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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nutzte in der Vergangenheit den Begriff „Asyltourismus“ - hier ist er im Bierzelt zu sehen.

© picture alliance / dpa / Matthias Balk

Politisches Framing: Was Begriffe wie "Asyltourismus" in unserem Gehirn auslösen

Die Linguistin Elisabeth Wehling erklärt im Interview, wie politisches Framing funktioniert - und wie sich Politiker diesen Effekt zu Nutze machen.

Frau Wehling, wir beobachten in Deutschland gerade eine Diskursverschiebung – Ausdrücke wie „Asyltourismus“ sind bis in die CDU hinein salonfähig. Warum setzen sich solche Begriffe durch?

Zunächst einmal spiegeln solche Begriffe eine Programmatik wider, die primär auf das nationale Eigeninteresse Deutschlands und auf Recht und Ordnung setzt. Wenn beispielsweise „Asyltourismus“ eine gewisse Abfälligkeit gegenüber Asylsuchenden impliziert, ist das auch so gemeint, da sollte man Politiker beim Wort nehmen. Der Begriff setzt sich aber vor allem deshalb durch, weil er mit dem „Tourismus“ ein Konzept aufgreift, zu dem Menschen viel Alltagswissen abgespeichert haben – also konkrete Bilder, Gefühle, auch Geräusche oder Gerüche. Ein politisches Thema mit so einem greifbaren Alltagsbegriff zu verbinden, nennt sich metaphorisches Framing. In dem Fall spiegelt es aber die Realität nicht unbedingt wider – denn „Tourismus“, „in den Urlaub fahren“, erinnert nicht nur an Sommer, Sonne, Strand, sondern impliziert auch, dass es ein Zuhause gibt, in das man später zurückkehrt.

Sie sprechen von „Framing“ – in der Diskussion um politische Sprache taucht der Begriff derzeit häufig auf. Können Sie das Konzept kurz erklären?

In unserem Kopf ist unser gesamtes Wissen über die Welt abgespeichert. Wenn ich zum Beispiel sage „Hammer“, wird nicht nur das Bild eines Hammers aufgerufen, sondern das Gehirn simuliert auch die zugehörige Armbewegung. Immer, wenn mein Denkapparat ein Wort verarbeiten muss, ruft er diese Muster auf, sonst kann er Wörtern keine Bedeutung zuschreiben. In der Politik ist zum Beispiel oft die Rede von einer „Flüchtlingswelle“. Dann ruft das Gehirn das Konzept von „Flüchtling“ und „Welle“ auf. Eine Welle ist groß und bedrohlich. Jeder von uns ist wohl schon einmal von einer Welle umgehauen worden. Die Menschen, die zu uns kommen, werden so automatisch als eine Bedrohung gedacht, die eine Abschottung nahelegt.

Dagegen kann man sich nicht wehren?

Nein, außer man hält sich die Ohren zu. Und es ist auch egal, ob jemand sagt „Wir müssen die Flüchtlingswelle solidarisch über Europa verteilen“ oder „Wir müssen die Flüchtlingswelle stoppen“. Hört man das Wort, wird automatisch dieses Denkmuster aktiviert. Framing ist das Setzen von Deutungsrahmen über Sprache – und das funktioniert sehr oft metaphorisch, indem wir uns auf Alltagskonzepte beziehen und diese einer politischen Sache als kognitive Schablone andienen.

Wo kann man das in der aktuellen Debatte noch beobachten?

Überall. Framing bezeichnet nicht einfach Substantive, politische Buzzwords. Es geht hinein in die Adjektive und Verben. Auch Präfixe und Suffixe aktivieren Frames im Gehirn. Nehmen wir das Verb „zurückweisen“ im Hinblick auf Flüchtlinge. „Zurück“ impliziert, dass es einen Ort gibt, an den jemand zurückgeht, es lenkt das Augenmerk auf den Herkunftsort. Betrachtet man ihr politisches Selbstverständnis, sollten SPD, Linke und Grüne dieses Wort vielleicht nicht andauernd verwenden.

Was könnte man stattdessen sagen?

Man könnte stattdessen von „abweisen“ sprechen. Das legt die Betonung auf den Ort, wo die Person eigentlich hinwollte – aber nicht hingelassen wird.

Wirkt so ein Framing bei jedem gleich stark?

Es kommt oft darauf an, wo man selbst politisch steht. Wir wissen etwa aus der Forschung, dass Reinheit als moralisches und physisches Konzept besonders Konservative stark anspricht. Das konservative Gehirn ekelt sich stärker als das progressive. Wir haben beispielsweise bei uns in Berkeley ein Experiment gemacht, da haben wir konservative und progressive Studenten in einen Gehirnscanner gelegt. Wir wussten: Wenn das Gehirn Worte wie „ekelhaft“ oder „abstoßend“ hört, simuliert es tatsächlich Ekel. Es werden die gleichen Gehirnregionen aktiviert, wie wenn jemand Bilder von eiternden Wunden sieht. Bei dem Satz „Steuererleichterungen sind eine abstoßende Idee“ hat dann das Gehirn bei den konservativen Probanden mehr Ekel simuliert als bei den progressiven.

Elisabeth Wehling lehrt und forscht an der University of California in Berkeley.
Elisabeth Wehling lehrt und forscht an der University of California in Berkeley.

© promo

Und solche Effekte kann sich die Politik zunutze machen?

Ja, man hat das bei Donald Trump im Wahlkampf gesehen. Er hat zum Beispiel gesagt, er selbst sei ein totaler Hygienefanatiker, gebe noch nicht mal gern die Hand. Hillary Clinton dagegen sei auf Toilettenpause gegangen – wie ekelig – und Marco Rubio, sein Konkurrent bei den Präsidentschafts-Vorwahlen, schwitze ja immer so viel. Trump hat nach und nach seine politischen Gegner mit dem Konzept der Unreinheit und des Schmutzes belegt.

In Deutschland nutzt beispielsweise der AfD-Chef Jörg Meuthen das Adjektiv „linksgrünversifft“.

Ja, das ist eins zu eins dasselbe - und nicht das erste Sprachbild, bei dem sich die AfD an der Trump-Kampagne orientiert.

Sind sich deutsche Politiker der Bedeutung ihrer Sprache ausreichend bewusst?

Ich glaube nicht. Ich höre oft das Argument: Sprache kann doch nicht so wichtig sein, es kommt auf die Programmatik an. Viele kalkulieren völlig fehl, was es bedeutet, die Kontrolle über die eigene Sprache zu haben. Wie kann denn beispielsweise ein Grünen-Politiker für mehr Steuern sein, also Steuern als positiv befinden, aber den sehr negativen Begriff „Steuerlast“ verwenden? Da kommen Mitbürger nicht mehr mit. Ich selbst sehe Steuern positiv, spreche im Alltag von „Steuerverantwortung“. Wir sollten alle möglichst so sprechen, wie wir die Welt meinen.

Politiker müssten ihre Sprache also mehr ihren politischen Zielen anpassen.

Zumindest ein Teil von ihnen. Wir leben ja glücklicherweise in einem Land, in dem wir moralisch-ideologische Konflikte nicht über Gewalt, sondern ausschließlich über die Sprache austragen. Sprache wirkt sich aus auf die Köpfe, Köpfe treffen die Wahlentscheidungen – und wer gewählt ist, kann Dinge im Land verändern. Sprache ist Macht.

Kann man als Wähler verhindern, sich von Framings manipulieren zu lassen?

Frames sind nicht per se manipulativ, sondern ein naturgegebener Teil aller Sprache. Und nein, man kann Frames neuronal nicht widerstehen, sie werden immer aktiviert, wenn wir ein Wort hören oder lesen. Es ist auch nicht immer leicht zu erkennen, welches Wort was auslöst. Aber wenn man die Naivität gegenüber der Bedeutung der Sprache überwunden hat, ist schon viel gewonnen. Dann kann man auch beginnen, selbst mehr auf seine eigene Sprache zu achten.

Elisabeth Wehling (37) ist Sprach- und Kognitionsforscherin. Sie lehrt und forscht an der Universität Berkeley in Kalifornien. 2016 veröffentlichte sie ein Buch zu politischem Framing.

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