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Seit' an Seit' im Einsatz für einen EU-Grenzschutz: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (hier ein Archivbild).

© Olivier Hoslet/dpa

Update

Vor dem EU-Gipfel: Österreich droht, Angela Merkel und Jean-Claude Juncker werben

Europa und die Flüchtlingskrise: Angela Merkel fordert rasche Beschlüsse zum Aufbau eines europäischen Grenzschutz. Österreich geht weiter und droht den Osteuropäern offen.

Der eine brauche die andere, hieß es vor dem Gipfel der Europäischen Union in EU-Kreisen. Gemeint waren damit zwei, die durch die Flüchtlingskrise zu einem europäischen Duo geworden sind: EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Tatsächlich setzen sich beide schon seit Monaten dafür ein, dass die Flüchtlingskrise auf EU-Ebene gelöst wird.

Auch am Mittwoch warben Juncker und Merkel wieder für europäische Solidarität beim Umgang mit den Migranten – der eine im Europaparlament, die andere im Bundestag. Merkel dämpfte allerdings bei ihrer Regierungserklärung Erwartungen, dass mit raschen Lösungen zu rechnen sei. Der Versuch einer gemeinschaftlichen Lösung der Flüchtlingskrise sei ein „wahrlich dickes Brett, das es zu bohren gilt“, erklärte sie.

Dass die Europäer bei der Flüchtlingskrise nur im Schneckentempo vorankommen, lässt sich auch am Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen ablesen, über die sich Merkel und Co. an diesem Donnerstag und Freitag in Brüssel beugen werden. Im Kapitel zur Migration ist viel Altbekanntes aufgelistet. Die Brüsseler EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten sollen dem Entwurf zufolge unter anderem die Defizite beim Aufbau der „Hotspots“ in Griechenland und Italien zur Registrierung und Verteilung beheben. Zudem sollen die Außengrenzen der Europäischen Union besser geschützt und Probleme bei der Registrierung der Flüchtlinge behoben werden. Dies sind alles altbekannte Themen, an denen sich die EU-Staaten seit Monaten abarbeiten – mit mäßigem Erfolg.

Griechische Polizisten kontrollieren im Norden des Landes die Grenze zur Türkei.

© dpa

Österreich reicht das aber offenbar noch nicht aus. So hat Bundeskanzler Werner Faymann den Osteuropäern offen mit der Kürzung der EU-Beiträge seines Landes gedroht. "Wer unter dem Strich mehr Geld aus dem EU-Haushalt erhält als einzahlt, sollte sich bei einer fairen Verteilung der Flüchtlinge nicht einfach wegducken", sagte Faymann vor dem Gipfel der Zeitung "Die Welt". "Wer sich dennoch verweigert, stellt die gesamte Finanzierung des EU-Haushalts in Frage und macht es Nettozahlern wie Österreich künftig sehr schwer, weiterhin so viel Geld einzuzahlen."

Solidarität sei keine Einbahnstraße, betonte Faymann mit Blick auf mittel- und osteuropäische Staaten, die sich der Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien bisher verweigern. Es seien im kommenden Jahr Änderungen im EU-Haushalt zulasten bestimmter Länder denkbar.

Nur 208 Flüchtlinge wurden bislang tatsächlich umverteilt

Wie langsam die EU-Flüchtlingspolitik vorankommt, wird auch am Beispiel der Umverteilung der in Griechenland und Italien gestrandeten Flüchtlinge deutlich. Eigentlich hatten die EU-Staaten bereits vor Monaten beschlossen, dass in den kommenden zwei Jahren 160.000 Flüchtlinge von Griechenland und Italien aus in andere Mitgliedsländer der Europäischen Union umverteilt werden sollen. Faktisch haben aber erst 208 Schutzsuchende von Griechenland und Italien aus die Reise in andere EU-Staaten angetreten. Auch der Aufbau der „Hotspots“ kommt nur schleppend voran: Nach Angaben aus EU-Kreisen sind erst zwei dieser Registrierzentren in Italien und Griechenland einsatzbereit. Eigentlich ist vorgesehen, bis zum Jahresende elf „Hotspots“ zu schaffen.

Neu ist allerdings der Vorschlag der EU-Kommission, einen europäischen Grenz- und Küstenschutz zu schaffen. Diese neue Behörde soll auf der EU-Grenzschutzagentur Frontex aufbauen und 1000 Mitarbeiter bekommen. Zudem soll es eine Reserve von mindestens 1500 Grenzschutzbeamten geben, die im Notfall auch gegen den Willen der Mitgliedstaaten beim Grenzschutz helfen sollen, wenn einzelne Länder damit überfordert sind. Beim EU-Gipfel ist eine erste Diskussion über Junckers Vorschlag geplant, anschließend könnte nach Angaben aus EU-Kreisen innerhalb der kommenden drei bis sechs Monate ein Beschluss des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten über den europäischen Grenzschutz stehen.

Auch Merkel erklärte am Mittwoch im Bundestag, sie wolle sich dafür einsetzen, dass die Vorschläge der Kommission möglichst rasch beraten und verabschiedet werden können. Allerdings könnte sich das Projekt des Grenz- und Küstenschutzes zu einem ähnlichen Streitthema entwickeln wie die Frage der Flüchtlings-Umverteilung. Denn anders als im Europaparlament, wo sich eine breite Mehrheit für den Ausbau des Grenzschutzes abzeichnet, gibt es bei einigen EU-Mitgliedstaaten Widerstand. So haben Polen, Ungarn, Griechenland und Spanien bereits Bedenken angemeldet. Darauf ging Merkel am Mittwoch im Bundestag ein. „Natürlich berührt der Grenzschutz ganz wesentliche Fragen der nationalstaatlichen Souveränität“, erklärte die Kanzlerin.

Juncker will den Schengen-Raum schützen

Juncker machte sich vor dem Europaparlament ebenfalls für einen europäischen Grenz- und Küstenschutz stark. Heute sei keine Zeit für „business as usual“, erklärte der Kommissionschef. Er erläuterte, dass mit dem verstärkten Grenzschutz der Schengen-Raum gewahrt werden solle, in dem im Inneren der EU ein kontrollfreier Grenzübertritt möglich ist. „Unter meiner Führung werden wir alles tun, um zu schützen, was wir geschaffen haben“, sagte der Luxemburger mit Blick auf das Schengen-Prinzip, welches auf eine Vereinbarung über die Reisefreiheit von 1995 zurückgeht.

Allerdings ist das Prinzip durch die Flüchtlingskrise infrage gestellt. Inzwischen machen die Schengen-Staaten Deutschland, Österreich, Frankreich, Malta und Norwegen wieder von der Möglichkeit Gebrauch, vorübergehend Grenzkontrollen einzuführen. Zu Beginn des kommenden Jahres will auch Schweden wieder Kontrollen durchführen. Für das benachbarte Dänemark könnte dieser Schritt Folgen haben. „Es kann sein, dass wir dann zu Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland gezwungen sind“, sagte der dänische Ministerpräsident Lokke Rasmussen im Parlament in Kopenhagen. (mit dpa)

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