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Ein ukrainischer Soldat mit Raketen für eine amerikanische M777 Haubitze im Donbass.

© REUTERS

Tag 105 im Ukraine-Krieg: „Präzision eines Scharfschützengewehrs“ – Ukrainer nutzen westliche Artillerie im Donbass

Norwegen liefert Haubitzen, Scholz telefoniert mit Selenskyj, Melnyk kritisiert Merkel und weitere Entwicklungen des Tages. Der Überblick am Abend.

Die Ukraine hat ihre Stellungen in der schwer umkämpften Stadt Sjewjerodonezk vorerst stabilisiert. Das gab der britische Geheimdienst in seiner täglichen Lageeinschätzung heute bekannt. Zu Teilen ist das einer überraschendenden Gegenoffensive in der Stadt zu verdanken. Aber auch westliche Waffen haben wohl eine Rolle gespielt. Vor allem Artilleriesysteme aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Norwegen sind derzeit schon im Donbass im Einsatz (nein, deutsche Systeme habe ich nicht unterschlagen, sie sind schlicht nicht da).

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Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow schrieb dazu vor einigen Tagen auf Facebook: "Die russischen Besatzer erhalten eine Abfuhr, die sie nicht erwartet haben." Der Kommandeur einer Einheit, die die US-Haubitzen nutzt, sagte gegenüber dem Portal "Politico": "Sie funktionieren hervorragend. Sie haben die Präzision eines Scharfschützengewehrs und feuern gleichzeitig eine 155-mm-Granate ab. Ihre Reichweite ist viel größer als die unserer eigenen Waffen, und wir können ihre Stellungen, Nachschublinien und Munitionsdepots in größerer Entfernung treffen."

Eine M777 Haubitze an der Front im Einsatz.

© REUTERS

Noch sind zahlenmäßig zu wenige schwere Waffen aus dem Westen im Donbass, um den Ukrainern eine erfolgreiche Gegenoffensive zu ermöglichen. Aber das, was für die Ukrainer schon verfügbar ist, deutet das Mögliche an. Aktuell sind eher die russischen Truppen im Vorteil; vor allem weil sie sehr viel mehr Soldaten im Einsatz haben. 

Wie man die aktuelle Lage zusammenfassen kann? Der US-Militärexperte Michael Kofman hat es gegenüber der "Washington Post" so getan: "In gewisser Hinsicht handelt es sich um einen Krieg, aber um zwei verschiedene Kampagnen. In der ersten ging es darum, ob die Ukraine als unabhängiger Staat überleben würde oder nicht - und Russland hat diese Auseinandersetzung klar verloren. ... In der zweiten Phase geht es darum, welches Territorium dieser unabhängige ukrainische Staat letztendlich kontrollieren wird, und das ist nach wie vor sehr umstritten."

DIE WICHTIGSTEN NACHRICHTEN DES TAGES IM ÜBERBLICK

  • Die von Russland installierte Verwaltung im besetzten Teil der ukrainischen Region Saporischschija will noch in diesem Jahr ein Referendum über einen Anschluss an Russland abhalten, wie die Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf ein Mitglied des Gremiums meldet. Mehr lesen Sie in unserem Newsblog.
  • Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) hat Verständnis für die Kritik an ihrem langen Engagement für die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 geäußert. „Ich sehe das ja heute auch kritisch“, sagte Schwesig der Wochenzeitung „Die Zeit“.
  • Trotz der Ankündigungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kommen die deutschen Waffenlieferungen für die Ukraine nach einem Bericht des „Spiegel“ weiter nicht in Gang. In einer Mail an ausgewählte Sicherheitspolitiker informierte die Bundesregierung am Mittwoch, dass es seit der Woche „keine Ergänzungen“ bei den ausgelieferten Waffen gegeben habe.
  • Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk hat einen möglichen EU-Beitrittskandidatenstatus für sein Land als Ansporn für weitere Reformen bezeichnet. Der 46-Jährige warb am Mittwoch im Straßburger Europaparlament dafür, der Ukraine die Perspektive auf einen EU-Beitritt zu gewähren und den Ukrainern die Hoffnung darauf nicht zu nehmen. Er könne den Abgeordneten versichern, dass diese Botschaft Ansporn für sein Land wäre, schnell weitere Reformen voranzutreiben, sagte Stefantschuk der Parlamentsübersetzung zufolge. Es sei wichtig, dass die Ukraine diesen Ansporn von dem EU-Gipfel am 23. und 24. Juni erhalte.
  • Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über weitere deutsche Unterstützung für die Ukraine gesprochen. In einem Telefonat am Mittwoch sei es zudem darum gegangen, wie Getreideexporte aus der Ukraine auf dem Seeweg ermöglicht werden könnten, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit.
  • Die ukrainischen Streitkräfte verzeichnen nach russischen Angaben hohe Verluste bei den Kämpfen um die Region Donbass im Osten des Landes. Allein bei Gefechten um die Stadt Swjatohirsk habe die Ukraine innerhalb von drei Tagen mehr als 300 Kämpfer verloren, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Mittwoch in Moskau. Zudem seien 15 Kampffahrzeuge und 36 Waffensysteme zerstört worden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
  • Die Ukraine erhält demnächst 22 Panzerhaubitzen aus Norwegen. Darunter seien auch Ersatzteile, Munition und andere Ausrüstung, wie das norwegische Verteidigungsministerium mitteilte. "Die norwegische Regierung hat mit der öffentlichen Bekanntgabe der Lieferung aus Sicherheitsgründen gewartet. Künftige Lieferungen dürfen nicht angekündigt oder kommentiert werden", hieß es.
  • Millionen Tonnen Getreide können aus von Russland blockierten Häfen nicht abtransportiert werden. Außenminister Lawrow aber nennt ukrainische Minen als Grund. Mehr dazu hier.
  • Ex-Kanzlerin Angela Merkel sieht keinen Grund, sich für ihren Russland-Kurs zu entschuldigen. Der ukrainische Botschafter findet das befremdlich. Mehr hier. 
  • Eigentlich sollten die Erdöl-Importe sinken und die russische Wirtschaft geschwächt werden. Stattdessen stieg der Anteil russischen Öls in Europa zuletzt offenbar anMehr hier. 

HINTERGRUND UND ANALYSE

1. Warnung vor dem „Krim-Effekt“: Der Westen darf sich nicht an Russlands Krieg gewöhnen
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2. Deutsche Waffen für die Ukraine: „Niemand liefert in ähnlich großem Umfang“ – die Scholz-Ansage im Faktencheck
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