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Olaf Scholz und Recep Tayyip Erdogan.

© AFP/Turkish Presidential Press Service/Murat Kula

Scholz in der Türkei: Plötzlich wird Erdogan zum gefragten Partner

Das Vorgehen gegen die Kurden, die Menschenrechtsfragen – angesichts des Ukraine-Krieges spielt das bei Olaf Scholz’ Besuch in der Türkei kaum eine Rolle.

Olaf Scholz ist erstaunlich entspannt, als er im Regierungsairbus nach Ankara sitzt, es sind die wenigen Momente des Zurücklehnens. Der Kanzler ist an diesem Morgen 96 Tage im Amt, einen solchen Krieg, der alle Gewissheiten infrage stellt, hatte auch er nicht auf der Rechnung.

Das Wochenende war mal wieder ungewöhnlich. In einem Kraftakt ist der Bundeshaushalt auf den Weg gebracht worden, knapp 100 Milliarden Euro neue Schulden, 100 Milliarden Sondervermögen Bundeswehr, dazu soll noch ein Ergänzungshaushalt „Ukraine“ kommen, auch um die Bürger bei Sprit- und Heizkosten zu entlasten.

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Und dann war da noch das Telefonat mit Emmanuel Macron und Wladimir Putin. 75 Minuten lang. Die Hoffnung auf einen baldigen Waffenstillstand hat dieses Telefonat aber eher getrübt.

In dem Telefonat sprach Putin Russisch, Scholz und Macron sprachen Englisch. Der russische Präsident bewegte sich in einer eigenen Welt, sprach von Hinrichtungen durch die Ukrainer. Scholz hatte für das Russische einen Dolmetscher dabei, der zum Stillschweigen verpflichtet wird. Diese Telefonate dürften ein Fall für Historiker werden.

Als der Kanzler nach drei Stunden in Anatolien landet, wo die Berge noch schneebedeckt sind, stellt er schnell fest: So einen Empfang hat er noch nicht bekommen. Dutzende Reiter mit deutschen und türkischen Fahnen geleiten seine Limousine zum Eingang des im Auftrag des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gebauten Bestepe-Palastes, der noch größer als der Kreml ist.

Der Hausherr wartet schon auf den Nachfolger von Angela Merkel. Die deutsche Nationalhymne erklingt, dann die türkische. 21 Salutschüsse sind zu hören, das erzeugt in diesen Tagen seltsame Gedanken. Scholz bringt seine Aufgabe, zu den türkischen Soldaten in ihren türkisfarbenen Uniformen „Merhaba Asker“ – Guten Tag, Soldaten – zu sagen, unfallfrei hinter sich.

Die Konflikte mit Armenien, das Vorgehen gegen die Kurden, die Menschenrechtsfragen, plötzlich spielt das bei einem Besuch in der Türkei eher eine untergeordnete Rolle. Scholz mahnt hinterher nur, dass die Deutsche Welle weiterhin frei und unabhängig in der Türkei berichten müsse. Und wird fast wütend, als ein Journalist Merkel unterstellt, sie habe das Menschenrechtsthema hier immer unter den Teppich gekehrt. „Das ist nicht wahr. Sie tun meiner Vorgängerin Unrecht, da muss ich klar widersprechen“, sagt er.

Fast drei Stunden haben sie gesprochen, die Stimmung ist herzlich. Erdogan betont mehrfach, dass man ein neues Kapitel aufschlagen wolle. Scholz nennt er einen „Freund und Verbündeten der Türkei“. Der Gastgeber genießt, wie der Westen ihn wieder umgarnt, das Nato-Land ist zu einem Schlüsselland geworden in der Frage, ob Putins Krieg irgendwie beendet werden kann.

Der Kanzler erfährt dieser Tage die Hindernisse internationaler Politik. Der Westen muss jetzt auch wieder schwierige Staatschefs umwerben. So werden auch der Iran und das von dem Sozialisten Nicolás Maduro regierte Venezuela wieder interessant, da sie russische Gas- und Öllieferungen ersetzen könnten.

Das große Problem im Umgang mit Putins Krieg: Es gibt bisher keinen Vermittler(staat), nur Vermittlungsversuche. Scholz schweigt sich seit Tagen aus zu der seltsamen Mission seines SPD-Vorgängers und Gaslobbyisten Gerhard Schröder. Dieser hat mehrere Stunden mit Putin gesprochen, war dann mit seiner Frau über Istanbul zurück nach Deutschland geflogen. Der Kanzler hält sich da lieber an die Kanäle und Partner, die er als offiziell dazu befugt sieht.

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Auch deshalb ist er bei Erdogan, der Nato-Staat Türkei hat gute Verbindungen zu Russland wie zur Ukraine sowie auch Israel. Die Türkei hat sich den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen, aber die Erklärung, dass man zur territorialen Integrität der Ukraine steht, dazu Drohnenlieferungen im Rahmen eines türkisch-ukrainischen Joint Ventures sind ebenfalls klare Signale. Und die Türkei wird für den Westen immer wichtiger in Sachen Rohstofflieferungen, vor allem Erdgas.

„Mit Herrn Selenskyj , aber auch mit Herrn Putin werden wir unsere Freundschaft bewahren“, sagt Erdogan. Scholz kommt diese weitgehend neutrale Rolle zwar zupass, aber er versucht im Anschluss quasi die türkische Rolle auch als Nato-Partner zu präzisieren.

„Die Türkei hat sich klar gegen den Krieg ausgesprochen“, sagt Olaf Scholz. Recep Tayyip Erdogan schaut zu ihm – und widerspricht ihm zumindest nicht. Gemeinsam wollen Scholz und Erdogan weiter an einem baldigen Waffenstillstand in der Ukraine arbeiten.

Am Donnerstag hatten sich die Außenminister der Ukraine und Russlands im türkischen Antalya zu einem ersten hochrangigen Gespräch der beiden Kriegsparteien getroffen, auch ein Schröder-Treffen mit ukrainischen Unterhändlern wurde mit türkischer Hilfe organisiert.

Gibt es tatsächlich Fortschritte?

Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) rät den Deutschen dringend, die Bedeutung der Türkei als strategischer Partner zu erkennen. So ließ der türkische Präsident auch den Bosporus für Kriegsschiffe sperren, damit sie nicht über das Schwarze Meer vor der Küste der Ukraine auffahren können. Allerdings reichlich spät, als schon mehrere russische Schiffe die Meerenge passiert haben sollen. „Mehr Türkei wagen: der Blick auf die Landkarte zeigt, wie wichtig die Türkei für unsere Sicherheit ist“, sagt Gabriel.

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Als Scholz eine gute Woche vor Kriegsbeginn im Kreml war, hatte er Putin gefragt, ob er in die Ukraine einmarschieren werde, Putin wand sich, sagte aber nie Nein, auch nicht bei der anschließenden Pressekonferenz. Und so ist das Dilemma der Staats- und Regierungschefs folgendes: Gibt es tatsächlich Fortschritte, wie Moskau und Kiew es darlegen, rückt Moskau von den Maximalforderungen (Neutralisierung der Ukraine, Einsetzung einer moskautreuen Regierung) tatsächlich ab und könnte sich Moskau etwa mit der Anerkennung der Krim und Abtretung der Donbass-Gebiete zufrieden geben?

Die oberste Maxime der westlichen Partner lautet: Es sind die Ukrainer, die sagen, was sie bereit sind zu machen für ein Ende des Krieges, es wird nichts über den Kopf von Präsident Wolodymyr Selenskyj hinweg entschieden.

Die andere Variante: Die Russen belügen alle erneut und die diplomatische Kulisse ist nur ein potemkinsches Dorf, um in der Ukraine weitere Fakten auf dem Boden zu schaffen. Scholz richtet im Beisein seines Verbündeten Erdogan am Ende noch eine klare Mahnung an Putin: „Mit jedem Tag, mit jeder Bombe entfernt sich Russland mehr aus dem Kreis der Weltgemeinschaft.“

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