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Die ursprünglichen Pflichtverteidiger Zschäpes, Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm (von rechts nach links).

© Matthias Schrader/dpa

Plädoyer im NSU-Prozess: Der Kraftakt von Zschäpes Alt-Verteidigern

Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess lehnt sie ab. Doch Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm demonstrieren eindrucksvoll, wie tief sie im Stoff stehen.

Von Frank Jansen

Wolfgang Heer argumentiert mit einer Akribie wie kaum ein anderer Verteidiger im NSU-Prozess. Unermüdlich zitiert der Anwalt der Hauptangeklagten Beate Zschäpe am Mittwoch im Oberlandesgericht München aus den Aussagen von Zeugen und Sachverständigen, um in seinem Plädoyer einen gravierenden Vorwurf der Bundesanwaltschaft zu widerlegen.

Die Ankläger werfen Zschäpe vor, am letzten Tag der Terrorzelle NSU, dem 4. November 2011, die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße in Brand gesetzt und den Tod von drei Menschen in Kauf genommen zu haben. Bei dem Feuer und der Verpuffung des Brandbeschleunigers Benzin wurde das Haus teilweise zerstört. Zschäpe habe als „eiskalt kalkulierender Mensch“ ein „höllisches Finale“ inszeniert, hatte Bundesanwalt Herbert Diemer im September 2017 in seinem Plädoyer gesagt.

Heer kontert nun, die Bundesanwaltschaft habe „die gebotene Auseinandersetzung“ mit den in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen „weitgehend unterlassen“. Dass die Ankläger von besonders schwerer Brandstiftung, dem vorsätzlichen Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und versuchtem dreifachem Mord sprechen, hält Heer schlicht für „verfehlt“.

Mit dem Auftritt demonstriert der Kölner Anwalt auch am zweiten Tag seines Plädoyers, das er mit den Co-Verteidigern Wolfgang Stahl und Anja Sturm erarbeitet hat, den ungebrochenen Willen zu Professionalität und Selbstbehauptung. Obwohl Zschäpe im Sommer 2015 die drei Anwälte verstoßen hat, bekommt sie vorgeführt, dass die Alt-Verteidiger den Prozessstoff umfassend durchdringen. Und präziser als die Münchner Anwälte Hermann Borchert und Mathias Grasel, mit denen Zschäpe sich zusammengetan hatte und deren Plädoyer im April anzumerken war, dass sie die erste Hälfte des Mammutprozesses nicht erlebt haben. 

Bald nach Prozessbeginn war in der Beweisaufnahme der Brand in der Zwickauer Wohnung ein Thema, und das lange. Zeugen und Sachverständige äußerten sich zu der Verpuffung und dem Feuer in der Frühlingsstraße 26. Und zu Zschäpes Verhalten. Nachbarinnen berichteten, Zschäpe sei mit ihren zwei Katzen im Körbchen vom brennenden, halb zerstörten Haus gekommen und habe erschrocken „ach du Scheiße“ gesagt. Die Szene ist für Heer ein Beleg, dass der Vorwurf der Bundesanwaltschaft, Zschäpe habe vorsätzlich eine Explosion herbeigeführt und eine besonders schwere Brandstiftung begangen, überzogen ist. Zschäpe habe keine Explosion gewollt, sagt der Verteidiger. Sie habe „unüberlegt und hektisch“ agiert.

Zschäpe hatte, das gab sie später im Prozess auch zu, am frühen Nachmittag des 4. November 2011 zehn Liter Benzin in der Wohnung verschüttet und angezündet. Die Frau hatte ihren Kumpanen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos versprochen, im Falle von deren Tod die gemeinsam bewohnten Räume in Brand zu setzen, um Spuren zu vernichten. Vor der Brandstiftung hatte Zschäpe erfahren, dass Böhnhardt und Mundlos sich am Mittag in einem Wohnmobil in Eisenach umgebracht hatten, als die Polizei die Neonazis nach einem Banküberfall aufspürte.

Heer widmet sich am Mittwoch intensiv der Zwickauer Geschichte, weil sie aus seiner Sicht eine Tat ist, die Zschäpe von der Bundesanwaltschaft „im Wege der unmittelbaren Täterschaft“ vorgeworfen werde. Wo also Zschäpe erkennbar selbst aktiv war. Weitere Tatvorwürfe - die zehn Morde des NSU, die zwei Sprengstoffanschläge und die 15 Raubüberfälle - hält Heer für konstruiert, da Zschäpe keinerlei Tatbeitrag nachzuweisen sei. Deshalb verlangte er am Dienstag, bei sämtlichen „Staatsschutzdelikten“ die Angeklagte freizusprechen.

Verteidiger sieht nur "einfache Brandstiftung"

Für Heer ist das Feuer in Zwickau trotz der schweren Beschädigung des Gebäudes nur eine „einfache Brandstiftung“. Den Vorwurf des dreifachen Mordverwurfs weist er zurück, ihm fehlt der Vorsatz für ein Tötungsdelikt. Der Verteidiger schildert detailliert, Zschäpe habe davon ausgehen  können, die beiden im Dachgeschoss tätigen Handwerker hätten das Haus verlassen. Und sie habe vor der Brandstiftung bei der gebrechlichen Nachbarin Charlotte E. geklingelt.

Auszuschließen ist das nicht, aber die Rentnerin öffnete nicht. Zschäpe, so die Version des Verteidigers, war sich dann beim Anzünden des Benzins sicher, keine Menschen zu gefährden. Zschäpe habe auch nicht „intendiert“, dass zehn Liter Ottokraftstoff eine starke Explosion verursachen würden.

Die Bundesanwaltschaft sieht das ganz anders. Sie verlangt eine lebenslange Freiheitsstrafe für besonders schwere Brandstiftung mit Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und dreifachem Mordversuch. Zschäpe drohen demnach, selbst wenn die Richter ihr keine Beteiligung an den Verbrechen von Böhnhardt und Mundlos nachweisen können, mindestens 15 Jahre Haft.  

Mittags wirkt Zschäpe müde

Die Angeklagte bleibt auch am Mittwoch meist reglos. Ab und zu beobachtet sie Heer, ihre Miene vermittelt aber nur mäßiges Interesse. Nach der Mittagspause wirkt Zschäpe müde, die Augen fallen ihr zu.

Aber auch Heer ist die Strapaze des voluminösen Plädoyers anzumerken. Am frühen Nachmittag bittet er den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl, die Verhandlung für heute zu unterbrechen. Götzl möchte erst nur eine halbe Stunde Pause gewähren, gibt dann aber nach. Zumal Heer ankündigt, er werde auch den morgigen Tag komplett benötigen.

Das Plädoyer der drei Alt-Verteidiger wird dann vermutlich erst kommende Woche enden. Heer, Stahl und Sturm zeigen einen Kraftakt, als hätte sich Zschäpe nie von ihnen entfernt. Sie tun es wohl nicht nur für die abspenstige Mandantin, sondern auch für sich selbst. Obwohl sie mehrmals im Prozess frustriert, genervt und enttäuscht ihre Entpflichtung beantragt haben - die Götzl nie gewährte. Dass die drei Verteidiger dennoch auf eine Trotzreaktion verzichten und ein aufwändiges Plädoyer präsentieren, ist einer der herausragenden Momente im NSU-Prozess. 

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