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Olaf Scholz hatte vor seiner Befragung gesagt, er freue sich darauf.

© Christian Charisius/dpa

Befragung vor dem Cum-Ex-Untersuchungsausschuss: Olaf Scholz hatte leichtes Spiel

Dreieinhalb Stunden wird der Kanzler an alter Wirkungsstätte befragt. Dass er dabei nicht in Bedrängnis gerät, hat strukturelle Gründe. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Felix Hackenbruch

Irgendwann merkt man den Obleuten im Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss ihre Ratlosigkeit an. Lange Denkpausen brauchen sie vor ihren Fragen an Bundeskanzler Olaf Scholz. Meist sind es keine präzisen Sätze mehr, sie wiederholen sich. Und sitzt doch mal eine Pointe, prallt sie an der scholzschen Wand der Erinnerungslosigkeit ab.

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Nach drei Stunden will der Obmann der CDU von Scholz wissen, ob er bereit sei, seine „Teil-Amnesie“ mit Hypnose behandeln zu lassen. Im Saal führt das zur Erheiterung. „Ich danke Ihnen, dass Sie die Karikatur meiner Befragung selbst vornehmen“, sagt Scholz und hat damit nicht Unrecht.

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind keine juristischen Verfahren. Die Beteiligten machen trotz allem Aufklärungswillen immer auch Politik. Der Erkenntniswert dieser demokratischen Institution schwankt. Eigentlich soll in Hamburg geklärt werden, ob es politischen Einfluss auf die Entscheidung der Finanzbehörden gab, der Warburg-Bank Steuerrückzahlungen im zweistelligen Millionenbereich zu erlassen.

Scholz als damaliger Erster Bürgermeister, der die Gesellschafter der Bank mehrfach traf, steht ebenso im Fokus wie sein Nachfolger im Rathaus – der damalige Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD). Er leitete ein Argumentationsschreiben der Bank an seine Verwaltung weiter, ehe diese auf die Warburg-Steuerrückzahlung verzichtete.

Es gibt Tagebuch-Einträge des Bankiers, von Akten-Vernichtung ist die Rede, in einem Schließfach eines einflussreichen Hamburger Sozialdemokraten wurden mehr als 200.000 Euro gefunden. Es gibt Nachrichten aus der Finanzbehörde, in denen von einem „teuflischen Plan“ gesprochen wird und Parteispenden an die SPD.

Doch trotz aller Ungereimtheiten, trotz aller Anhaltspunkte wurde bei der zweiten Befragung von Scholz an seiner alten Wirkungsstätte schnell klar: Dieser Untersuchungsausschuss kann für den Bundeskanzler nicht gefährlich werden.

Wichtige Unterlagen sind nicht einsehbar

Dafür gibt es strukturelle Gründe: Wichtige Unterlagen sind dem Ausschuss nicht zugänglich. So berichtete der „Stern“ zuletzt aus einem vertraulichen Protokoll aus dem Finanzausschuss des Bundestags von 2020. Darin sprach Scholz offenbar auch über Inhalte aus einem Treffen mit dem Warburg-Gesellschafter Christian Olearius – obwohl er sich öffentlich daran eigentlich gar nicht erinnert. Doch das vertrauliche Dokument des Bundestags könne nicht beschafft werden, sagte der Ausschuss-Vorsitzende, Mathias Petersen.

An seiner Person zeigt sich ein zweites Problem: Die Kräfteverhältnisse in der Hamburger Bürgerschaft spiegeln sich auch im Ausschuss wider. Rot-Grün hat eine Zwei-Drittel-Mehrheit, Petersen als Vorsitzender ist wie Scholz Sozialdemokrat. Die Eingangsfragen, die von den hauptamtlichen Mitarbeitern des Ausschusses vorbereitet wurden, las er lässig vor. In der Vergangenheit gab es Kritik, er würde die Fragen nur paraphrasieren, manche sogar auslassen.

Mathias Petersen (SPD) leitet den Ausschuss.

© Christian Charisius/dpa

Anderen Zeugen bot Petersen am Freitag direkt an, auf das Protokoll ihrer ersten Befragung zu verweisen. Er machte einen lustlosen Eindruck. „Ich habe keinen Bock mehr“, sagte er offen vor der Scholz-Anhörung bei einem Gang auf die Pressetribüne. Dass die Opposition nochmals weitere Zeugen aufgerufen hat, darunter Regierungssprecher Steffen Hebestreit und Bundeskanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD), nerve ihn.

Die Grünen sind zahm und machen Selfies

Auch SPD-Obmann Milan Pein scheint mehr an der Verteidigung seines Kanzlers als an der Wahrheitsfindung interessiert. Immer wieder warf er sich mit Verve vor seinen Parteifreund und rechnete mit den Wortbeiträgen der Linken und der CDU ab. Der Obmann der Grünen fiel ebenso mit eher jovialen Fragen auf, seine Kollegin gab öffentlich zu, wie aufgeregt sie sei.

Die Grünen sind im Ausschuss in einer schwierigen Situation. Sind sie zu kritisch, schadet das der eigenen Koalition unter Tschentscher. Am Ende machten zwei Grüne Selfies mit Scholz.

[Zwölf Erinnerungslücken in zehn Minuten: Lesen Sie den Auftritt des vergesslichen Kanzlers bei Tagesspiegel Plus]

Doch auch die wenigen Obleute von CDU und Linken können kaum Stiche setzen. Man darf den Abgeordneten wohl keinen Vorwurf machen. Anders als Staatsanwälte haben sie keine strategische Frage-Methodik gelernt. Zudem ist die Hamburger Bürgerschaft ein Feierabendparlament.

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss kommt für die Abgeordneten noch on top. Tausende Seiten von Akten, Medienberichten und Protokollen sollen zur Vorbereitung gelesen werden – als Nebenjob eigentlich nicht machbar.

Und so hatte Scholz am Freitag leichtes Spiel. Wann immer es heikel wurde, flüchtete sich der Kanzler in seinen Gedächtnisverlust. Eine schlaue Strategie des gelernten Rechtsanwalts. Juristisch ist er mit seinen Erinnerungslücken nicht angreifbar. Die Affäre könnte er so überstehen, seine Glaubwürdigkeit aber setzt der vergessliche Kanzler aufs Spiel.

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