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Der Sozialstaat ist ihr Thema. Der Gewerkschafter Klaus Wiesehügel (l.) und der hessische Sozialrichter Jürgen Borchert.

© dpa

Ortstermin: Auf Abstand

Jürgen Borchert stellt sein Buch "Sozialstaatsdämmerung" vor. Klaus Wiesehügel aus dem Kompetenzteam ist gekommen, um es zu kritisieren. Ein Ortstermin bei zwei Männern, die den Sozialstaat umbauen wollen.

Von Katrin Schulze

Als der eine sich in Rage redet, verschränkt der andere die Arme vor dem Bauch und lehnt sich zurück. So als wollte er sagen: Wüte du nur, viel verändern wirst du damit sowieso nicht. Der eine ist Jürgen Borchert, hessischer Sozialrichter und Experte für Familien- und Sozialpolitik. Er stellt am Montag sein Buch mit dem Titel „Sozialstaatsdämmerung“ vor, in dem er – nicht zum ersten Mal – über die Ausbeutung der Familien im deutschen Sozialstaat referiert. Der andere ist als Kritiker geladen und heißt Klaus Wiesehügel, hauptberuflich Bundesvorsitzender der IG Bauen-Agrar-Umwelt, momentan aber vor allem als Mitglied im sogenannten Kompetenzteam Peer Steinbrücks unterwegs. Der SPD-Kanzlerkandidat hat ihn für die Bereiche Arbeit und Soziales engagiert.

Wer so weit vorne mitkämpft, ist natürlich befangen. Und deshalb nimmt Wiesehügel nicht nur mit seinen abwehrenden Gesten, sondern auch mit Worten Abstand von Borchert. Mit einigen hier vorgetragenen Thesen gewinne man politisch „keinen Blumentopf“, sagt der Gewerkschafter, nachdem sein Gegenüber zu Ende geredet hat. Dabei vertuscht die Distanz ein bisschen die gemeinsame Basis der beiden. Zusammen haben sie, darauf möchte Wiesehügel hinweisen, vor 13 Jahren einen Vorschlag zur Rentenreform entworfen, eine „Universalversicherung“; heute laufen solche Konzepte unter dem Namen „Bürgerversicherung“. Auch die Meinung beider über die Agenda 2010 fällt ähnlich aus: ziemlich negativ.

Dass Borchert nun aber alle größeren Parteien für die „Niedergangsbilanz des Sozialstaats“ verantwortlich macht, kann Wiesehügel nicht gelten lassen. Überhaupt habe er so ein linkes Regierungsprogramm wie das der SPD zur Wahl 2013 schon lange nicht mehr gelesen. „Es hat lange gedauert, die Dinge in der Partei anzusprechen“, sagt Wiesehügel. Aber die SPD habe sich deutlich bewegt. Borcherts Gegenangriff? Bleibt aus. Ein echtes Streitgespräch entwickelt sich nicht zwischen den beiden. Zu groß ist die gemeinsame Basis. Schließlich wollen beide die sozialen Strukturen des Landes umbauen. Nur in der Frage, wie tiefgreifend dieser Umbau sein soll, unterscheiden sie sich. Und in ihrer Wut. Der eine spricht laut und zornig. Der andere, der Wahlkämpfer, leise und bedacht.

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