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Israel Außenminister Lapid (l.) wird jetzt übergangsweise Ministerpräsident, Premier Bennett verabschiedet sich aus der Politik.

© Menahem Kahana/AFP

Parlament löst sich selbst auf: Israel wählt schon wieder

Die Acht-Parteien-Koalition ist gescheitert, das Land muss über ein neues Parlament abstimmen - und Netanjahu will zurück an die Macht.

Nun ist es offiziell. Israel geht wählen – zum fünften Mal in dreieinhalb Jahren. Mit 92 zu null Stimmen stimmte die Knesset, Israels Parlament, am Donnerstag für die eigene Auflösung und Wahlen am 1. November.

Die Acht-Parteien-Koalition aus linken, rechten und arabischen Kräften – „das Experiment“, wie israelische Analysten sie gern bezeichnen – steht damit endgültig vor dem Aus. Ein Jahr hat sie durchgehalten, und auch das nur unter Schmerzen. Seit dem Abgang einer rebellischen Abgeordneten im April musste sie ohne parlamentarische Mehrheit regieren. Ob ihre Bilanz eine des Scheiterns ist oder als Achtungserfolg durchgeht, liegt im Auge des Betrachters.

Für ihre Gegner stand das Urteil fest, bevor das unwahrscheinliche Regierungsbündnis unter dem rechten Ministerpräsident Naftali Bennett seine Arbeit überhaupt aufnahm. Schon damals wütete dessen Vorgänger Benjamin Netanjahu gegen die „böse und linke Regierung“, für deren Zusammenbruch er „täglich“ kämpfen werde. „Das Experiment ist gescheitert“, triumphierte Netanjahu nach der Abstimmung am Donnerstag prompt auf Twitter.

Zum Abschied lobt sich Bennett selbst

Bennett hingegen gönnte sich und seinen Partnern zum Abschied etwas Eigenlob. „In einem kurzen Jahr haben wir mehr bewegen können als andere Regierungen in längeren Amtszeiten“, sagte er im Parlament. „Wir haben gezeigt, dass Menschen zusammenarbeiten können, selbst wenn sie ideologisch nicht einer Meinung sind.“

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Tatsächlich hatte seine Koalition zu Anfang vergleichsweise effektiv und frei von öffentlich ausgetragenen Konflikten agiert. Damit stand sie nicht nur im vorteilhaften Kontrast zu früheren Regierungen unter Netanjahus Führung, deren Intrigen ständig Stoff für die einheimische Presse lieferten. Sondern sie überraschten selbst Beobachter, die an der Handlungsfähigkeit dieses ideologisch so widersprüchlichen Bündnisses gezweifelt hatten.

Lapid wird für kurze Zeit Regierungschef

So beschloss die Regierung zum Beispiel einen lange überfälligen Staatshaushalt, verabschiedete großteils umsichtige Wirtschaftsreformen, investierte stärker in den vernachlässigten arabischen Sektor und stieß Initiativen in Sachen Verkehr und Klimaschutz an.

Israels früherer Dauer-Premier will wieder Regierungschef werden.
Israels früherer Dauer-Premier will wieder Regierungschef werden.

© Gil Cohen-Magen/AFP

Am Ende jedoch scheiterte die Allianz an ihren Fliehkräften. Zwei rechte Abgeordnete desertierten, mehrere arabische Politiker votierten bei einer kritischen Abstimmung gegen die Linie der Koalition. Vor anderthalb Wochen verkündeten Bennett und Lapid schließlich das Offensichtliche: Es geht nicht mehr.

Ab diesem Freitag übernimmt nun Lapid das Amt des Ministerpräsidenten, so ist es im Koalitionsvertrag geregelt. Der 58-jährige, ein früherer Journalist, Schauspieler und Autor, dürfte die Monate bis zur Wahl nutzen, sich als fähiger, charismatischer Regierungschef in Szene zu setzen. Bennett wiederum hat am Mittwochabend seinen Abgang aus der Politik verkündet. Gründe nannte er nicht.

Analysten spekulieren, dass es sich lediglich um einen taktischen Rückzug handele. Nach einer Auszeit könnte Bennett gestärkt in die politische Arena zurückkehren, getragen von seinem neuen Image als pragmatischer Vermittler, der die tiefen Gräben in Israels Parteienlandschaft zumindest zeitweise überbrücken konnte.

Darin liegt eine gewisse Ironie. In früheren Jahren hatte Naftali Bennett sich als knallharter Nationalist profiliert, der rechts von Netanjahu stehe. Indem er sich auf die Koalition mit linken und arabischen Kräften einließ, schockierte er viele Anhänger und Weggefährten.

Ein Vorteil für Netanjahu?

Aus seiner Yemina-Partei sind seit der jüngsten Wahl drei von sieben Abgeordneten desertiert. Seine Parteifreundin Ayelet Shaked, die Yemina nun führen wird, dürfte Schwierigkeiten haben, die Partei neu aufzustellen.

Für Netanjahu wiederum könnte sich Bennetts Abgang als Vorteil erweisen. Shaked gilt als ideologische Rechte, die Bennett nur zähneknirschend in die Koalition folgte und sich noch immer im Likud zu Hause fühlt, der Partei Netanjahus, in der sie ihre Politkarriere begann.

Sofern Yemina im Herbst der Sprung über die 3,25-Prozent-Hürde gelingt, könnte Shaked die Partei in eine Koalition unter Netanjahu führen – und diesem dadurch die nötigen Mandate zur Mehrheit verschaffen. Umfragen sehen ihn und sein rechts-religiöses Lager gegenüber der vorherigen Wahl im Aufwind. Dabei steht Netanjahu, den alle in Israel „Bibi“ nennen, unter Korruptionsverdacht und muss sich deshalb vor Gericht verantworten.

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