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Wenn man nicht zum Arzt muss, kann man sich auch nicht in dessen Wartezimmer anstecken.

© Christin Klose/dpa-tmn

Online-Medizin: Hausbesuch im Internet

Im Wartezimmer wird geschnieft und gehustet. Telemedizin könnte hier eine Alternative sein. Doch Patienten warten vergeblich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Richard Friebe

Zu ein paar medizinischen Fragen, die man sich als Patient oder Angehöriger immer wieder stellt, gibt es einfach kaum Studien. Man würde zum Beispiel gerne wissen, wie viele Krankheiten sich Patienten bei Arztbesuchen überhaupt erst einfangen und wie viel Geld Mediziner dann damit verdienen, jene Grippen, grippalen Infekte, Bindehautentzündungen und Co. zu therapieren.

Ein paar Untersuchungen gibt es aber. Eine erschien kürzlich im Fachmagazin „Journal of Infection Control and Hospital Epidemiology“. Sie zeigte, dass bei gesunden Kindern, die zu Routine-Checks beim Kinderarzt waren, in den darauffolgenden zwei Wochen gehäuft grippeartige Symptome auftraten. Die Arztpraxis mit triefendem, schniefendem Warteraum, die noch kränker machen kann, als man ohnehin schon ist, sie ist eine Tatsache. Der wirksamste Schutz vor Infektionen ist es, Infektionsquellen zu meiden. Und zu den wirksamsten Infektionsquellen gehören Arztpraxen bis hin zur Ansteckung über die „Bunte“, die ein Grippepatient vor einer halben Stunde durchgeblättert hat. Aber gar kein Arzt ist oft auch keine Lösung.

Überweisen, ohne den Patienten gesehen zu haben

Der Ärztetag in Erfurt hat jetzt beschlossen, dass die Möglichkeiten, zum Arzt zu gehen, ohne wirklich zum Arzt gehen zu müssen, ausgeweitet werden. Zum Beispiel soll es bald erlaubt sein, von einem niedergelassenen Mediziner online behandelt, beraten und weiterüberwiesen zu werden, auch ohne ihm oder ihr je persönlich begegnet zu sein.

Damit ist die Tür zur reinen Online-Medizin aufgestoßen. Ob die Chatstunde als Alternative zur Sprechstunde auch eine sichere Behandlung garantiert, ist in diesem Zusammenhang die meistdiskutierte Frage. Sie ist nicht so leicht zu beantworten wie die, ob man offline und in der Praxis überhaupt erst krank werden kann. Oder die, ob – mit ärztlichem Rat und Rezept versorgt – der Tag im Bett genesungsfördernder ist als der halbe Tag im Wartezimmer und unterwegs zur Praxis und zurück. Und wie erleichternd wäre es, bei einer Migräne oder einem Infekt eine Krankschreibung zu bekommen, ohne überhaupt das Haus verlassen zu müssen!

Krankschreibung auf Distanz - das wollen die Ärzte nicht

Wer auf solche in der Praxis und jenseits der Arztpraxis patientenfreundliche Tele- und Onlinemedizin hofft, hofft allerdings zu früh. Denn die Ärzte in Erfurt haben zum Beispiel Krankschreibungen ohne persönlichen Arztkontakt definitiv ausgeschlossen. Wenn der Gesetzgeber eine solche Möglichkeit beschließen sollte – was laut Koalitionsvertrag zumindest möglich erscheint –, würde man laut Kammer-Vorstandsmitglied Josef Mischo sogar „prüfen, ob es berufsrechtlich möglich ist, das zu verbieten“. Infektionsvermeidung in der Arztpraxis wird mit keinem Wort als Beweggrund für die geplante neue Regelung auch nur erwähnt.

Wie werden die Daten sicher übertragen?

Es wird wahrscheinlich auch bis Anfang 2020 dauern, ehe sich für Patienten überhaupt etwas ändert. Denn der Erfurter Beschluss muss von den meisten Landesärztekammern jeweils erst bestätigt und von Aufsichtsbehörden genehmigt werden. Und zahlreiche praktische Details sind auch noch nicht geklärt: Wie etwa werden die Daten sicher übertragen und gespeichert? Wie wird überhaupt die Patientenkarte eingelesen? Es könnte also noch weitaus länger dauern.

Es gibt eben keine Bundespatientenkammer

Gäbe es eine Bundespatientenkammer, dann hätten deren Beschlussanträge jedenfalls vermutlich etwas anders gelautet. Cui bono? Den Beschluss, dass und in welchem Rahmen es mehr Online-Medizin geben soll, hat der Ärztetag gefasst, organisiert von der Bundesärztekammer. Sie ist die Dachorganisation der Körperschaften, die für die Wahrung der beruflichen Belange der Ärzteschaft zuständig ist. Sie ist damit auch eine Interessenvertretung der Mediziner. Nicht der Patienten. Diese – und weil es keine Bundespatientenkammer gibt, ihre Interessenvertreter in den Parlamenten – müssen in den kommenden Jahren genau aufpassen. Auf Nutzen, auf Kosten. Auf Chancen, auf Risiken. Darauf, ob die jetzt aufgestoßene Tür auch für sie eine frische, gesunde Brise hereinbläst. Oder eher den nächsten Schnupfen.

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