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Er will Waffen haben, sie will keine liefern: der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Kiew.

© Photo by Handout / Ukrainian Foreign Affairs press-service / AFP

Pro und Contra zum Rüstungsexport: Soll Deutschland Waffen an die Ukraine liefern?

Nicht nur die Politik streitet über die richtige Hilfe für das von Russland bedrohte Land. Auch unsere Redaktion ist sich uneins. Ein Pro und Contra.

Großbritannien hat beschlossen, die Ukraine mit Waffen zu beliefern. Diese Entscheidung setzt die Bundesregierung unter Druck. Sollte Deutschland nachziehen? Ein Pro von Christoph von Marschall und Contra von Malte Lehming.

Pro Waffenlieferungen (Christoph von Marschall)
Die Resistenz bei SPD und Grünen gegen eigene Lernerfahrungen ist erstaunlich. Sie verweigern der Ukraine die Lieferung von Verteidigungswaffen. Sogar Schutzwesten und Helme sind umstritten. Sie hatten sich doch in den Jahrzehnten seit Ende des Kalten Kriegs mehrfach zur Einsicht durchgerungen: Der Grundsatz, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern, ist unmoralisch, wenn man damit den Opfern übermächtiger Nachbarn die Chance zur Verteidigung nimmt.

In den Balkankriegen mussten Zehntausende sterben, ehe Deutschland den Bedrängten half. Eine rot-grüne Regierung schickte die Bundeswehr in den Kosovokrieg zum Schutz der Albaner vor den Serben.

Als die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien und im Irak wütete, rüstete Deutschland Kurdenmilizen mit Waffen aus, damit sie religiöse Minderheiten wie die Jesiden vor den Mördern retten. Als Robert Habeck im Mai nach einem Frontbesuch in der Ostukraine sagte, man könne den Angegriffenen Abwehrwaffen nicht verweigern, durfte man hoffen: Der innerparteiliche Streit ist geklärt. Die Grünen sind endgültig in der Realmoral angekommen.

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Und nun wieder zurück auf Start, unter Rückgriff auf Argumente, die empirisch widerlegt sind? Das Exportrecht ist kein Hindernis, wenn man es nicht zu einem machen will. Das zeigt die Bewaffnung der Kurden. Zur Behauptung, die Lieferung von Abwehrwaffen führe zur Eskalation, sagen Amerikaner und Ukrainer: Die Aufständischen hätten ihre russischen Panzer zurückgezogen, als publik wurde, dass die Ukraine panzerbrechende Waffen aus den USA erhalten hat.

Großbritannien und die USA liefern weitere Verteidigungswaffen, darunter zur Luftabwehr, um Russlands militärische Vorteile zu kontern. Es geht nicht darum, die Ukraine so auszurüsten, dass sie einen Krieg gegen Russland gewinnen kann; sondern dass der Preis an gefallenen Soldaten, Kriegs- und Besatzungskosten für Putin abschreckend hoch wird. Die Ukraine ist heute nicht mehr eine so leichte und billige Beute wie die Krim 2014. Viele Ukrainer sind zur Gegenwehr entschlossen – und im Fall einer russischen Besatzung zu Widerstand. Ihr Land solle für Putin so schwer verdaulich werden wie ein Stachelschwein für Raubtiere, heißt es.

Überhebliche deutsche Sondermoral

Reicht das aus, um Putin vom Angriff abzuhalten? Das weiß nur er selbst. Er hat seine Truppen schon einmal aufmarschieren lassen und sie wieder abgezogen, offenbar weil ihm der Preis für einen Angriff zu hoch war. Warum nicht wieder?

Dennoch, da liegt ein ernster Einwand: Falls Putin fest entschlossen ist, anzugreifen, könnten Waffenlieferungen einen Krieg verlängern, den die Ukraine mit umso mehr Toten bezahlt. Aber: Sollten die Ukrainer diese Abwägung nicht besser selbst treffen? Es klingt nach einem weiteren Beispiel für überhebliche Sondermoral, wenn Deutschland die Haltung einnimmt, es wisse besser als die Betroffenen, was gut für sie ist.

Waffenlieferungen an die Ukraine erhöhen die Chance, dass Putin nicht angreift. Wie erbittert sich die Ukrainer wehren, falls er es doch tut, entscheiden die Ukrainer. Die Ampelparteien sollten auch diesen Teil des Selbstbestimmungsrechts achten.

Ein ukrainischer Soldat in einem Schützengraben an der Trennlinie zu den pro-russischen Rebellen in der Region Donezk
Ein ukrainischer Soldat in einem Schützengraben an der Trennlinie zu den pro-russischen Rebellen in der Region Donezk

© dpa/AP/Andriy Dubchak

Contra Waffenlieferungen (Malte Lehming)
Der Westen ist entschlossen, Wladimir Putin als Bluffer zu entlarven. Dessen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine ist der größte in Europa seit Ende des Kalten Krieges. Der Autokrat droht mit einem erneuten Einmarsch in das souveräne Land. Zu seinen Forderungen zählen die Verpflichtung der Nato, Georgien und die Ukraine nicht als Mitglieder aufzunehmen sowie der Verzicht auf Raketenabwehrsysteme im östlichen Teil Europas.

Die Nato will keine dieser Bedingungen erfüllen. Sie betont das Recht jedes Landes auf nationale Selbstbestimmung und setzt auf Abschreckung. Putin müsse einsehen, dass eine militärische Aggression mehr Kosten verursacht als Nutzen bringt. Gedroht wird mit scharfen Sanktionen, einem Ausschluss aus dem Dollar-Verrechnungssystem Swift, einem Ende von Nord Stream 2.

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Das klingt so richtig wie rational. Das Problem ist nur, Putin ist seinerseits entschlossen, den Westen als Bluffer zu entlarven. Die USA hält er für dekadent, die Europäische Union für zahnlos. Er weiß, dass die Nato der Ukraine militärisch nicht helfen wird. Er glaubt, dass die Angst des Westens vor Chaos auf den Weltmärkten und – im Falle ausbleibender russischer Erdgas-Exporte – vor eisigen Wohnungen und explodierenden Energiepreisen größer ist als der Wille, das Völkerrecht zu verteidigen.

Wie sinnvoll ist es in dieser extrem labilen Situation, in der Fehlinterpretationen nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich sind, an die Ukraine Waffen zu liefern? Die USA tun es, Großbritannien tut es, Deutschland tut es nicht. Das hat allerdings wenig mit Appeasement, sondern viel mit Realpolitik zu tun.

Darauf zu hoffen, dass Putin ohne irgendein vorzeigbares Resultat seine Truppen unverrichteter Dinge wieder abziehen lässt, ist naiv. Sein Land ist Atommacht, er will im Konzert der Mächtigen mitspielen und respektiert werden. Waffenlieferungen an die Ukraine wird er als weiteren Demütigungsversuch empfinden. Ist es das wert?

Über Putin darf sich keiner Illusionen machen

Zu fragen ist auch, ob solche Waffen in einem Krieg das Leiden vergrößern. Die Ukraine kann Russland militärisch nicht Paroli bieten. Sollte sie es mit Hilfe westlicher Waffen versuchen, könnte Putin das als Vorwand nehmen, noch härter zuzuschlagen. Die Ukraine hat, wie jedes souveräne Land, das Recht auf Selbstverteidigung. In welchem Umfang sie davon Gebrauch macht, muss sich auch an den Erfolgsaussichten messen lassen.

Über Putin darf sich keiner Illusionen machen. Er hat Georgien und die Ukraine überfallen, unterstützt Syriens Assad, lässt Dissidenten ermorden, höhlt die Demokratie aus, wo immer es geht. Die Bedingungen, die er der Nato stellt, sind inakzeptabel.

Doch die Strategie, wie er von einer weiteren Invasion in die Ukraine abgehalten werden kann, erfordert neben Brustgetrommel vor allem Klugheit. Die Kriegsgefahr ist immer dann am größten, wenn ein Aggressor nichts zu befürchten oder nichts mehr zu verlieren hat. Da eine Nato-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine ohnehin nicht akut ist, könnte sie etwa, befristet auf zehn Jahre, auf Eis gelegt werden. Vielleicht gibt sich Putin mit einem solchen Mini-Triumph zufrieden. Es käme auf einen Versuch an.

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