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Der emeritierte Papst Benedikt XVI.

© dpa/Andrew Medichini

Entschuldigungserklärung zu Missbrauchsvorwürfen: Papst Benedikt XVI. erklärt sich „tief getroffen“ vom Vorwurf der Lüge

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. äußert sich über die Vorwürfe gegen ihn – und bittet Gläubige, für ihn zu beten. Konkrete Anschuldigungen weist er zurück.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche um Entschuldigung gebeten. In einer am Dienstag vom Vatikan veröffentlichten Stellungnahme bekundete er: „Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind“.

Er wolle seine „tiefe Scham“, seinen „großen Schmerz“ und seine „aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs zum Ausdruck bringen“, heißt es in dem Schreiben weiter.

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Gleichzeitig wies der frühere Erzbischof von München und Freising aber konkrete Vorwürfe aus dem jüngst veröffentlichten Münchner Missbrauchsgutachten zurück.

Benedikt XVI. bei einem Interview im Vatikan 2018.

© dpa/Daniel Karmann

Benedikt, der frühere Kardinal Joseph Ratzinger, steht seit Wochen heftig in der Kritik, weil ihm ein Gutachten zu Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising Fehlverhalten in vier Fällen vorwirft. Die Gutachter der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) gehen davon aus, dass Ratzinger in seiner Zeit als Münchner Erzbischof Priester, die Kinder missbraucht hatten, wieder in der Seelsorge einsetzte.

Diese Vorwürfe werden in einem ebenfalls am Dienstag veröffentlichten „Faktencheck“ von Ratzingers Anwälten und Beratern kategorisch abgestritten. „Das Gutachten enthält keinen Beweis für einen Vorwurf des Fehlverhaltens oder der Mithilfe bei einer Vertuschung“, heißt es darin. „Als Erzbischof war Kardinal Ratzinger nicht an einer Vertuschung von Missbrauchstaten beteiligt.“

Falsche Angabe habe an „Riesenarbeit“ gelegen

Benedikt äußerte sich auch selbst zu Vorwürfen. Er habe über seine Teilnahme an einer Sitzung gelogen, in der es um die Versetzung eines Priesters von Nordrhein-Westfalen nach Bayern ging. Dieser Priester soll später in zwei oberbayerischen Gemeinden wieder mehrere Kinder missbraucht haben.

Die falsche Angabe, er sei bei der fraglichen Sitzung nicht dabei gewesen, beruhe, wie er bereits zuvor erklärt hatte, auf einem Missverständnis. Das habe sich beim Verfassen der Stellungnahme zu dem Gutachten ergeben, bei dem „eine kleine Gruppe von Freunden“ ihm geholfen habe. Kritik hatte es indes auch an der Formulierung gegeben, der Täter sei „als Exhibitionist aufgefallen, aber nicht als Missbrauchstäter im eigentlichen Sinn“.

„Bei der Riesenarbeit jener Tage – der Erarbeitung der Stellungnahme – ist ein Versehen erfolgt, was die Frage meiner Teilnahme an der Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 betrifft“. Der Fehler sei „nicht beabsichtigt“ gewesen – und „so hoffe ich, auch entschuldbar“, schreibt Benedikt. „Dass das Versehen ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen, hat mich tief getroffen.“

Benedikt mit dem ebenfalls mit Vertuschungsvorwürfen konfrontierten Kardinal Friedrich Wetter.

© dpa/Matthias Schrader

Die Teilnahme an der Sitzung belege nicht, dass er von früheren Missbrauchstaten des Priesters aus Essen gewusst habe, betonen Ratzingers Anwälte. Die Akten zeigten, „dass in der fraglichen Sitzung nicht thematisiert wurde, dass der Priester sexuellen Missbrauch begangen hat“, schreiben sie.

Laut dem am 20. Januar vorgestellten Gutachten wurden mindestens 497 Kinder und Jugendliche zwischen 1945 und 2019 in dem katholischen Bistum von Priestern, Diakonen oder anderen Mitarbeitern der Kirche sexuell missbraucht. Mindestens 235 mutmaßliche Täter gab es demnach – darunter 173 Priester und 9 Diakone. Allerdings sei dies nur das „Hellfeld“. Man müsse von einer viel größeren Dunkelziffer auszugehen.

Benedikt vergleicht sich mit Christus auf dem Ölberg

In seinem Brief bittet Ratzinger die Gläubigen, für ihn zu beten: „Immer mehr verstehe ich die Abscheu und die Angst, die Christus auf dem Ölberg überfielen, als er all das Schreckliche sah, das er nun von innen her überwinden sollte“, schreibt er. „Dass gleichzeitig die Jünger schlafen konnten, ist leider die Situation, die auch heute wieder von neuem besteht und in der auch ich mich angesprochen fühle.“

Er sei, schreibt Benedikt zum Abschluss, „doch frohen Mutes, weil ich fest darauf vertraue, daß der Herr nicht nur der gerechte Richter ist, sondern zugleich der Freund und Bruder, der mein Ungenügen schon selbst durchlitten hat und so als Richter zugleich auch mein Anwalt (Paraklet) ist.“

Präventionsexperte: Betroffene sind für Benedikt nachrangig

Präventionsexperte Pater Hans Zollner sieht im Brief Benedikts ein Spiegelbild für dessen Umgang mit dem Thema Missbrauch. „Ich stelle fest, dass er sich zunächst bei seinen Freunden bedankt und dann erst die Betroffenen kommen“, sagte Zollner der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag in Rom. Der Jesuit betonte gleichzeitig, er sei nicht der Richter über das, was der 94-Jährige in seinem am Dienstag veröffentlichten Brief sage.

Benedikt spanne in seiner Erklärung zum Münchener Missbrauchsgutachten einen großen theologischen Rahmen, ohne auf Einzelheiten einzugehen, sagte Zollner. Er erkenne in dem Text den Ausdrucksstil des Emeritus wieder. „Das ist jetzt er“, erklärte der Theologe und Psychologe. Zollner sitzt als externer Berater in der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen.

Kirchenrechtler: Benedikts Schreiben retraumatisiert die Opfer

Auch der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller hat die Erklärung als unzureichend kritisiert. „Er entschuldigt sich, spricht seine Scham aus – das ist gut und wichtig“, sagte Schüller am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. „Was fehlt aber? Dass er sagt: ‚Ich entschuldige mich und ich übernehme Verantwortung für die schlimmen Fehler, die in Sachen Umgang mit sexuellem Missbrauch in meiner Zeit als Erzbischof von München-Freising gemacht wurden.‘“

Benedikt spreche zwar von Fehlern und Vergehen, aber er rechne sie sich nicht selbst an. „So als hätten anonym bleibende Mächte und Gewalten im Erzbistum München-Freising diese Fehler gemacht, nicht aber er“, kritisierte Schüller, der an der Universität Münster das Institut für Kanonisches Recht leitet.

„So übernimmt er erneut nicht persönliche Verantwortung und vor allem er zieht keine persönlichen Konsequenzen, außer sich der barmherzigen Liebe Gottes anzuempfehlen. Das wird die Überlebenden sexualisierter Gewalt erneut traumatisieren, denn ihnen widerfährt keine Gerechtigkeit.“ Außerdem bagatellisiere Benedikt seine Falschaussage: „Es war und bleibt eine Unwahrheit, die er mit seiner Unterschrift zu verantworten hat“. (dpa/KNA)

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