, mit der braunen, international agierenden Skinhead-Vereinigung „Blood and Honour“ Konzerte organisiert zu haben. „88“ ist bei Neonazis eine Chiffre für Heil Hitler, analog zum jeweils achten Buchstaben des Alphabets. Als Thomas R. sich auch noch weigerte, Personen zu nennen, die mit ihm Konzerte veranstaltet hatten, reagierte Richter Götzl erstmals in den 100 Tagen NSU-Prozess mit einer Drohung.

Thomas R. rettete sich in eine Auszeit

Er kündigte Thomas R. Zwangsmaßnahmen von Ordnungsgeld bis Ordnungshaft an, sollte er die Hintermänner nicht nennen. Der Zeuge schaffte es aber, sich in eine Auszeit zu retten. Er wolle nichts sagen, weil gegen ihn seit 2006 oder 2008 ein Verfahren „wegen Blood and Honour“ laufe, sagte R. Die deutsche „Division“ der Vereinigung war im Jahr 2000 vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) verboten worden, danach gab es mehrfach Ermittlungen wegen fortgesetzter Aktivitäten der neonazistischen Skinheadtruppe. Götzl unterbrach die Verhandlung kurz und erkundigte sich bei der Staatsanwaltschaft Dresden nach dem Verfahren. Die Behörde teilte mit, die Ermittlungen gegen Thomas R. seien 2010 eingestellt worden. Der Richter will den Vorgang dennoch genauer prüfen und entließ Thomas R. aus der Verhandlung – allerdings nur vorläufig. Die Drohung mit Ordnungsgeld oder Ordnungshaft bleibt bestehen.   

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