zum Hauptinhalt
Die migrationsfeindliche Wahlparole wurde auf Druck der Öffentlichkeit abgehängt.

© REUTERS

Populismus in Kanada: Wenn ein „Trump light“ mit Bierpreisen wirbt

Kanada zeigt, wie Integration und Multikulturalismus gelingen, und vor allem, wie die zum Bollwerk gegen Rassismus werden - statt zum Brandherd. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Max Tholl

Seit Oktober letzten Jahres, wird das “kanadische Modell” oft als Vorbild für eine erfolgreiche Cannabis-Legalisierung angeführt. Kanada ist nach Uruguay erst der zweite Staat weltweit, der den Konsum und Anbau der Droge landesweit gestattet. Die Legalisierung passt zum progressiven Image, das sich das Land unter Premier Justin Trudeau verpasst hat, und auf das viele andere Staaten neidisch schielen.

Doch die Cannabispolitik ist beileibe nicht das einzige kanadische Modell, das internationales Interesse weckt. Besonders das Punktesystem, das die Einwanderung reguliert, und auf den Arbeitskräftemangel anpasst, gilt als eines der progressivsten der Welt. Für Kanada ist Einwanderung ein wesentlicher Bestandteil des nationalen Selbstverständnisses, ein Garant für wirtschaftlichen Erfolg, und Baustein eines weiteren kanadischen Modells: Die vermeintliche Immunität gegen rechtspopulistische Taktiken. 

Bald ist Wahl, aber hetzerischen Parolen hört man nicht

Denn die Populismus-Welle, die fast alle westlichen Demokratien (und viele Staaten darüber hinaus) in den vergangenen Jahren erfasst hat, scheint bisher an der kanadischen Grenze zu verebben. In knapp zwei Monaten wird in Kanada eine neue Regierung gewählt, doch hetzerische und diskriminierende Parolen, die in den meisten westlichen Demokratien den Wahlkampf dominieren, sind hier nur eine Randerscheinung.

Zwar steht mit dem ehemaligen Außenminister Maxime Bernier und dessen im September 2018 gegründeter People’s Party eine dezidiert rechtspopulistische und migrationskritische Alternative zur Wahl, großen Einfluss kann man ihr aber nicht zusprechen. In Umfragen kommt Bernier auf knapp vier Prozent der Stimmen, vom nationalen TV-Duell der Kandidaten wurde er jüngst ausgeschlossen, da seine Partei noch nicht im Parlament vertreten ist.

"Nein zur Massenmigration" wurde abmontiert

Kürzlich gab eine Plakatwerbefirma öffentlichem Druck nach und entschied sich dazu, Wahlkampfplakate mit Berniers Konterfrei und der Forderung “Nein zur Massenimmigration” wieder abzumontieren. Solche Nachrichten seien nicht mit den Werten des Landes zu vereinbaren, hieß es in einem Schreiben. Dieser Punkt der Eindämmung ist in Europa oder den USA längst überschritten, dort ist der Geist aus der Flasche. 

Trotz seiner niedrigen Umfragewerte blicken viele Kanadier sorgenvoll auf Berniers Kampagne, denn das Land hat wenig Erfahrung mit der Art von Politik, die dieser propagiert. Und die Angst, es könnte auch hier zu einer rechtspopulistischen Revolution kommen, steigt mit jeder Wahl. Bernier bezeichnet seinen Stil als “smarten Populismus” und will die “Massenimmigration” stoppen, die ihm zufolge den kulturellen Charakter und das soziale Gefüge des Landes negativ verändert.

Bierpreise senken!

Man muss weit zurückblicken, um solche Aussagen einer nationalen Partei zu finden. In den 1990er-Jahren ging die Reformpartei Kanadas mit ähnlichen Mitteln auf Stimmenfang, aber auch sie blieb in der Außenseiterrolle. Doch Kanada blieb keineswegs verschont von populistischen oder rechten Tendenzen.

Das Bruderpaar Ford ist wohl das bekannteste Beispiel. Der verstorbene Rob Ford machte nicht nur als Crack-rauchender Bürgermeister von Toronto Schlagzeilen, sondern kokettierte auch regelmäßig mit migrationskritischen Aussagen. Sein Bruder Doug, derzeitiger Premierminister der einwohnerstärksten Provinz Ontario, steht ihm in Nichts nach. Wegen seiner Rhetorik und Wahlversprechen, die Bierpreise in der Provinz zu senken und den progressiven Sexualkundeunterricht wieder konservativer zu gestalten, gilt er vielen als kanadisches Pendant zu Donald Trump - wenn auch als “light version”.

Migrationsfeindlichkeit verprellt zu viele

Was den Populismus der Gebrüder Ford vom Rechtspopulismus von Trump oder der AfD unterscheidet, ist die Haltung zur Migration. In einem Land, in dem über ein Fünftel der Bevölkerung in anderen Staaten geboren wurde, sind migrationskritische Aussagen reines Wählergift. In ungefähr acht Prozent der landesweiten Wählerkreise stellen Menschen mit Migrationshintergrund die Mehrheit der Stimmen. Kein Politiker will auf diese verzichten. Man kann migrationskritisch sein, keineswegs aber migrationsfeindlich. 

Doch was unterscheidet Kanada in diesem Punkt von anderen traditionellen Einwanderungsländern wie den USA oder Deutschland, deren Gesellschaften auch sehr heterogen sind?

Philosoph und Autor Andrew Potter meint, der Populismus in Kanada könnte niemals von einem “wahren Volk” ausgehen, das sich durch Immigration bedroht fühlt, da es keine atavistische und einheitliche Idee nationaler Identität gibt, die Nostalgie und ein “Wir gegen Die”-Denken fördert. “Wir haben sehr viele Kulturen in diesem Land, die sehr verschieden sind, das macht es schwieriger eine einzelne Gruppe wie beispielsweise Türken in Deutschland oder Latinos in den USA zu stigmatisieren”, sagt er.

In Kanada war nie eine Kultur dominierend

Dass es keine übergeordnete und exklusive Identität im Land gibt, sei historisch erwachsen, argumentiert Potter, da es in Kanada nie die eine, dominierende Siedlerkultur gab und der Multikulturalismus heute nicht nur als Teil einer nationalen Identität, sondern quasi als Ersatz für diese fungiert. Dieser Umstand, so Potter, mache Rechtspopulismus auf nationaler Ebene schwierig. Stattdessen würden sich diese Impulse in einem starken Regionalismus manifestieren, der sich gegenläufig zu einem dominierenden landesweiten Nationalismus verhält.

Die französischsprachige Provinz Québec etwa, gilt als Hochburg der kanadischen Migrationsressentiments, doch die dortige Regierungspartei CAQ, die durchaus rechtspopulistische Tendenzen zeigt, profiliert sich vor allem über die Stärkung der regionalen Autonomie, und nicht über fremdenfeindliche Scharfmacherei. Diese setzt vor allem dann ein, wenn regionale und nationale Interessenkonflikte in diesem Spannungsfeld auftreten Migrationskritik ist als politisches Thema dem Regionalismus untergeordnet, welcher ein Erstarken einer nationalen, migrationsfeindlichen Bewegung erschwert. 

Den politischen Institutionen wird vertraut

Natürlich spielen noch andere Faktoren mit: Die Wirtschaft boomt, Kanada teilt sich nur mit den USA eine Grenze, und die Bevölkerung hat das weltweit höchste Vertrauen in die politischen Institutionen. Doch vor allem, ist es das Fehlen einer nationalen und exklusiven Leitkultur, die dem Rechtspopulismus den Nährboden entzieht.

Nach dem Wahlerfolg von Trump und dem Brexit-Votum in Großbritannien, analysierte der Meinungsforscher Michael Adams 2017 in seinem Buch “Could it happen here?” den “kanadischen Exzeptionalismus”, der das Land bis dato vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt hat. Sein Fazit: “Kanada bekommt einen Schnupfen, aber keine Lungenentzündung.” Die Integrationspolitik des Landes habe es geschafft, Multikulturalismus erfolgreich in der Gesellschaft zu verankern und so Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Niemand ist über Jahre Ausländer

"42 Prozent der Bevölkerung sind Migranten erster oder zweiter Generation und 85 Prozent aller Ausländer nehmen die kanadische Staatsbürgerschaft an, nachdem sie drei Jahre hier gelebt haben. Sie sind keine Gastarbeiter oder Flüchtlinge, sondern Mitbürger”, sagt Adams. Im Vergleich zu Deutschland, wo die Einbürgerungsquote unter zwei Prozent liegt und durchschnittlich 17 Jahre vergehen, bis Einwanderer diesen Schritt unternehmen, ist die kanadische Bilanz beeindruckend, und der Erfolg gibt der Politik Recht. 

Das kanadische Modell lässt sich zwar nicht ohne Weiteres auf ein Land wie Deutschland übertragen, aber am Beispiel Kanadas zeigt sich, wie Integration und Multikulturalismus gelingen, und vor allem, wie die zum Bollwerk gegen Rassismus werden - statt zum Brandherd. Eine progressive und inklusive Migrations- und Integrationspolitik sind wesentliche Bestandteile auf dem Weg dahin. Deutschlands Zustand mag längst über den “Schnupfen” hinaus sein, aber es wäre gefährlich die Genesung aus Angst vor potenziellen Nebenwirkungen zu gefährden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false