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Brennende Barrikaden in Jerusalem.

© imago images/Xinhua

Palästinenser rebellieren: Jerusalem erlebt die gewaltsamsten Ausschreitungen seit Jahren

Die Proteste von Palästinensern gegen eine Zwangsräumung im arabischen Stadtteil eskalieren. Hinzu kommt ein weiteres Konfliktfeld.

Die heilige Stadt kommt nicht zur Ruhe. Erneut lieferten sich Palästinenser und israelische Sicherheitskräfte in Jerusalem am Wochenende heftige Straßenschlachten. Mindestens 300 Palästinenser wurden dabei nach Angaben der Hilfsorganisation Roter Halbmond verletzt. Die israelische Polizei wiederum zählte 18 verletzte Beamte in ihren Reihen. Beobachter sprechen von den gewaltsamsten Ausschreitungen seit Jahren.

Die Krawalle haben mehrere Brandherde. Zu Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan hatte die israelische Polizei Absperrungen am Damaskustor aufgestellt, das ins muslimische Viertel der Altstadt führt. Traditionell versammeln sich dort Palästinenser abends während des Ramadan. Die Absperrungen empfanden viele als Provokation. Über Wochen hinweg kam es zu Protesten, bis die Polizei jüngst die Absperrungen entfernte. Doch da war die Lage schon zu aufgeheizt.

Hinzu kommt ein weiteres Konfliktfeld: das Viertel Sheich Jarrah im Nordosten der Stadt. Dort spielt sich seit Jahren ein Rechtsstreit ab zwischen palästinensischen Familien und einer Firma namens Nachalat Shimon. Sie hat in den vergangenen Jahren Immobilien im arabisch geprägten Ostjerusalem gekauft, mit dem Ziel, dort jüdische Familien anzusiedeln – obwohl die Palästinenser und der Großteil der internationalen Gemeinschaft Ostjerusalem als Hauptstadt eines zukünftigen Palästinenserstaates betrachten.

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Die betreffenden Grundstücke in Sheich Jarrah gehörten einst Juden, die im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 aus ihren Häusern flohen. Jordanien, das von 1948 bis 1967 Ostjerusalem kontrollierte, siedelte dort anschließend Palästinenser an. Nach israelischem Gesetz können jüdische Israelis Grundeigentum, von dem sie oder ihre Vorfahren einst fliehen mussten, für sich reklamieren. Für palästinensische Flüchtlinge gibt es kein vergleichbares Recht. Auf dieser juristischen Grundlage verlangt Nachalat Shimon die Evakuierung mehrerer Häuser in Sheich Jarrah. Die Bewohner klagen dagegen.

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Seit Jahren protestieren palästinensische und israelische Aktivisten gegen die Räumung. Doch im Zuge der jüngsten Spannungen hat der Konflikt Symbolwirkung entwickelt. In arabischen Städten innerhalb Israels ebenso wie in Gaza demonstrierten in den vergangenen Tagen etliche Menschen gegen die drohenden Räumungen. Samstagnacht feuerten militante Palästinenser in Gaza eine Rakete gen Israel, woraufhin die israelische Armee eine Basis der Terrororganisation Hamas bombardierte.

Rund 200 Familien von möglichen Zwangsräumungen betroffen

Rund 200 Familien in Sheich Jarrah sind von möglichen Räumungen betroffen, in einigen Fällen steht die Entscheidung kurz bevor. Das Büro der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte rief Israel am Freitag dazu auf, „umgehend sämtliche Zwangsräumungen zu stoppen“.

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Mehrere arabische Staaten rügten das israelische Vorgehen in Sheich Jarrah ebenfalls. Ungewohnt scharfe Kritik kam aus den USA. „Die Zwangsräumungen langjähriger palästinensischer Bewohner in Sheich Jarrah sind abscheulich und inakzeptabel“, schrieb die demokratische Senatorin Elizabeth Warren auf Twitter. Ihr Parteikollege, Senator Bernie Sanders, rief seine Regierung auf, sich „stark gegen die Gewalt mit der Regierung verbündeter israelischer Extremisten“ auszusprechen.

In Reaktion auf die Kritik erklärte Israels Außenministerium: „Bedauerlicherweise stellen die Palästinensische Autonomiebehörde und palästinensische Terrorgruppen einen Immobilienstreit zwischen privaten Parteien als nationalistische Angelegenheit dar, um zu Gewalt in Jerusalem anzustiften.“

Um eine weitere Zuspitzung der Lage zu vermeiden, sagte Israels Oberster Gerichtshof gestern eine Anhörung zu dem Konflikt um Sheich Jarrah ab, die für den heutigen Montag geplant worden war. Damit ist die befürchtete Eskalation jedoch lediglich vertagt.  

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