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Österreichs Kanzler Kurz (ÖVP, links) und sein Vize-Kanzler Strache (FPÖ) treten beim Bundespräsidenten zu ihrer Angelobung an.

© Vladimir Simicek/AFP

Neue Regierung vereidigt: Österreich macht dicht

Die neue österreichische Rechtsregierung geht scharf gegen Migranten vor – und gegen den öffentlichen Rundfunk. Österreichs Präsident mahnt zu Toleranz.

Der 31-jährige Sebastian Kurz ist der neue Regierungschef in Österreich. Bundespräsident Alexander Van der Bellen "angelobte" den bisherigen Außenminister am Montag in Wien als Bundeskanzler. Die Vereidigung wird in Österreich Angelobung genannt. Kurz ist damit jüngster Regierungschef in Europa, Vizekanzler ist FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Sie stehen einem Kabinett vor, das acht Minister und Ministerinnen der konservativen ÖVP und sechs der rechten FPÖ hat, darunter in den Schlüsselressorts Inneres, Äußeres und Verteidigung.

In der Nähe des Hofburgpalais protestierten mehrere tausend Menschen gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Auf dem zentralen Heldenplatz hielten linke und antifaschistische Gruppen Transparente mit Aufschriften wie „Flüchtlinge willkommen“, „Nazis raus“ und „Keine Nazi-Schweine“.

Bei der Zeremonie in der Hofburg – dem Amtssitz des Bundespräsidenten – benannte Van der Bellen rote Linien: Er rief die Regierung auf, Verantwortung für die Geschichte des Landes zu übernehmen, „für helle wie für dunkle Seiten“. Van der Bellen mahnte zu einer verantwortungsvollen Politik auch gegenüber Minderheiten: „Am Umgang mit den Schwächsten zeigt sich, was unsere Werte wirklich wert sind.“ Der frühere Grünen-Chef hatte in vielen Gesprächen mit Kurz und Strache Einfluss auf das Regierungsprogramm genommen und rief zu einem achtsamen Sprachgebrauch auf: „Es ist nicht gleichgültig, mit welchen Worten wir in die Öffentlichkeit gehen.“ Auch außenpolitische Kontinuität war Van der Bellen wichtig.

Übergabe: Der bisherige österreichische Kanzler Christian Kern (SPÖ) übergibt an seinen Nachfolger, ÖVP-Chef Sebastian Kurz.
Übergabe: Der bisherige österreichische Kanzler Christian Kern (SPÖ) übergibt an seinen Nachfolger, ÖVP-Chef Sebastian Kurz.

© Hans Punz/AFP

Ein Christdemokrat als freundliches Gesicht des Rechtspopulismus

Just am Kahlenberg, einer 480 Meter hohen Erhebung am Wiener Stadtrand, stellte sich am Samstag die neue Regierung der Öffentlichkeit vor. Der Kahlenberg ist Teil donauländischen Mythenschatzes: Von seinen Flanken stürzte anno 1683 ein christliches Entsatzheer unter Führung des polnischen Königs Sobieski zu Tale, um die seit Monaten die Stadt belagernden Türken zu vertreiben. Der Tag dieser denkwürdigen Schlacht zwischen Christentum und Muslimen wurde in Österreich seither oft politisch nutzbar gemacht. Der austrofaschistische Kanzler Engelbert Dollfuß verkündete am 250. Jahrestag, dem 11. September 1933, die Umwandlung der Republik in einen autoritären Ständestaat. 1983 kam am 300. Jahrestag der christlichen Befreiung von den Türken Papst Johannes Paul II. nach Wien, das damals 40 Kilometer vor dem Eisernen Vorhang lag.

Der junge Fast-schon-Kanzler Kurz sah nun bei der Präsentation seiner Regierung hoch über der Stadt auf Journalistenfragen keine Verbindung zur Historie: Den Schauplatz habe sein Team bestimmt, damit habe er nichts zu tun. In einem kühnen Parforceritt (wie einst die christlichen Heere) hatte ÖVP-Chef und -Kandidat Kurz im Wahlkampf die scharfe Flüchtlings-und Ausländerlinie der FPÖ gekapert und bei den Nationalratswahlen Mitte Oktober 32 Prozent eingefahren: Ein Christdemokrat als freundliches Gesicht des Rechtspopulismus.

So gram die Freiheitlichen Sebastian Kurz wegen dessen Kidnappings ihres Leibthemas auch waren – in seine Regierung wollten sie. FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache, 48, ist seit fast 13 Jahren Parteichef, weitere fünf Jahre in der Opposition hätte er innerparteilich wohl nicht mehr durchgestanden. Bei den Wahlen war die FPÖ knapp hinter den Sozialdemokraten auf Platz drei gelandet, nachdem sie fast zwei Jahre lang bei allen Umfragen vorne lag. Die bisher regierenden Sozialdemokraten gewannen trotz eines äußerst tollpatschigen Wahlkampfs zwar etwas hinzu, es reichte aber bloß zu 27 Prozent.

Asylbewerbern wird Geld und Handy abgenommen

Zupass kommt dem Projekt Schwarz-Blau, dass man in der Kernfrage Migration einer Meinung ist – wodurch das Regierungsprogramm rasch aufgestellt war: Asylbewerbern wird künftig sofort nach der Ankunft das Bargeld abgenommen, ihre Handys werden zwecks Überprüfung der Fluchtroute und der sozialen Kontakte konfisziert. Sie bekommen die Geräte zwar zurück, werden aber dann – ihr Bargeld ist ja „zur Finanzierung der Verfahrenskosten“ beschlagnahmt – die Telefonrechnung nicht zahlen können. Finanzielle Unterstützung des Staates gibt es nicht mehr, sondern nur Sachleistungen.

Anerkannte Flüchtlinge, die keine Arbeit finden, bekommen künftig nur noch 365 Euro Mindestsicherung pro Monat – zu wenig, um im Hochpreisland Österreich über die Runden zu kommen. Wer in den Augen der Regierung artig ist, kann sich noch einen „Integrationsbonus“ von 155 Euro verdienen. Ärzte, die Flüchtlinge untersuchen, werden von der Verschwiegenheitspflicht entbunden. Der neue Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) dachte schon vor einigen Monaten laut über ein nächtliches Ausgangsverbot für Asylbewerber nach.

Auf der To-do-Liste dürfte auch der öffentliche Sender ORF stehen

Nicht viel anders würde ein Regierungsprogramm der AfD aussehen. Österreich – die kleine Welt, in der die große ihre Probe hält? Auf der To-do-Liste der neuen Koalition dürfte auch der öffentliche Sender ORF stehen. Seit jeher werfen die Freiheitlichen der trotz privater Konkurrenz führenden Fernsehanstalt vor, sie sei von „linkslinken“ Redakteuren unterwandert. „Verschärfung der Transparenzbestimmungen zur Sicherung einer objektiven und unabhängigen Berichterstattung“, heißt es in der medienpolitischen Absichtserklärung der neuen Regierung. FPÖ-Chef Strache, nunmehr Vizekanzler, schob bei der Präsentation düster nach: „Auch im ORF wollen wir Optimierungen vornehmen, was die Objektivität betrifft.“ Im Lenkungsgremium des ORF, dem Stiftungsrat, haben die Koalitionsparteien dazu eine bequeme Mehrheit.

Die europäische Rechte feiert die Österreicher

Zur selben Stunde, in der die neue österreichische Regierung ans Licht der Öffentlichkeit trat, tagte am vergangenen Samstag in Prag jene Fraktion des Europaparlaments, der auch die FPÖ angehört, „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF). Geladen hatte der Chef der tschechischen rechtsextremen Partei „Freiheit und direkte Demokratie“, Tomio Okamura. Dem ENF gehören durchweg stramm-rechte Gruppierungen wie der Front National und der Vlaams Belang an. Die Vorsitzenden der beiden Parteien, Marine Le Pen und Geert Wilders, begrüßten denn auch während der Tagung den Regierungseintritt ihrer österreichischen Freunde. Le Pen nannte ihn „ein wahrlich historisches Ereignis“. Im weiteren Verlauf der Konferenz forderte der ENF ein „Ende der EU in ihrer jetzigen Form“.

Kein Wunder also, dass die erste Reise des neuen Kanzlers nach Brüssel führt, wo Sebastian Kurz an diesem Dienstag Kommissionspräsident Jean Claude Juncker beruhigen will. Als Außenminister hatte Kurz die Flüchtlingspolitik Angela Merkels und das von der deutschen Kanzlerin ausgehandelte Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei kritisiert. Am Montag betonte er, sich auf die „weitere Zusammenarbeit“ mit ihr zu freuen.

Motto der ersten Regierungswochen: Nur keine Wellen.

Proteste gegen die neue rechtsgerichtete Rergierung in Österreich zu deren Vereidigung in Wien
Proteste gegen die neue rechtsgerichtete Rergierung in Österreich zu deren Vereidigung in Wien

© Joe Klamar/AFP

(mit dpa/AFP)

Herbert Lackner

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